Friedenssymbol in der SteppeASTANA

Friedenssymbol in der Steppe

Friedenssymbol in der Steppe

Die neue Hauptstadt von Kasachstan setzt Maßstäbe in Zentralasien. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Einwohnerzahl verdreifacht.

Von Ulrich Heyden

Z ielsicher steuert Paul Kirol seinen hellblauen VW Touareg durch den dichten Stadtverkehr von Astana. Während der 42jährige das Geschehen auf der Straße der kasachischen Hauptstadt im Auge hält, erzählt er mir mit Seelenruhe und Humor, wie er Unternehmer wurde. Von der Ausbildung her ist Kirol eigentlich Tierarzt. Doch seit Anfang der 1990er Jahre handelt er mit allem möglichen, was aus Deutschland kommt und wegen seiner Qualität in Kasachstan heiß begehrt ist: mit Gebrauchtwagen, Heizkesseln und zuletzt sogar mit landwirtschaftlichen Maschinen. Es fiel Kirol leicht die Brücke nach Deutschland zu schlagen, denn der Selfmade-Unternehmer ist einer von 178.000 Kasachstandeutschen, die immer noch in der inzwischen wirtschaftlich potenten Republik leben.

Anfang der 1990er Jahre, als in Kasachstan die Fabriken stillstanden und weder Löhne noch Renten gezahlt wurden, machte sich Kirol selbstständig. Um seine Familie zu ernähren begann er Rinder zu schlachten, zu räuchern und auf Märkten zu verkaufen. 1993 kaufte er sich seinen ersten Mercedes in Deutschland und danach noch viele andere Autos, die er im autohungrigen Kasachstan verkaufte.

Pendeln zwischen Berlin und Astana

Weil ein Ende der Wirtschaftskrise in Kasachstan nicht abzusehen war, siedelte Kirol dann 1995 mit Kindern, Ehefrau und Eltern nach Berlin über. Doch der Jung-Unternehmer erkannte bald, dass in Kasachstan langfristig das größere Geschäft winkt und so ging Kirol wieder zurück nach Astana. Als die Regierung von Kasachstan 1997 die Hauptstadt des Landes von Almaty nach Astana verlegte, hatte Kirol sofort seine Marktlücke gefunden. Er handelte mit deutschen Produkten, die man für den Hausbau braucht, Heizbrennern, Pumpen und Plastikrohren. 

Händler und kleine Gewerbetreibende haben es immer noch nicht leicht in Kasachstan, meint Kirol. „Manch Beamter spricht abwertend von ´Samosanjatost´ (Selbstbeschäftigung).“ Doch inzwischen erkennen auch die Behörden in Kasachstan, wie wichtig die Klein-Betriebe für das Vorankommen der Wirtschaft sind. Allein auf die Gewinne aus dem Geschäft mit Öl und Gas will sich auch die kasachische Regierung nicht mehr verlassen, weshalb man jetzt ein groß angelegtes Industrialisierungs- und Diversifizierungsprogramm verfolgt. Täglich berichtet das kasachische Fernsehen über modernisierte Unternehmen.

Kartoffeln aus Rostock

Nach einem Zwischenspiel als Eigner des „Hotel Berlin“ in Astana ist Paul Kirol nun voll in die Landwirtschaft eingestiegen. Er gründete ein Unternehmen zur Lagerung und Kühlung von 5.000 Tonnen Gemüse und kaufte 500 Hektar Ackerfläche  icht weit von Astana. Der Staat unterstützte die Unternehmensgründung, denn Präsident Nasarbajew hat die Förderung von landwirtschaftlichen Betrieben rund um Astana angeordnet, erzählt Kirol. Nur so lasse sich die Ernährung der  Hauptstadt sicherstellen.

