„Eine brandgefährliche Gesetzgebung“RUSSLAND

„Eine brandgefährliche Gesetzgebung“

Nach Meinung russischer Umweltschützer haben die Behörden das wahre Ausmaß der Waldbrände heruntergespielt.

Von Ulrich Heyden

Über das Ausmaß der sommerlichen Waldbrände in Russland und die dadurch verursachten wirtschaftliche Schäden gibt es bisher nur Schätzungen. Eins steht jedoch fest: Die Kosten sind immens und viel höher als die Kosten für eine professionelle Brandverhütung gewesen wären. Die britische Finanzgruppe HSBC hat errechnet, dass durch die Waldbrände Schäden von elf  Milliarden Euro entstanden sind. Das bedeutet nach Meinung von Experten, dass das vom russischen Wirtschaftsministerium prognostizierte Wirtschaftswachstum von vier Prozent in diesem Jahr sich nicht realisieren lässt, sondern um ein Prozent niedriger ausfallen wird. 

Weil die Dürre ein Drittel der Getreideernte vernichtete, erließ Wladimir Putin bereits ein Getreide-Exportverbot bis zum Ende des Jahres. Die Ernteausfälle führen inzwischen zu einem Preisanstieg bei Brot und anderen Nahrungsmitteln. Buchweizen, der in der russischen Küche einen festen Platz hat, verschwand eine Zeitlang aus den Regalen der Moskauer Supermärkte.

Unter dem neuem Forst-Chef alles beim Alten?

Werden die Waldbrände Konsequenzen haben? fragen sich nun Umweltorganisationen wie Greenpeace und der WWF auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Moskau.

Präsident Dmitri Medwedew hatte nach den Waldbränden den Chef der Forstwirtschaftsbehörde „Rosleschos“ wegen schlechter Arbeit abberufen und seinen Stellvertreter, Viktor Masljakow, zum neuen Chef der Behörde gemacht. Gleichzeitig ordnete Medwedew die Forstbehörde direkt der Regierung unter. Bisher war Rosleschos dem Landwirtschaftsministerium untergeordnet.

Präsident Medwedew forderte zudem  eine Überprüfung des umstrittenen „Wald-Kodex“. Dieses 2007 in Kraft getretene Gesetz führte dazu, dass die Zahl der Forstbeamten von 170.000 auf 12.000 reduziert, und der zentrale Dienst zur Waldbrandbekämpfung per Flugzeug ganz aufgelöst wurde. Das neue Gesetz hatte zur Folge, dass bei Bränden private Feuerwehrdienste angeheuert wurden, die jedoch nicht über die Fachkenntnisse des aufgelösten Waldschutzes verfügen. Die aktuelle Forst-Gesetzgebung sei „brandgefährlich“, erklärte der Waldexperte des WWF, Nikolai Schmatkow.

Bisher sieht es nicht nach dem von den Ökologen geforderten radikalen Kurswechsel aus. Vielleicht wird es Korrekturen bei den „technologischen Prozessen“ geben. „Revolutionäre Veränderungen“ seien jedoch nicht geplant, zitierte die Nesawisimaja Gaseta den neuen Chef der Forstbehörde.

Neue Waldbrände absehbar

Die russischen Umweltverbände sind sich einig in der Meinung, dass sich die katastrophalen Waldbrände wiederholen, wenn der „vollständige staatliche Waldschutz“ und die zentrale Luftüberwachung gegen Waldbrände nicht wieder aufgebaut werden. Die föderalen Organe müssten die örtlichen Behörden stärker kontrollieren. Diese hätten zudem keine Kontrollmöglichkeiten über die privaten Waldpächter und private Feuerwehrdienste welche von den Pächtern angemietet werden.

Wie Umweltschutzexperte Aleksej Simenko mitteilte, sind der Forstwirtschaft durch die Waldbrände wirtschaftliche Schäden von 25.000 Dollar pro Hektar entstanden. Insgesamt betrage der Schaden für den verbrannten Wald 375 Millionen  Dollar. Nicht eingeschlossen in dieser Summe sind die Kosten für die jahrelange Pflege eines wieder aufgeforsteten Waldes sowie die Kosten für die Vernichtung seltener Pflanzen und Tiere.

Ein Drittel der Kraniche tot

Wie viele Vögel vernichtet wurden, könne man erst im Frühjahr sagen, wenn die Zugvögel zurückkommen, erklärte Vogel-Experte Viktor Subakin. Man wisse aber schon jetzt, dass im Kamskaja-Moor, einem Naturschutzgebiet bei Nischni Nowgorod, 90 Prozent des Waldes vernichtet wurden. Von den 400 dort lebenden grauen Kranichen sei ein Drittel tot. Die meisten Vögel starben an der durch die Brände ausgelösten Rauchentwicklung.

Im Kampf gegen Klimawandel und Treibhausgase bedeuten die Waldbrände in Russland einen schweren Rückschlag. Nach Berechnungen des Umweltexperten Aleksej Simenko „schluckt“ ein Hektar Wald an einem warmen und sonnigen Tag 200 Kilogramm Kohlendioxid und gibt gleichzeitig 200 Kilogramm Sauerstoff ab.

Die staatlichen Behörden würden widersprüchliche und insgesamt viel zu niedrige Angaben über die Flächen machen, auf denen es gebrannt hat, kritisierten die Umweltschützer. So habe das internationale Global Fire Monitoring Center vom Jahresanfang 2010 bis zum 13. August eine durch Feuer vernichtete Fläche von 15 Millionen Hektar errechnet. Die russischen Behörden hatten die Brand-Flächen mit einem zehnmal niedrigeren Wert beziffert.

Verdoppelung der Todesrate bestätigt

Was die Moskauer Gesundheitsbehörde bereits während des Smog im August meldete, hat jetzt Gesundheitsministerin Tatjana Golikowa offiziell bestätigt: Die Zahl der Toten in Moskau hat sich im Hitzemonat Juli 2010 im Vergleich zum Juli 2009 verdoppelt. Viele Gebiete in Russland waren von Waldbränden und Smog betroffen. Insgesamt ist die Zahl der Toten in Russland im Juli 2010 im Vergleich zum Juli 2009 um 8,6 Prozent gestiegen, in Moskau sogar um 50,7 Prozent. In ganz Russland gab es infolge der Rekordhitze einen Anstieg der Todesfälle insbesondere bei Kreislaufkrankheiten (plus 10,6 Prozent) und beim plötzliches Ertrinken (plus 45,2 Prozent).
 
Ein Sommer mit Hitze und Rauch in Moskau scheint besonders ungesund zu sein, denn andere russische Regionen, die ebenfalls unter Rekordhitze und Smog litten, haben weit niedrigere Todesraten. So stieg die Zahl der Todesfälle im Wladimir- und Rjasan-Gebiet nur um 18 bzw. 13 Prozent. Beide Gebiete liegen im Moskauer Umland und waren ebenfalls stark von Rauch und Hitze betroffen. Über die Gründe warum die Hitze in Moskau so todbringend ist, gibt es bisher nur Vermutungen. Offenbar lässt die Luftqualität in der 12-Millionen-Stadt im Normalzustand zu wünschen übrig.

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