„Hochschullehre in Osteuropa“GELESEN

„Hochschullehre in Osteuropa“

Eindrücke, Erfahrungen und Analysen deutscher Gastlektoren.

Von Nico Lange

„Geistes- und sozialwissenschaftliche Hochschullehre in Osteuropa 1. Eindrücke, Erfahrungen und Analysen deutscher Gastlektoren.“ Hrsg. von Andreas Umland  
„Geistes- und sozialwissen-schaftliche Hochschul-lehre in Osteuropa 1. Eindrücke, Erfahrungen und Analysen deutscher Gastlektoren.“ Hrsg. von Andreas Umland  

Seit mehr als zehn Jahren arbeiten junge Akademiker aus Deutschland in Programmen der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) als Gastdozenten an Universitäten in postkommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas. Der von Andreas Umland herausgegebene Band „Geistes- und sozialwissenschaftliche Hochschullehre in Osteuropa“ sammelt laut Untertitel „Eindrücke, Erfahrungen und Analysen“ dieser Lektoren.

Das Spektrum der Beiträge ist weit gefächert und reicht von der Beschreibung von Besonderheiten im Arbeitsalltag in russischen Universitäten über linguistische und kulturelle Betrachtungen bis hin zu methodischen Erfahrungen und politischen Problemen.

Ein breites Spektrum von Erfahrungen an osteuropäischen Universitäten

In einem sehr lesenswerten Aufsatz beschreibt Sigrid Freunek einige Eigenarten des russischen Studienalltages und russischer Studienkultur anhand linguistischer Anschauung. Eindrucksvoll ist auch der Bericht von Tim Peters, in dem er schildert, wie der Plan für ein studentisches Projekt zur Wahlbeobachtung zu einer Vorladung beim russischen Geheimdienst führt.

Der Beitrag von Silke Erdmann zum Thema „Vernunftbehinderung“ zeigt sehr deutlich auf, wie gravierend die Unterschiede in der Herangehensweise an Wissensvermittlung und Studium in Osteuropa und an deutschen Universitäten sind. Vor allem die erheblichen didaktischen Probleme, mit denen sich deutsche Gastdozenten vor Ort konfrontiert sehen, und einige Ansätze zur Überwindung der methodischen Hürden werden dargestellt.

Einblicke in Geschlechterrollen und Hintergründe zu Korruption an Hochschulen

Franka Kühn thematisiert in ihrem Beitrag Geschlechterrollen anhand von konkreten Fallbespielen, die in erschreckender Weise Einblicke in die existentiellen materiellen Probleme liefern, mit denen sich sowohl Studierende als auch Lehrende in Rußland konfrontiert sehen.

Geradezu schockierend ist auch der Artikel von Andreas Goldthau und Oliver Schütt, der das entwickelte Korruptionssystem an einer sibirischen Universität zum Thema hat. Gerade vor dem Hintergrund, daß das Bildungswesen im aktuellen Korruptionsindex für Rußland einen der unrühmlichen ersten Plätze einnimmt, ist dieser Beitrag sehr aufschlußreich.

Eine zusammenfassende Bewertung des Bands ist nicht einfach. Er enthält Beiträge mit sehr unterschiedlichem Anspruch in disparater Qualität. Leider sind die Aufsätze zum überwiegenden Teil sehr kurz und beschränken sich zumeist auf subjektive Eindrücke der Autoren in ihrem jeweiligen Umfeld. Tiefergehende Analysen und das Aufdecken von Hintergründen zu den geschilderten Besonderheiten des Universitätswesens in Osteuropa werden an vielen Stellen vermißt. Auch als lehrmethodischer Ratgeber oder Arbeitshilfe vor Ort ist der Band nur sehr bedingt geeignet.

Umland hätte gut daran getan, das Buch in der Einleitung als das zu präsentieren, was es ist: eine interessante und vielfältige Sammlung von subjektiven Erfahrungen aus der Lehrtätigkeit an osteuropäischen Universitäten. Sein Versuch, wissenschaftlichen bzw. lehrbuchhaften Anspruch nachzuweisen, ist wenig überzeugend. Eine Einleitung mit Folgen von Seiten, die bis auf eine Zeile nur aus Fußnoten bestehen, wirkt gerade im Zusammenhang mit den eher locker formulierten Texten der beteiligten Autoren eher befremdlich und bemüht.

Abgesehen davon ist das Buch sehr kurzweilig zu lesen, zuweilen sogar unterhaltsam. Der Band ist eine lohnenswerte Lektüre nicht nur für aktuelle und künftige Gastdozenten, sondern auch für Beteiligte an universitären Austauschprogrammen und Wissenschaftler, die Kontakt zu Partneruniversitäten in Osteuropa haben. Auch Studierende, die sich mit dem Gedanken eines Auslandssemesters in Osteuropa tragen, sollten anlesen.

*

Rezension zu „Geistes- und sozialwissenschaftliche Hochschullehre in Osteuropa 1. Eindrücke, Erfahrungen und Analysen deutscher Gastlektoren.“ Hrsg. von Andreas Umland, Peter Lang 2005, Frankfurt am Main, 171 Seiten, 36,80 Euro.

Forschung Osteuropa Rezension

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