Die russische Jugendbewegung „Naschi“ANALYSE

Die russische Jugendbewegung „Naschi“

Die russische Jugendbewegung „Naschi“

Die Jugendbewegung „Naschi“ (Die Unsrigen) ist die bekannteste und erfolgreichste unter den in den letzten Jahren in Russland entstandenen regierungsfreundlichen Jugendorganisationen. Doch bei den Unsrigen, die vor allem für ihre schrillen Aktionen und ihr rüdes Vorgehen gegen Oppositionelle bekannt geworden sind, handelt es sich weniger um eine „von unten“ gewachsene Jugendbewegung, sondern um ein polittechnologisches Projekt der Ära Putin.

Von Regina Heller

  Über die Autorin
  Dr. Regina Heller ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Sie beschäftigt sich mit russischer Innen- und Außenpolitik sowie mit den Beziehungen zwischen der EU und Russland.

Kürzlich erschienen ist ihre Dissertation mit dem Titel „Normensozialisation in Russland – Chancen und Grenzen europäischer Menschenrechtspolitik gegenüber der Russländischen Föderation“, in der u.a. auch das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Staat in Russland beleuchtet wird.
Dr. Regina Heller  
Dr. Regina Heller  

N aschi“ wurde unter dem Eindruck der bunten Revolutionen im postsowjetischen Raum ins Leben gerufen, um unter Russlands Jugendlichen eine „anti-orange“ Stimmung zu erzeugen und eine Massenmobilisierung während der Duma- und Präsidentschaftswahlen 2007/2008 zu verhindern. Als Drahtzieher im Kreml gilt der Putin-Vertraute Wladislaw Surkow. Mit der Absicht, das Mobilisierungspotenzial von „Naschi“ zu erhöhen, hat die Regierung beträchtliche administrative und finanzielle Ressourcen bereitgestellt. Die Rechnung ist aufgegangen: Das politische Regime konnte sicher durch die turbulente Wahlperiode gebracht werden. Nun sucht der Kreml Wege, die Geister, die er einst rief, wieder loszuwerden.

Die Jugendbewegung „Naschi“

Etwa ein halbes Dutzend regierungsfreundlicher Jugendorganisationen ist in den letzten Jahren in Russland entstanden. Diese Gruppen haben es geschafft t, Jugendliche in Scharen auf die Straße zu bringen und sie für ihre politischen Ziele zu mobilisieren. Ihre Anziehungskraft ist bemerkenswert, gelten doch russische Jugendliche mehrheitlich als politisch uninteressiert und apathisch. Unter diesen politischen Jugendorganisationen hat zweifelsfrei die im März 2005 gegründete Putin-freundliche Jugendbewegung „Naschi“ den rasantesten Aufstieg genommen: Innerhalb von nur drei Jahren ist die Zahl ihrer Mitglieder auf über 120.000 angewachsen, und die Zahl der Sympathisanten dürfte noch einmal um ein Vielfaches hoher liegen.

Bekannt geworden ist „Naschi“ wegen ihrer schrillen Protestaktionen und medienwirksam inszenierten Massenkundgebungen, an denen in der Vergangenheit im Schnitt mehrere 10.000 Jugendliche teilgenommen haben. Ihre Aktivitäten richteten sich bislang vor allem gegen die politische Opposition in Russland, aber auch vor Protesten gegen das westliche Ausland hat „Naschi“ nicht zurückgeschreckt. International in die Schlagzeilen gerieten die Unsrigen im Frühjahr 2007, als es im Rahmen von Massenprotesten gegen die Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals im estnischen Tallinn zu Straßenkrawallen und zu Handgreiflichkeiten gegen die estnische Botschafterin in Moskau kam.

Eine politische Kopfgeburt vor dem Hintergrund der Orangen Revolution

Vieles spricht dafür, dass „Naschi“ unter dem Eindruck der Orangen Revolution in der Ukraine von Politstrategen im Umfeld des damaligen russischen Präsidenten Putin geschaffen worden ist, um eine „antiorange“ Stimmung auf Russlands Straßen zu erzeugen und angesichts der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2007/2008 eine mögliche Massenmobilisierung gegen das politische Regime in Russland zu verhindern. Denn die bunten Revolutionen im postsowjetischen Raum schürten in den Reihen der russischen Regierung die Angst vor einem Überschwappen ähnlicher Szenarien auf Russland. Diese Angst wurde insbesondere von Wladislaw Surkow, dem langjährigen Putin-Berater, Chef-Ideologen und stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung unter Putin, angeheizt. Surkow hatte im Zuge der Orangen Revolution die These vertreten, die liberale Opposition und das westliche Ausland wollten auch in Russland eine Revolution anzetteln und die staatliche Macht im Land untergraben. In dieser Situation wuchs der scheinbare Druck auf die Regierung, Maßnahmen zu ergreifen, um den politischen Status quo in Russland zu erhalten.

