Von Märchenlandschaften und verheerenden UmweltsündenKASACHSTAN

Von Märchenlandschaften und verheerenden Umweltsünden

Von Märchenlandschaften und verheerenden Umweltsünden

Kasachstan erlebt dank seiner Rohstoffe einen beeindruckenden Wirtschaftsboom. Gleichzeitig hat die Profitgier hier schon zwei der größten Umweltkatastrophen aller Zeiten ausgelöst. Nun wächst unter Bürgern das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und sie wehren sich gegen rücksichtslose Wirtschaftsvorhaben.

Von Caroline von Eichhorn

Helene Bouchet und Carsten Jung tanzten beim Gala-Konzert im Bolschoi-Theater.
Zur Person: Caroline von Eichhorn
Caroline von Eichhorn wurde 1986 in Deggendorf geboren. Sie hat Kunst, Politik und Kommunikationsdesign in München und London studiert und eine journalistische Ausbildung absolviert. Sie lebt als freie Journalistin in London.

Unwirklich schön! So beschreiben Touristen die wilden Landschaften im kasachischen Nationalpark Ile-Alatau. Blau leuchten Bergseen inmitten von dichten, schwarzgrünen Tannenwäldern, Bäche plätschern ins Tal, in dem Wildäpfel in Hülle und Fülle darauf warten, gepflückt zu werden – beeindruckend wie ein Bob Ross-Gemälde.

Noch nicht viele ausländische Touristen waren in dem kleinen Nationalpark, 25 Kilometer von Kasachstans ehemaliger Hauptstadt Almaty entfernt. Umso mehr Einheimische nutzen das Idyll um am Wochenende mit einem Picknick der Großstadt-Hast zu entkommen.

Doch die Regierung will das Naturparadies bald anderweitig nutzen und ein Skiressort in den Nationalpark bauen. Damit will sie den Tourismus ausbauen und das Land für die Olympischen Spiele 2026 attraktiver machen. 500 Kilometer Pisten sollen entstehen. Es ist eines der bedeutendsten Tourismus-Vorhaben des Landes. Der Bau würde fast ein Drittel des Nationalparks beanspruchen.

„Die größte Bürgerbewegung Kasachstans“

„Warum baut man ein Skiressort und zerstört große Flächen vielfältiger Flora und Fauna, wenn dort schon vier andere sind?“ fragt sich die 23-jährige Kasachin Dana Aveilag. Sie wohnt in Almaty und verbringt ihre Freizeit gern mit Freunden, Schaschlik und Kuchen in Ile-Alatau. Zudem würde Almaty unter noch mehr Smog leiden – die Stadt gehört jetzt schon zu den zehn Schmutzigsten der Welt. „Es sollten erst mal die alten Skigebiete renoviert und mit neuem Personal ausgestattet werden. Sie sind in sehr schlechtem Zustand.“ Dana Aveilag hat sich einer Protestbewegung gegen den Bau des Skiressorts angeschlossen. „Es ist die größte Bürgerbewegung Kasachstans“, schätzt Dagmar Schreiber. Die Berlinerin lebt seit 15 Jahren in Almaty und arbeitet als Autorin und Reiseorganisatorin.

Kasachstan ist achtmal so groß wie Deutschland - und das größte und erfolgreichste Land Zentralasiens. Mit dem Export seiner Bodenschätze Öl, Erdgas, Kohle und Eisenerz – beim Uranexport ist Kasachstan Weltmeister – kann es sich einige Riesenprojekte leisten, so wie die neue Hauptstadt Astana, in deren Architektur zehn Milliarden US-Dollar geflossen sind, Casinostädte für chinesische Touristen oder Mega-Hotelanlagen mit Kunststränden.

Pläne der Superlative sind in Kasachstan nicht neu. Auch zu sowjetischen Zeiten wollte man von den weiten und fruchtbaren Gebieten wirtschaftlich profitieren – und verursachte damit zwei der größten Umweltkatastrophen der Welt.

Erstere ist der fast ausgetrocknete Aralsee, einst der weltweit viertgrößte Binnensee, an der Grenze zu Usbekistan. „Wir werden der größte Baumwollproduzent der Welt!“ - Das war das Ziel zu Sowjetzeiten, wofür mit 90 Prozent der Seewassermenge Baumwollfelder bewässert wurden. Zurück blieben ein in kleine Stücke zerfallener See, versalzte Erde, Pestizide. Laut Studien hat die Austrocknung das Klima verändert und Krankheiten von Krebs bis zu geistiger Unterentwicklung verursacht. Von 24 Fischarten sind nur noch fünf übrig.

40 Jahre Atomkrieg geprobt

Ähnlich fürchterlich ist das Szenario im Steppenland Semipalatinsk, 800 Kilometer nördlich von Almaty. Dort probten die Sowjets 40 Jahre lang den Atomkrieg – ohne Rücksicht auf die eine Millionen Bewohner. Radioaktiver Regen brachte Glasknochen, Hirnschäden und Tod. Auch heute sind noch ganze Dörfer kontaminiert, die Selbstmordrate ist hoch.

Die beiden Umweltkatastrophen gehören zwar der sowjetischen Vergangenheit an – „aber die autoritäre Regierung investiert immer noch lieber in Prestigeprojekte als in den Naturschutz“, sagt Dagmar Schreiber. Sie liest täglich von schnelllebigen Plänen in der Zeitung: von 3000 Kilometer langen Kanälen über Verbrennungen von Milliarden Tonnen Müll bis zur umweltbelastenden Rohstoffförderung.

Umweltbewusstsein ist noch ein Fremdwort

Auch der Lebensstil der 16 Millionen Kasachen wird zum Umweltproblem. Im Winter drehe jeder die Heizung voll auf. Beim Fleischverzehr hielte sich traditionell keiner zurück. Zum Frühstück, Mittag, Abendessen, zum Nachtmahl noch einmal – Fleisch! Von Mülltrennung habe noch fast keiner etwas gehört. Umweltbewusstsein ist vielen in Kasachstan neu oder gar unbekannt. „Es gibt auf Russisch gar keine Vokabel für Nachhaltigkeit,“ sagt Dagmar Schreiber.

Umso erstaunlicher ist, dass sich nun trotzdem grüner Protest formiert. Regelmäßig treffen und beraten sich immer mehr Skiressort-Gegner wie Dagmar Schreiber und Dana Aveilag und versuchen möglichst viele rechtliche Wege des Widerstands auszuschöpfen. „Die Bewegung muss man sich anders vorstellen, als in Deutschland.“ sagt die 50-Jährige. Unter dem diktatorischen Regime sei es nicht leicht, Regierungskritik zu äußern. „Öffentlich versammeln dürfen wir uns nicht, das Versammlungsrecht lässt es nicht zu.“

Einen offenen Brief an den Präsidenten Nursultan Nasarbajew richten, Politiker aufklären und mobilisieren, Foren organisieren und Stimmen sammeln sind deshalb die ersten Schritte – sie zeigen schon Wirkung. Die ökologische Vereinigung Green Salvation hat online über 5000 Unterschriften gegen den Bau des Skiressorts zusammengetragen. Auch die Olympiasportlerin und Biathletin Elena Khrustaleva hat sich dagegen ausgesprochen. „Wir hoffen, dass die Zivilgesellschaft - ein sehr zartes Pflänzchen in Kasachstan - an dieser Debatte wächst und erstarkt“, sagt Schreiber. „Und dass die Regierung durch Druck und Kreativität seiner Bürger dazu gebracht werden kann, Alternativen zu akzeptieren.“

Kasachstan Zentralasien

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