Erst vor wenigen Monaten hat der agile Unternehmer bei der Firma Norica in Rostock 60 Tonnen verschiedener Kartoffel-Sorten gekauft, die er jetzt auf seinem Acker testen will. Außerdem kaufte Kirol in Deutschland alle möglichen landwirtschaftlichen Maschinen, die man für den Kartoffelanbau braucht. Der Staat hatte Kirol mit einem Kredit unterstützt. Doch über Rückzahlung gab es jetzt Streit. Die Behörden, so berichtet Unternehmer Kirol, habe den Kredit zwar in der kasachischen Währung Tenge gegeben, sei nun aber auf die Idee gekommen, den Kredit an den Dollar anzukoppeln. Die Nationalbank wolle ihre Verluste über diese „Indexierung“ auf die Kunden abwälzen, meint Kirol. Trotzdem ist der Unternehmer optimistisch, dass sich alles zum Guten wendet. Als Mittler zwischen Deutschland und Kasachstan ist der Geschäftsmann auch für die kasachischen Behörden ein wichtiger Mann.

Der Sprung nach Norden

Trotz zeitweiser Schwierigkeiten: Der Kasachstandeutsche Kirol ist ein Gewinner der kasachischen Unabhängigkeit, die auch den Bau der neuen Hauptstadt Astana mit sich brachte. Mit der neuen Stadt will der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew seinem Land ein modernes Gesicht geben und wohl auch separatistische Tendenzen in Nordkasachstan dämpfen. Dort leben viele Russen. Während der Krisenjahre Anfang der 1990er Jahr sind sie allerdings recht zahlreich ausgewandert. Das habe jedoch rein wirtschaftliche Gründe gehabt, wie man von offizieller Seite erklärt.

Eine Benachteiligung der Russen in Kasachstan gäbe es heute nicht. Die von Präsident Nursultan Nasarbajew ausgegebene Staatsideologie lautet kurz gefasst: Eintracht der verschiedenen Nationalitäten. Und es gibt zahlreiche Gebäude in Astana, die eben für diesen Gedanken stehen, so etwa die vom britischen Architekten Norman Foster entworfene „Pyramide des Friedens und der Eintracht“. Das Bauwerk aus Glas und Stahl ist 77 Meter hoch und soll die Verständigung zwischen den verschiedenen Religionen symbolisieren.

Tropenlandschaft im Riesenzelt

Norman Foster hat in Astana noch ein zweites imposantes Gebäude errichtet. In dem transparenten Zelt „Khan Shatyr“, das von einer 150 Meter hohen Stahlstrebe getragen wird, ist ein Einkaufszentrum untergebracht. Hier tummelt sich das Volk. Vielen kommen einfach nur um zu gucken. Das Gebäude mit einer Fläche von 130.000 Quadratmetern wurde im letzten Jahr eingeweiht. Die Galerien mit den Läden winden sich in harmonischen Bögen unter dem Zeltdach. Die Architektur ist so mitreißend, dass gar nicht so auffällt, dass es sich um einen Konsumtempel handelt. Ganz oben im Khan Shatyr befindet sich ein tropisches Erlebnisbad. Das ist gerade das Richtige für die kalten kasachischen Winter, wenn das Thermometer auf 40 Grad minus fällt. Der Spaß hat jedoch mit umgerechnet 30 Euro auch seinen Preis. Doch der Tropenstrand ist voller Kinder und junger Leute.

Der Umbau der alten Stadt Zelinograd zur Hauptstadt Astana war ein kostspieliger Akt. Seit 2001 hat der Staat jährlich etwa eine Milliarde Dollar für Infrastruktur und Gebäude ausgegeben, berichtet Amanzhol Chikanaev, einer der kasachischen Architekten, die führend am Bau der neuen Hauptstadt beteiligt waren.

Ich treffe den grauhaarigen Mann in einem der Freizeitzentren in der neuen Hauptstadt, wo er sich gerade mit seinem Enkel die Zeit vertreibt. „Zu den staatlichen Investitionen kommen noch mal 15 Milliarden Dollar private Investitionen“, erklärte der Stadtplaner. Kasachstan konnte sich das Projekt Astana leisten, weil es enorme Einnahmen beim Öl- und Gasgeschäft habe. Viele Bauprojekte würden aber auch von muslimischen Staaten wie Saudi-Arabien, Kuwait und dem Emirat Katar gesponsert.