In diesem Zusammenhang geriet insbesondere die Rolle von Jugendlichen verstärkt ins Blickfeld der Polit-Strategen. Hatten doch die Ereignisse in der Ukraine gezeigt, dass es vor allem regimekritische Jugendorganisationen gewesen waren, die die Bevölkerung gegen ihre eigene Regierung auf die Straßen gebracht und so maßgeblich zum Machtwechsel mit beigetragen hatten. Außerdem hatten Aktivisten aus der Ukraine, aus Georgien und Serbien – zum Teil finanziert durch westliche NGOs – damit begonnen, ihr Wissen und ihre Praktiken in weitere Länder des postsowjetischen Raums, darunter auch Russland, zu exportieren. Beides dürfte schließlich Auslöser dafür gewesen sein, dass „Naschi“ im März 2005 als Gegenbewegung zu den regimekritischen Jugendorganisationen im postsowjetischen Raum in Gang gesetzt wurde.

Wladislaw Surkow: der Drahtzieher im Kreml

Dass der Kreml-Stratege Surkow hinter dem Aufbau von „Naschi“ steht, kann kaum angezweifelt werden. Der Autor der „gelenkten“ und „souveränen Demokratie“ wird immer wieder in Zusammenhang mit der Jugendbewegung gebracht; er selbst hat sich wiederholt öffentlich zu „Naschi“ und seinen Aktivitäten geäußert. Mit dem heute 36-jährigen Wasili Jakemenko, dem offiziellen Gründer und bis vor kurzem noch Kopf von „Naschi“, verbindet Surkow außerdem eine langjährige Bekanntschaft, die bis in die frühen Jahre der Putin-Präsidentschaft zurückreicht. Damals war der aufstrebende Jakemenko für kurze Zeit in der Präsidialverwaltung tätig. Jakemenko war es auch, der zu dieser Zeit und vermutlich unter den wohlwollenden Augen Surkows die erste Kreml-treue Jugendorganisation „Iduschtschie wmeste“ (Gemeinsam Gehen) ins Leben rief. Schon damals hatte Surkow den Aufbau regierungsfreundlicher Jugendorganisationen aktiv unterstützt und betont, die Regierung benötige die Unterstützung der Straße, um in politischen Positionskämpfen erfolgreich bestehen zu können.

Während die ersten Kreml-freundlichen Jugendorganisationen jenseits einer starken Fixierung auf die Person Putin keine gezielte Agenda vorweisen konnten und sich stattdessen durch eratische und in der russischen Öffentlichkeit mitunter sehr kontrovers diskutierte Aktionen auszeichneten, wurde „Naschi“ ganz konsequent auf den Kampf gegen die „orange Gefahr“ ausgerichtet und sollte möglichst schnell eine „anti-orange“ Stimmung unter Russlands Jugendlichen erzeugen. Hierzu wurde die Organisation mit einer national-patriotischen Ideologie unterfüttert, die ihre Programmatik anleitet. „Naschi“ unterstützt die politischen Ziele Putins und versteht sich – ganz im Surkow’schen Duktus und Sinne – als Bollwerk im Kampf gegen alle, die sich gegen diese Ziele verschworen haben. In ihrem »Manifest« spricht die Organisation von der „vaterlandsfeindlichen Koalition von Oligarchen, Anti-Semiten, Nazis und Liberalen“, die Russland in eine Krise stürzen wollen und die es zu bekämpfen gilt. Auf die bevorstehende Aufgabe wurde „Naschi“ von Surkow höchstpersönlich eingeschworen. Auf ihrem Gründungskongress im Februar 2005 rief er den Jugendlichen zu: „Die Revolutionen in Georgien, Serbien und in der Ukraine […] werden wir in Russland nicht zulassen“.

Erhöhtes Mobilisierungspotenzial dank staatlicher Ressourcen

Wurden die Handlungsmöglichkeiten regierungskritischer Organisationen während der Putin-Regierung sukzessive beschnitten, so ist der regierungsfreundlichen Jugendorganisation „Naschi“ der Zugang zu staatlichen Ressourcen deutlich erleichtert worden. „Naschis“ ausgeprägtes Mobilisierungspotenzial der letzten Jahre war nicht zuletzt die Folge einer massiven finanziellen und administrativen Unterstützung durch die Putin-Administration. Geschätzt wird, dass die Regierung in der Vergangenheit monatlich mehrere 100.000 US-Dollar für die Finanzierung von „Naschi“ und anderer regimetreuer Jugendorganisationen ausgegeben hat. Allein die jährlichen Sommercamps von „Naschi“ am Seliger See sollen zwischen sechs und sieben Millionen US-Dollar gekostet haben. Finanzielle Unterstützung ist dabei sowohl direkt als auch indirekt erfolgt, d.h. die Regierung hat eigene Mittel bereitgestellt, aber auch staatlich kontrollierte Unternehmen wie etwa den Energieriesen Gazprom ermutigt, die Aktivitäten von „Naschi“ finanziell zu unterstützen.

