09.08.2023 13:11:56
Von Ulrike Fischer
EM – Auf dem Weg ins Hotel sei er gewesen, vom Restaurant auf dem Newski-Prospekt im Zentrum von St. Petersburg habe Franz Siegel die wenigen Meter zu Fuß gehen wollen. Doch der Österreicher kam nicht weit. „Direkt vor der Bar haben mich zwei Polizisten gestoppt und meine Papiere verlangt“, erinnert er sich an Taschenkontrolle und Körpervisite: „Drogenkontrolle haben sie es genannt.“ Der Klarinettist einer Salzburger Folkloregruppe ließ die Prozedur über sich ergehen. Erst später fiel ihm auf, daß sein gesamtes Bargeld fehlte.
Solche Situationen sind nicht selten in der Newametropole. Die Zahl gemeldeter Übergriffe wächst, und die diplomatischen Vertretungen warnen ihre Landsleute nun offiziell vor Tätern in Uniform. Das finnische Außenministerium hat einen Sicherheitshinweis auf seine Netzseite gestellt. Auch der britische Konsul Tim Waite fühle sich „mit einfachen Leuten auf der Straße sicherer als in Gegenwart der Polizei“, betonte er gegenüber der St. Petersburg Times. Sein Konsulat hat allein im Sommer sieben Anzeigen aufgenommen. Zwei schwedischen Diplomaten wurden in Polizeigewahrsam blaue Augen und eine blutige Nase geschlagen. Der Grund: Sie waren ohne Paß unterwegs und weigerten sich, mit zur Wache zu fahren.
„Touristen sprechen kaum Russisch. Das nutzen die Uniformierten aus“, erklärt Anna Axmann, bis vor kurzem Chefin eines hiesigen Reiseunternehmens. „Doch selbst erfahrene Rußlandbesucher haben wenig Chancen“, meint die Schwedin. Sie selbst sei zwei Mal innerhalb eines Monats von der Polizei ausgeraubt worden. „Fünf Männer haben mich umstellt, drei andere haben abseits meine Tasche durchsucht.“ Danach fehlten ihr 6000 Rubel (190 Euro). Am selben Abend noch hat die Mittdreißigerin doppelt Anzeige erstattet, auf dem Revier und beim schwedischen Konsulat. „Meist gehen die Unterlagen verloren“, erklärt sie die laschen Methoden der Strafverfolgung hierzulande. „Die Abteilungen arbeiten zusammen. Der Gewinn wird untereinander aufgeteilt.“ Deshalb habe sie der Polizei den Kampf angesagt.
Als erste reagierten die schwedischen Medien. Wenig später informierten auch die Zeitungen im Inland über den Fall. „Unglaublich, wie schnell sich weitere Opfer fanden“, erzählt die blonde Frau, die vor elf Jahren in den russischen Norden gekommen war. In Briefen und Anrufen hätten Amerikaner, Polen und Norweger über geleerte Brieftaschen und verschwundene Mobiltelefone geklagt.
Schon vor einem Jahr hatte die Petersburger Vizegouverneurin Anna Markowa das diplomatische Corps an der Newa aufgefordert, mit Polizei und Stadtverwaltung die Kriminalität in der Stadt zu bekämpfen. „Leider ist die Idee nach drei Sitzungen eingeschlafen”, bedauert der Generalkonsul der Bundesrepublik in St. Petersburg, Ulrich Schöning.
Auch Präsident Wladimir Putin will den Ruf seiner Heimat als Hauptstadt der Kriminalität nun nicht länger hinnehmen. Sein im Juli letzten Jahres neu ins Amt gerufener Innenminister Boris Grislow legte mit einem Report den Korruptionsfilz offen. Zahlreiche ranghohe Polizeibeamte wurden entlassen. Nun soll ein neuer Polizeichef Putins Kampagne weiter führen. Lew Loschilow, Chef der kommunalen Abteilung zum Kampf gegen Übergriffe auf Ausländer, sieht die Situation zwiespältig: „Unsere Leute sind unterbezahlt. Deshalb haben wir zu wenig und schlecht ausgebildetes Personal.“ Indirekt sei die Stadtverwaltung sogar mit dieser Art Lohnzuschuß einverstanden, klagt er. Die Ordnungshüter ihrerseits sind empört: „Kann man mit 4 000 Rubel (130 Euro) eine Familie ernähren?“, fragt Sergeij Pulin, der seit vier Jahren im Randbezirk Primorskoje Streife fährt.
Lew Loschilo empfiehlt derweil, wie man sich vor dem unheilvollen Freund und Helfer schützen könne: „Sich gegen Kontrollen zu wehren ist ungesetzlich. Außerdem sind die Polizisten bewaffnet. Am besten, sie merken sich Auffälligkeiten, Auto- oder Dienstnummer“, rät er den Gästen seiner Stadt.
Die Autorin ist Chefin vom Dienst bei der St. Petersburgischen Zeitung, einer der ältesten Zeitungen Rußlands.
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