Sind die postkommunistischen Staaten Osteuropas demokratiefähig?DEMOKRATIE-FORSCHUNG

Sind die postkommunistischen Staaten Osteuropas demokratiefähig?

Will Russlands Präsident Putin überhaupt ein demokratisches Russland? Steckt der Transformationsprozess in der Ukraine nach der „Orangenen Revolution“ in der Sackgasse? Treibt Lukaschenko mit Weißrussland weiter in den Totalitarismus ab? In einem mehrjährigen Forschungsprojekt wollen Politologen und Historiker verschiedener Länder herausfinden, wohin die postkommunistischen Staaten in Osteuropa und Zentralasien steuern. Den Auftakt bildete ein wissenschaftliches Symposium am 12. und 13. Mai an der Universität Regensburg.

Von Juliane Inozemtsev

M anchmal muss ein Wissenschaftler warten können, bis die Zeit für seine Theorie reif ist. Auch Jerzy Macków, Professor für vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Regensburg, hatte seine „Sackgassen-Theorie“ Ende der 90er Jahre erst einmal zurück in die Schublade gelegt. Zu unpopulär war damals noch sein Ansatz, dass der Demokratisierungsprozess in einigen postkommunistischen Ländern des ehemaligen Ostblocks gescheitert sein könnte. „Nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches waren Historiker und Politologen gleichermaßen beflügelt vom Ende des Kalten Krieges und der Vorstellung, dass nun lauter junge Demokratien entstehen würden“, erinnert sich Macków. „Wer das bezweifelte, galt als Pessimist und Spielverderber.“ Zwar habe zu Beginn der 90er Jahre niemand erwartet, dass sich die totalitär geprägten Systeme über Nacht in freiheitliche, pluralistische und marktwirtschaftlich orientierte Staaten verwandeln würden. Es stand jedoch außer Frage, dass die Transformation gelingen würde, so der aus Polen stammende Wissenschaftler.

Fünfzehn Jahre nach dem offiziellen Ende der Sowjetunion haben die einzelnen Ostblock-Länder einen sehr unterschiedlichen Demokratisierungsgrad erreicht. Damit ist die Zeit für einen politikwissenschaftlichen Diskurs nun reif, findet Macków. Er ist Initiator des mehrjährigen Forschungsprojektes „Profile postkommunistischer Autoritarismen“, bei dem Politologen und Historiker verschiedener Länder bis zum Jahr 2010 systematisch untersuchen wollen, wie weit der Transformationsprozess in den ehemaligen Sowjetrepubliken gekommen ist und vor allem, ob demokratische Strukturen eine realistische Chance haben, sich dort dauerhaft zu etablieren. Aus den einzelnen und vergleichenden Länderstudien soll am Ende ein Buch entstehen, von dem man hofft, dass es eine wichtige Lücke in der Transformationsforschung schließen wird.

Demokratie ist oft nur vorgegaukelt

Eine zentrale These von Mackóws  ist: Die politische Nomenklatura der meisten unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken hat dem Westen die schrittweise Demokratisierung nur vorgegaukelt. In Wirklichkeit hat sie auf die Verfestigung ihrer autoritären Strukturen hingearbeitet. Beispiele für solche inzwischen festgefügten Autoritarismen seien Russland, die Republik Moldau und die Republik Weißrussland.

Zwar sei ein Autoritarismus im wissenschaftlichen Sinne die natürliche Übergangsform vom Totalitarismus zur Demokratie, weil er Elemente beider Seiten vereinige, so Macków. Nach so vielen Jahren halte er es jedoch für naiv, noch von Übergangs-Autoritarismen zu sprechen.

In Fachkreisen anerkannte Forscher, darunter Alexander Motyl, Professor für Politikwissenschaften an der Rutgers Universität New Jersey, Dr. Heinz Timmermann von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Prof. Leonid Luks,  Osteuropahistoriker an der Katholischen Universität Eichstätt,  haben ihre Teilnahme am Projekt bereits zugesagt. Dabei teilen sie durchaus nicht uneingeschränkt Mackóws These von der gescheiterten Demokratisierung. Vielmehr sehen sie autoritäre Systemen der Gegenwart, wie Russland und Weißrussland, nicht nur als Niederlage für die Demokratie, sondern ebenso für den Totalitarismus. Um die berühmte Frage nach dem halbvollen oder halbleeren Glas entscheiden zu können, bedarf es jedoch ausführlicher Länderstudien, wie es sie über die ehemaligen Satellitenstaaten, namentlich Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei sowie das Baltikum, Slowenien, Bulgarien und Rumänien bereits gibt. In diesen Ländern, von denen die meisten schon zu Sowjetzeiten Nationalstaaten mit einer eigenen Identität waren, gilt die Transformation als in hohem Maße geglückt.