„Naschis“ Fähigkeit, Jugendliche zu mobilisieren, wurde überdies durch ihren privilegierten Zugang zu den staatlich kontrollierten Massenmedien verstärkt. Die intensive Präsenz in den Medien begünstigte die Verbreitung ihrer Anliegen in alle Regionen Russlands. Durch ihre schrillen, lauten und provokativen Aktionen wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf „Naschi“ gezogen, während oppositionelle Stimmen und Anliegen aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt wurden. Sicherlich mobilisierungsfördernd war auch die explizite Nähe der Unsrigen zu Präsident Putin und seiner politischen Entourage. Nicht nur einmal besuchten die einflussreichen Präsidenten-Berater Surkow und Gleb Pawlowski sowie die damaligen Vizepremiers Sergej Iwanow und Dmitri Medwedjew das Sommerlager und werteten damit die Organisation und ihre Aktivisten in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich auf. Auch Putin selbst traf sich einige Male mit ausgewählten Vertretern von „Naschi“.

Nach Putin: Was wird aus „Naschi“?

Doch mit dem Ende der Ära Putin scheint auch das Ende der Erfolgsgeschichte von „Naschi“ gekommen zu sein. Bereits 2007 drangen Gerüchte an die Öffentlichkeit, die Regierung wolle sich seiner jugendlichen Straßenkämpfer entledigen. Anzeichen hierfür sind Pläne, mindestens 45 der insgesamt 50 Regionalabteilungen von „Naschi“ zu schließen und die Unsrigen mit anderen Kreml-treuen Jugendorganisationen zusammenzulegen. Bisherige Extras wie etwa kostenfreie Handys für „Naschi“-Kommissare wurden gestrichen und die Zuteilung finanzieller Mittel stärkeren Kontrollen unterworfen. Veranstaltungen wurden abgesagt und auch die Führungsriege der Organisation hat sich in den letzten Monaten in alle Winde zerstreut: Leonid Kurza, Leiter der Petersburger Filiale, hat ein Studium im Ausland aufgenommen, Jakemenko wurde Anfang 2008 in ein Regierungsamt berufen. Er leitet nun die staatliche Kommission für Jugendbelange.

Augenscheinlich geht es weniger um eine vollständige Auflösung der Unsrigen als vielmehr darum, das Handlungspotenzial der Organisation einzuschränken. Erklären lässt sich dieses taktische Vorgehen am ehesten mit einem Abklingen der „orangen Panik“ in den Reihen der Regierung nach dem russischen Wahlmarathon: Die Wunschparteien und Kandidaten des Kreml konnten sicher durch die kritische Wahlphase gebracht werden, die Kontinuität des politischen Regimes ist gewährleistet, Massenproteste auf Russlands Straßen sind ausgeblieben. Damit hat auch „Naschi“ seine Schuldigkeit getan. Als verlängerter Arm der Regierung im Kampf gegen die „orange Gefahr“ werden die Unsrigen nun nicht mehr gebraucht. Auch scheint sich nach den Wahlen ein neues Selbstverständnis und damit auch ein neuer Politikstil im Kreml durchzusetzen, für den nach außen vor allem Russlands neuer Präsident Medwedjew stehen soll: ein zivilisiertes Russland, das sich als Freund und Partner des Westens präsentiert. Die halbstarken Randalierer von „Naschi“, die auf Russlands Straßen gegen liberale Oppositionelle und den Westen gleichermaßen poltern, fügen sich schlecht in dieses neue Bild ein.

Indes zeigt die Zähmung von „Naschi“ erste Wirkung: Eine jüngste Protestaktion vor der Delegation der Europäischen Kommission in Moskau, die sich gegen das von der EU Anfang 2008 ausgesprochene Einreiseverbot für elf „Naschi“-Aktivisten und Organisatoren der Massenproteste in Estland richtete, blieb ungewöhnlich gemäßigt im Ton und konnte nur eine Handvoll Jugendliche auf die Straße bringen.

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Der vorstehende Beitrag ist zuerst erschienen als Veröffentlichung der „russland-analysen 168/08“., http://www.laender-analysen.de/russland/

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