Die schöne Sara und ihre russischen FreundinnenTERRORISMUS

Die schöne Sara und ihre russischen Freundinnen

Vor dem Moskauer Stadtgericht begann der Prozeß gegen eine 22jährige Tschetschenin, der man die Planung von Terroranschlägen zur Last legt.

Von Ulrich Heyden

Ist Sara Murtasalijewa eine Terroristin oder ist die 22jährige Studentin das Opfer einer maßlosen Jagd nach tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen? Diese Frage werfen verschiedene Moskauer Zeitungen auf. Am 17. Dezember begann vor dem Moskauer Stadtgericht der Prozeß gegen die junge Frau, die seit neun Monaten in Untersuchungshaft sitzt und jede Verbindung zum Terrorismus bestreitet. Sara wird wegen Terrorismus und unerlaubtem Besitz von Sprengstoff angeklagt. Nach Meinung der Zeitung „Russkij Kurier“ und des Elite-Magazins „Kommersant Wlast“ haben Kriminalpolizei und Geheimdienst die Anklage konstruiert.

Sara kommt aus dem relativ ruhigen Nord-Tschetschenien. In der russischen Hauptstadt fand die Fernstudentin Arbeit bei einer Versicherungsgesellschaft. Die junge Tschetschenin lebte wie ihre russischen Altersgenossinnen. Sie traf sich mit Freundinnen, besuchte Internetcafés und Musikclubs. Weil sie gläubig ist, ging sie auch in die Moschee. Dort lernte sie Anja und Mascha kennen, zwei 18jährige Moskauerinnen. Die Ermittler der Staatsanwaltschaft behaupteten zunächst, Sara habe versucht, die beiden Mädchen für Terrorakte anzuwerben. Dieser Vorwurf wurde jedoch wieder fallengelassen. Nach einem Bericht der Zeitung „Iswestija“ wollen Anja und Mascha Tschetschenen heiraten und suchten deshalb den Kontakt zu Sara, mit der sie nach der Bekanntschaft zusammenzogen.

Der Staat hört mit

Die Ermittlungen gegen Sara waren voller Merkwürdigkeiten. Es begann mit einer Straßenkontrolle der Polizei im Dezember 2003. Sara mußte mit auf die Wache, weil sie keinen Paß dabei hatte. In Moskau lief gerade die Jagd nach der „schwarzen Fatima“, einer Tschetschenin, welche angeblich die Einsätze der Selbstmordattentäterinnen koordiniert. Auf der Polizeiwache wurde Sara überraschend schnell wieder freigelassen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte nach Meinung von Saras Verwandten der Ermittler Said, ein Tschetschene, der „zufällig“ auch auf der Wache war. Er gab Sara seine Telefonnummer für den Fall, daß sie mal Hilfe brauche. Ein paar Tage später erschien der tschetschenische Ermittler bei Sara auf der Arbeit. Er bot an, für sie und ihre beiden Freundinnen eine Wohnung zu mieten. Die Miete könne sie zurückzahlen, wenn sie ihr Studium abgeschlossen habe. Wie sich später herausstellte, befand sich in der Wohnung eine Abhöranlage.

Am 4. März 2004 wurde Sara erneut verhaftet. Sie kam gerade von der Arbeit. Auf einer Polizeiwache wurden ihr Fingerabdrücke abgenommen. Als sie vom Händewaschen zurückkam, fiel ihr auf, daß ihre Handtasche geöffnet war und voller wirkte. Doch sie schenkte diesem Umstand keine besondere Beachtung und fragte, ob sie gehen könne. Sara durfte noch nicht gehen. Die Beamten untersuchten ihre Handtasche und fanden 200 Gramm in Folie eingewickelten Sprengstoff. Eine Zünder und andere Details für eine Bombe waren nicht dabei. Die Studentin erklärte, der Sprengstoff gehöre ihr nicht. Aber niemand beachtete sie.

„Stalin hat es richtig gemacht“

Saras Mitbewohnerinnen Anja und Mascha wurden zum Verhör geladen. Man spielte ihnen die Tonbänder von abgehörten Gespräche aus der gemeinsamen Wohnung vor. Die Mädchen hatten auch über den Tschetschenienkrieg gesprochen. Um Terrorakte ging es nicht, meint Saras Anwältin, welche die Tonbandabschriften gelesen hat. Stattdessen hätten sich die Mädchen nächtelang über ein erotisches Buch und intime Einzelheiten unterhalten. Daß der Ermittler der Staatsanwaltschaft voreingenommen sei, daran bestehe nach ihrer Ansicht kein Zweifel. Bei einem ersten Treffen habe er ihr frank und frei erklärt, daß Stalin es „richtig gemacht“ habe, als er „die Tschetschenen umbrachte“.

Bei den ersten Vernehmungen belasteten Anja und Mascha ihre Freundin. Laut dem von ihnen unterschriebenen Protokoll habe Sara versucht, sie als Terroristinnen anzuwerben. Doch nachdem Anja sich einen Anwalt genommen hatte, zog sie ihre Aussage zurück. Bei einer Gegenüberstellung mit Sara weinte das Mädchen und bat um Verzeihung. Sie habe keine Wahl gehabt, schrie sie voller Verzweiflung. Saras Anwältin berichtete, man habe den Freundinnen gedroht. Sie würden als Tatverdächtige angeklagt, wenn sie nicht erzählen, wie Sara versucht habe, sie als Selbstmordattentäterinnen anzuwerben. Anjas Mutter – eine Russin – wandte sich an die Moskauer Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina und erklärte, sie wolle nicht, daß Anjas erste Aussage der Beschuldigten schade.

Kuß auf der Rolltreppe

Umstritten sind nicht nur die Zeugenaussagen. Auch ein Photo, welches die Ermittler vor Gericht als Belastungsmaterial präsentieren wollen, hat nach Meinung der Anwältin nichts mit Terrorismus zu tun. Das Photo, welches Sara gemacht haben soll, zeigt eine Rolltreppe in einem Moskauer Einkaufszentrum, angeblich das Ziel eines Terroranschlags. Die Mädchen hätten die Rolltreppe photographiert, weil dort ein Tschetschene seine Freundin küßte, meinte die Anwältin. Die drei Freundinnen fanden, daß sei etwas Besonderes. In Tschetschenien darf ein Mann eine Frau in der Öffentlichkeit noch nicht einmal berühren.

Weitere Anklagepunkte mußte die Staatsanwaltschaft fallen lassen. Die Ermittler hatten behauptet, Sara habe in Aserbaidschan ein Ausbildungslager für Selbstmordattentäter besucht. Das aserbaidschanische Außenministerium schickte eine Protestnote an das russische Außenministerium und stellte klar, daß es in Aserbaidschan solche Lager nicht gibt. Auch der Vorwurf, Sara habe im ersten Tschetschenienkrieg - damals war sie 12 Jahre alt - auf der Seite der Separatisten gekämpft, mußte die Staatsanwaltschaft zurückziehen. Saras Mutter konnte Schulzeugnisse der Jahre 1994 bis 1996 vorlegen.

Russische Menschenrechtler sind alarmiert. Denn es ist nicht das erste Mal, daß „verdächtige“ Tschetschenen auf der Straße aufgegriffen werden. Gefälschte Anklagen gegen Tschetschenen sind zur Alltäglichkeit geworden, meint die Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina. Willkürliche Anklagen fördern die Terrorbereitschaft unter tschetschenischen Jugendlichen. Und: Je mehr Unschuldige verhaftet würden, desto mehr Terroristen blieben in Freiheit, meint Gannuschkina.

Russland

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