Intelligenz im ExilWEIßRUßLAND

Intelligenz im Exil

Intelligenz im Exil

Ein Besuch bei der Europäischen Humanistischen Universität von Minsk, die in der litauischen Hauptstadt Vilnius Unterschlupf gefunden hat.

Von Ramon Schack

Weißrussische Studentinnen im Exil in Vilnius.  
Weißrussische Studentinnen im Exil in Vilnius.  

Wo wir sind ist Weißrußland“, scherzt  Prof. Vladimir Dounaev in Anlehnung an das berühmte Zitat von Thomas Mann. - Vladimir Dounaev ist der Vizedirektor der EHU, der Europäischen Humanistischen Universität von Weißrußland (Belarus), die am 09. Juni dieses Jahres offiziell in  der litauischen Hauptstadt Vilnius eröffnet  wurde. Die EHU war bis zum vergangenen Jahr die einzige private Hochschule Weißrußlands.

In einem unauffälligen Gebäude, am Rande der Altstadt von Vilnius, befindet sich die provisorische Fakultät, der „EHU International“, wie sich die Hochschule jetzt nennt. Im Büro herrscht dichtes Gedränge, Studenten erkundigen sich nach Lehrplänen, nach Stipendien und günstigen Wohngelegenheiten. Die Telefone klingeln permanent, es herrscht eine heitere, fast familiäre Aufbruchstimmung.

Seit dem 07. Oktober haben 270 Studenten - alle aus Weißrußland - ihr Studium aufgenommen. „Die Nachfrage nach Studienplätzen ist weitaus größer als das Angebot. Neben den Studenten, die nach der Schließung der EHU in Minsk, mit uns ins Exil gekommen sind, erreichen uns auch täglich Anfragen aus dem nördlichen Grenzgebiet und von ethnischen Weißrussen hier aus Vilnius,“ berichtet Dounavev . „Wir hoffen mittelfristig zu expandieren. Schließlich sind wir die einzige höhere Bildungseinrichtung in weißrusischer Sprache, die diesen Namen auch verdient,“ fügt er hinzu während er den Tee serviert. „Wir haben eine schwierige Zeit hinter uns“, räumt Dounaev ein, „aber jetzt gibt es Grund zuversichtlich in die Zukunft zu blicken“

Kurz hinter der Grenze zwischen zwei Welten und Systemen

Die litauische Hauptstadt liegt nur 40 Kilometer von der Grenze zu Weißrußland. entfernt, rund 200 Kilometer sind es von Vilnius nach Minsk .„Eigentlich ein Katzensprung“, bemerkt Prof. Dounaev „und doch Lichtjahre entfernt. Es handelt sich  nicht nur um die neue EU-Außengrenze, sondern auch um eine Grenze zwischen zwei Systemen, zwischen Aufklärung und Despotie, zwischen Fortschritt und Stagnation“, analysiert der Akademiker nüchtern. „Die litauische Hauptstadt war für Weißrussen schon immer so etwas wie ein Tor zur Welt. „Im 19. Jahrhundert war Vilnius noch vor Minsk das Zentrum des weißrussischen nationalen Lebens .Die wichtigsten weißrussischen Dichter und Schriftsteller publizierten ihre Werke damals in Vilnius, hier wurde auch die erste weißrussische Zeitung „Nasa Niva“ gegründet. In diesem Sinne knüpft unsere Universität an eine alte Tradition an, gerade angesichts der aktuellen politischen Verhältnisse“, doziert Prof. Dounaev.

Fünf Tage in der Woche lebt, lehrt und arbeitet der Professor für Geschichte und Philosophie in der Hauptstadt des jungen EU-Landes Litauen. Am Wochenende fährt er regelmäßig nach Minsk, der Hauptstadt der Republik Belarus, der letzten Diktatur des Kontinents und eines der isoliertesten Länder Europas. Seine Frau lebt dort und arbeitet für eine internationale Organisation. Nein, bisher habe er keine Repression zu spüren bekommen, vermerkt Dounaev vorsichtig. Ganz im Gegensatz zu seinem Chef , dem Leiter der EHU, Professor Anatoli Mikhailov.