Doch das Projekt „neue Hauptstadt“ entwickelte bald eine eigene Dynamik. Seit 2001 stieg die Einwohnerzahl von Astana von 200.000 auf 700.000 Menschen. Für das Jahr 2030 hat man eine Einwohnerzahl von 1,25 Millionen Einwohner angepeilt. Mit dem Run auf die neue Hauptstadt stiegen jedoch auch die Quadratmeterpreise für Immobilien. Während in kleineren Städten des Landes der Wohnungspreis bei 500 Dollar pro Quadratmeter liegt, muss man in Astana 3.000 bis 4.000 Dollar pro Quadratmeter bezahlen.

Kaum kasachische Symbolik

In der neuen Hauptstadt sind Gebäude der Superlative entstanden, entworfen von ausländischen Architekten. Der Generalplan der Stadt stammt von dem Japaner Kisho Kurakawa. Gebäude mit kasachischen Motiven findet man kaum. Doch der kasachische Architekt und Stadtplaner Amanzhol Chikanaev erwartete, dass in Zukunft auch die jungen, kasachischen Architekten  Stadtviertel mit kasachischer Architektur bauen.

Chikanew lobt den Generalplan des japanischen Architekten als eine „Symbiose mit der Natur“. Statt Betonwüsten gäbe es Öko-Korridore. Tatsächlich ziehen sich um die Wolkenkratzer und zahlreichen Kulturbauten viel freie Flächen. Nur die Anpflanzungen wirken noch etwas kümmerlich. Im rauen Steppenklima gedeihen Bäume nicht allzu schnell. Für die Müll-Deponie der Stadt benutze man eine Technologie aus Spanien, die das Grundwasser schützt, berichtet Chikanaew. Im Herbst soll eine Fabrik zur Müll-Sortierung und Weiterverarbeitung ihren Betrieb aufnehmen. Strom und Fernwärme kommen von zwei Kohlekraftwerken.

Zwei große Moscheen

Zu den neuen Bauten in Astana gehören auch zwei große Moscheen. Eine davon ist noch im Bau. Die schneeweiße Nur-Astana-Moschee mit ihren vier schlanken Minaretten ist bereits eingeweiht. Als ich das Gotteshaus besichtige, bin ich erstaunt darüber, wie entspannt es dort zugeht. Kleine Kinder laufen quer durch die große Gebetshalle ihren Eltern hinterher und rufen laut, ohne dass sie jemand zur Ordnung ruft. In einer Ecke empfängt der stellvertretende Imam Paare und Trauzeugen zur islamischen Ehe-Zeremonie. In der großen Halle kommen sowohl Männer als auch Frauen zum Gebet.

Nach dem Islam in Kasachstan gefragt, antwortet Salim Aschat, der stellvertretende Imam der Moschee, „unser Land geht den Weg von Toleranz und Eintracht“. Frauen zu bestrafen, das sei in Kasachstan nicht üblich. „Wir sind ein weltlicher Staat. Wir gehen den goldenen Mittelweg“. Tatsächlich: Auch in den Straßen von Astana sieht man keine verschleierten Frauen. Das weibliche Geschlecht kleidet sich vorwiegend europäisch. Die wenigen Frauen in langen Gewändern haben ihre Gesichter nicht verdeckt.

Zwei Tage später führt der Weg hinaus aus der Stadt. In einem alten Mercedes geht es im Höllentempo auf der schmalen Fernstraße Richtung Westen. Rechts und links sieht man nur die unendlich weite und zu dieser Jahreszeit grüne Steppe. Nur selten bekommt man jedoch bestellte Felder zu Gesicht. Das meiste ist grünes Weideland. Im Dorf Sabyndy besuche ich eine Fleischfabrik. Das moderne Unternehmen mit dem Namen „Bakara“ wurde erst letztes Jahr in Betrieb genommen und gehört zu den kasachischen Fabriken, um die sich der Staat besonders kümmert, weil sie den Weg in eine industrielle Zukunft weisen. Die Fabrikhallen sind mit Schleusen gegen Keime geschützt. Hier wird aus Kälbern, Hammel und Pferden Frisch-Fleisch und Wurst hergestellt. Die Anlagen für die Fleischverarbeitung hat die deutsche Firma EMF aus Nienburg an der Weser geliefert.