Demokratisierung ist für viele Menschen fast ein Schimpfwort

Was die ehemaligen Sowjetrepubliken anbelangt, herrscht in der Transformationsforschung zwar ein breiter Konsens darüber, dass es noch deutliche Demokratiedefizite gibt, wobei diese in den zentralasiatischen Republiken, wie Aserbaidschan und Usbekistan, gravierender sind als beispielsweise in der Ukraine oder Georgien. Zu klären bleibt jedoch, ob der Autoritarismus in diesen Staaten immer noch als Phase innerhalb der Transformation angesehen werden kann, die einfach länger dauert als ursprünglich angenommen, oder ob damit schon der Endzustand erreicht ist.

So könne man in Russland beobachten, sagt Professor Leonid Luks, dass sich weite Teile der Bevölkerung in den vergangenen Jahren von der demokratischen Idee abgewandt haben.
Während Boris Jelzin, Hoffnungsträger der Demokraten, bei den ersten freien Wahlen 1991 noch 57 Prozent der Wählerstimmen bekam, wurde der Begriff Demokratisierung in den Folgejahren für viele Menschen fast ein Schimpfwort. Es schien gleichbedeutend mit dem Verlust von territorialer Integrität, einer rapiden Verschlechterung des Lebensstandards und der Kriminalisierung der Gesellschaft. Präsident Wladimir Putin gilt den meisten Russen deshalb heute als jemand, der mit seiner „gelenkten Demokratie“ dem begonnenen Zerfallsprozess ein Ende gesetzt und das Land stabilisiert hat. Die Menschen befürchten, mehr Demokratie ginge wieder zu Lasten der inneren Stabilität und befürworten deshalb ein autoritäres System. Um ein erneutes Umdenken in Gang zu setzen, müssten demokratischen Staaten Vorbildcharakter haben, so Luks. Russland ist durch zahlreiche Kanäle mit den „offenen Gesellschaften“ des Westens verbunden. Solange diese Verbindungen bestehen, sei ein erneuter demokratischer Aufbruch möglich.

Das Beispiel Weißrussland

Ein weiteres typisches Beispiel für einen postkommunistischen, autoritären Staat ist Weißrussland. Präsident Alexander Lukaschenko habe dort hinter einer demokratischen Fassade eine „präsidiale Machtvertikale“ errichtet, so Timmermann, was dem Land auch die wenig ehrenvolle Bezeichnung „letzte Diktatur Europas“ eingebracht habe. „Lukaschenko hat 1996 das Parlament, die Justiz und die Medien gleichgeschaltet. Er kann ein ‚ungehorsames’ Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen, wobei er persönlich den Vorsitzenden der Wahlkommission bestimmt, damit die Urnengänge der Bürger ‚richtig’, also im Sinne des Regimes, ausfallen“, so Timmermann. Außerdem ernenne der Präsident die obersten Richter, sowie die Staatsanwaltschaft und kontrolliere rund 90 Prozent der Medien im Land. Dennoch handele es sich um ein autoritäres und nicht um ein  totalitäres Regime, betont Timmermann. Alternatives Handeln und Denken werde in Weißrussland immerhin geduldet, solange dies nicht die Herrschaftsbasis des Präsidenten unterminiere.

Mittelfristig glaubt Timmermann nicht daran, dass Weißrussland eine Demokratie wird. Lukaschenko sei nicht bereit, auf Macht zu verzichten und für einen „Wandel von unten“ würden momentan bestimmte Voraussetzungen fehlen. So habe die Opposition zum Beispiel keinen charismatischen Führer, wie ihn die Ukraine mit Viktor Juschtschenko hatte. Außerdem gebe es nur eine sehr kleine einheimische politische, wirtschaftliche und publizistische Reformelite, die sich abwartend verhalte. Zu Sowjetzeiten war viel Kompetenz nach Moskau abgewandert und nach der Unabhängigkeit nicht nach Weißrussland zurückgekehrt.

Alexander Motyl, Amerikaner ukrainischer Herkunft,  bleibt dennoch zuversichtlich. „Die „Orangene Revolution“ in der Ukraine ist das beste Beispiel dafür, dass man die demokratischen Kräfte in diesen Ländern nicht unterschätzen darf“, so Motyl. Noch vor zwei Jahren hätten Experten in der Ukraine ebenso wenig mit einer Revolution gerechnet wie heute in Weißrussland.

Forschung Osteuropa

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