Uni-Direktor Mikhailov wird in Minsk als Staatsfeind behandelt

EHU-Vizepräsident Prof. Dr. Douanev  

EHU-Vizepräsident Prof. Dr. Douanev

 

Mikhailov gilt in Weißrußland inzwischen als Staatsfeind und hat Einreiseverbot. Dounaev ist sich bewußt, daß seine Aktivitäten, der Aufbau einer Exil-Universität im feindlichen Ausland, das Hin- und Herpendeln zwischen beiden Staaten, dem Lukaschenko-Regime ein Dorn im Auge sind. Jederzeit könne ihm das gleiche blühen, wie seinem Chef und Weggefährten Mikhailov.

1992 wurde die Europäisch Humanistische Universität in Minsk gegründet. Dounaev und Mikhailov gehörten damals zu den Gründungsmitgliedern. „Wir waren jahrzehntelang aufgrund der ideologischen Barrieren des Sowjetsystems, von der großen weiten Welt isoliert. Moskau und St. Petersburg, in abgeschwächter Form auch Kiew, waren in sowjetischer Zeit die Zentren des akademischen Lebens. Minsk war schon immer Provinz und stand im Schatten der anderen Metropolen . Mit der Gründung unserer Universität wollten wir dem gerade unabhängig gewordenen Weißrußland eine akademische Einrichtung verschaffen, in der eine junge, weltoffene und pro-europäische Generation heranwächst, die unsere Republik auf der internationalen Bühne repräsentiert. Gerade dieses Anliegen sollte uns dann später zum Verhängnis werden.“ – So das bittere Resümee des Professors Dounaev.

Lukaschenko holt zum Gegenschlag aus

Seit ihrer Gründung war die EHU darum bemüht, die weißrussische Hochschulbildung in den  sogenannten Bologna-Prozeß , also in die Harmonisierung der europäischen Bildungssysteme von über 40 Ländern zu integrieren. „Wir kamen dadurch in die Position, andere weißrussische Universitäten bei ihrer Integration und Kontakterstellung zu anderen europäischen Universitäten zu unterstützen. Unsere Politik war erfolgreich.“

Neben der Ausbildung einer freiheitlichen kritischen Intelligenz war die Tatsache, daß in der EHU in Weißrussisch gelehrt wurde, ein zusätzlicher Affront gegen das Lukaschenko-Regime. Seit Jahren betreibt das Regime eine dogmatische Russifizierungspolitik mit dem Effekt, daß sich die junge urbane Jugend, auch aus Protest gegen ihren Staatspräsidenten, immer intensiver mit dem weißrussischen Idiom identifiziert und dieses auch praktiziert. Doch im Januar 2004 erfolgte der Gegenschlag der staatlichen Autoritäten.: Vom Bildungsministerium erging die direkte Aufforderung an den Direktor der EHU, Prof. Anatoli Mikhailov, seinen Rücktritt einzureichen.

„Bildungsminister Alexander  Radkov hatte unterschätzt, daß die praktizierte intellektuelle Freiheit an unserer Universität zu einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl unter unseren Studenten  und dem akademischen Personal geführt hat. Verursacht durch das repressive Klima im Lande und getragen von unseren Idealen und internationalen Kontakten waren wir nicht bereit, Direktor Mikhailov aufgrund eines Dekrets abzusetzen“, erklärt Douanev selbstbewußt.

Ein letztes Ultimatum

Gebäude der Minsker Exil-Universität EHU in Vilnius  
Gebäude der Minsker Exil-Universität EHU in Vilnius  

Der Konflikt eskalierte, die Staatsmacht ließ nichts unversucht, der EHU zu schaden. Im Juli 2004 stellte der Bildungsminister der EHU ein letztes Ultimatum, den Direktor der Universität abzusetzen.