Schächten mit deutscher Ausrüstung

Gleich im Eingang der schmucklosen Fabrik fallen mir die Diplome auf, die an der Wand hängen. Eines ist von einem islamischen Institut in Malaysia, welches der Fabrik bescheinigt, nach islamischem Ritus zu schlachten. „Wir wollen unser Fleisch in islamische Länder exportieren“, erklärt Kuanisch Nurkijanow, der junge Direktor der Fabrik, in der pro Schicht 50 bis 70 Kälber und Ochsen geschlachtet werden.

Später sehe ich mit eigenen Augen die halbautomatische Box, in welcher die Kälber eingespannt werden. Bevor der Metzger mit einem Schnitt die Kehle des Tieres durchschneidet, spricht er auf Arabisch die Worte „Im Namen des großen Allah“. Das Tier verliert das Bewusstsein und blutet in wenigen Minuten aus. Als er meinen erstaunten Blick sieht, meinte der junge Fabrikdirektor „einen Hammel oder ein Rind schlachten, das kann in Kasachstan jeder Mann“.

Später, als wir Pferdewurst und andere Leckereien degustieren, erklärt mir der Direktor, Kasachstan sei mit seinem Fleisch durchaus konkurrenzfähig. Ein Kilo Hammel koste in Kasachstan zehn Dollar, im benachbarten Russland liege der Preis dagegen zwischen 50 und 100 Dollar. Doch den russischen Fleischmarkt zu erobern sei sehr schwer, weil dort schon Händler aus der Türkei und Brasilien am Drücker seien. Es bleibe aber die Hoffnung auf die islamischen Länder in Asien.

Als wir auf Rückweg nach Astana wieder in unserem Mercedes sitzen, bin ich doch ziemlich baff. Die Wolkenkratzer-Stadt ist am schnurgeraden Horizont überhaupt nicht zu sehen. Doch je weiter wir nach Osten fahren, taucht Astana doch langsam wieder auf, zunächst klitzeklein, dann immer größer werdend. Und schließlich hat uns die Stadt wieder, mit ihrem Verkehrsgewühl, den üppigen Springbrunnen, Minaretten, großen Plätzen und aufregend gestalteten Fassaden, die sich dem Himmel entgegenstrecken.

Informationen zu Kasachstan
  • Kasachstan hat 16 Millionen Einwohner, davon sind zehn Millionen Kasachen und 3,7 Millionen Russen.
  • Das Land ist wegen seines Reichtums an Öl, Gas und anderen Rohstoffen die stärkste Wirtschaftsmacht Zentralasiens.
  • Kasachstan ist viertgrößter Erdöllieferant Deutschlands.
  • 70 Prozent der Bevölkerung sind Moslems, 26 Prozent Christen.
  • Kasachstan ist kein Gottesstaat, sondern hat eine weltliche Verfassung.
  • Das Land, das früher zur Sowjetunion gehörte, wurde am 16. Dezember 1991 unabhängig. Die Atomwaffen wurden zur Vernichtung nach Russland transportiert.
  • Staatssprache ist Kasachisch. Russisch hat nach der Verfassung in öffentlichen Einrichtungen aber den gleichen Rang wie Kasachisch. Auf den Straßen in Astana wird vorwiegend Russisch gesprochen.
  • Kasachstan ist seit dem 1. Juli 2011 mit Russland und Wießrussland in einer Zollunion verbunden, hat aber auch strategische Partnerschaften mit Europa und den USA.

Kasachstan Zentralasien

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