„Wir weigerten uns erneut, den Forderungen des Regimes nachzugeben. Schließlich wurden wir auf Anordnung des Präsidenten gezwungen, das Universitätsgebäude zu räumen“, berichtet Douanev und bittet einige Studenten sich am Gespräch zu beteiligen. „Man schlägt sich so durch“, berichtet Jury und ist seinem neuen Gastland und der EU dankbar für die gewährten Stipendien. „Die Litauer zeigen sich sehr solidarisch“ ergänzt Politik-Studentin Lena.

Aber in Weißrußland sehen die beiden gegenwärtig keine Zukunft. Nur zu gut erinnern sich die jungen Akademiker an die staatlichen Repressionen. Im Sommer vergangenen Jahres wurde der EHU die staatliche Lizenz entzogen. Trotz internationaler Proteste und dem Widerstand der Studenten war das Regime zu keinerlei Kompromissen bereit. „Bei Demonstrationen ging die Polizei gewalttätig gegen uns vor. Unsere Familien wurden bedroht und wir Studenten als bourgeoise, vom Ausland gesteuerte Elemente bezeichnet, berichtet Jury. „Die Behörden forderten uns auf, an eine staatliche Universität zu wechseln und unsere Studien dort fortzusetzen. Natürlich nur gegen hohe Gebühren und verbunden mit einer entwürdigenden Zusatzprüfung“, betont Lena. „Das kam für uns überhaupt nicht in Frage.“

Fast tausend Studenten gingen außer Landes

Nahezu alle Studenten der EHU haben inzwischen das Land verlassen. Es sind fast tausend, die das Exil gewählt haben, um den staatlichen Repressalien des Lukaschenko-Regimes zu entkommen. Rund 70 gingen nach Deutschland, 270 sind jetzt in Vilnius eingeschrieben.„Einige Studenten sind auf eigene Faust in den Westen gereist, sogar bis nach Kanada und in die USA. Einige wenige sind in Weißrußland geblieben und engagieren sich auf vielfältige Weise politisch. Wir sind immer noch so etwas wie eine Familie und im permanenten Kontakt“, berichtet Douanev.

„Der Schlüssel für die Zukunft Weißrußlands liegt in Moskau“, betonen der Professor und seine Studenten einhellig auf die Frage über die politische Zukunft ihres Landes. „Putin hat kein Interesse an einer Art politischer Umorientierung in Belarus, wie beispielsweise in der Ukraine oder Georgien. Das Lukaschenko-Regime stütze sich auf den günstigen Zugang zu Erdöl und Erdgas aus Rußland. Solange sich in Moskau nichts ändert, bestehen nur geringe Chancen auf einen politischen Wechsel“.

Außerdem sei die Lage nur bedingt mit der in der Ukraine zu vergleichen. Die Opposition werde in Weißrußland bisher sehr erfolgreich unterdrückt, der autoritäre Charakter des Regimes sei weit aus stärker ausgeprägt als es bei den gestürzten Regierungen in Kiew und Tiflis der Fall war , gibt Douanev zu bedenken.

„Lukaschenko führt eine Art Krieg gegen die Intelligenz im eigenen Land. Unser Ziel ist hier oder anderswo, den kritischen Geist, das intellektuelle Potential unserer Heimat zu sammeln. Eines Tages werden wir die EHU wieder in Minsk eröffnen, früher oder später. Alle Diktaturen werden irgendwann fallen“, fügt Professor Douanev selbstbewußt hinzu und seine Hoffnung klingt keineswegs utopisch.

Vergleiche dazu auch: Buchrezension in EM 08-04 „Belarus – unbekannte Mitte Europas“.

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Ramon Schack, Jahrgang 1971, ist Diplom Politologe und arbeitet als freier Journalist. Er wohnt in Berlin und schreibt für die „Frankfurter Rundschau“, die „Welt am Sonntag“ und den „Freitag“. Seine Themengebiete sind vor allem Osteuropa und der Nahe Osten.

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