Hohe Abfindungen für Manager sind auch in Russland umstrittenMOSKAU

Russen empören sich über „goldene Fallschirme“

Vollwertige Bildung und medizinische Versorgung ist in Russland nur noch gegen Bares zu haben. Vor diesem Hintergrund empören sich die Russen über Millionen-Abfindungen für Manager.

Von Ulrich Heyden

Würde man in Russland eine Abstimmung über die Begrenzung der Manager-Gehälter durchführen, wie in der Schweiz, wäre ein Zustimmungsrate von 99 Prozent sicher, meint der russische Politologe Georgi Bowt. Das Gerechtigkeitsempfinden der Russen ist ziemlich stark entwickelt.

Die Gehälter der russischen Manager sind irreal hoch, meint Bowt, die Leistungen dieser Spitzenkräfte jedoch oft mäßig. Dem ehemaligen Generaldirektor von Norilski Nickel, Wladimir Strschalkowski wurde eine Abfindung von 100 Millionen Dollar gezahlt, eine selbst nach westlichen Maßstäben „unvorstellbare Summe“ meint der Politologe.

2012 stieg die Bezahlung der Manager von Norilski Nickel um das 1,9 fache auf vier Millionen Euro pro Person. Womit diese Gehaltssteigerung begründet wurde, ist unklar. Denn in der gleichen Zeit fielen die Aktien des Unternehmens und die Löhne der Mitarbeiter. Teile des Unternehmens sind aus steuerlichen Gründen übrigens auf Zypern registriert.

Der Politologe Bowt nennt noch weitere Beispiele für die übermäßigen Gehälter russischer Manager. So verdienten die Top-Manager der russischen Energie-Unternehmen OGK-2, OGK-6 und Mosenergo im Krisenjahr 2008 volle 21 Millionen Euro, und das, obwohl die Stromnetze der Unternehmen völlig veraltet sind.

Durchschnittsverdiener haben kaum Geld für den Arzt

Die meisten russischen Touristen in Deutschland kommen aus russischen Großstädten. Doch es ist nur eine kleine Minderheit von Russen, die Auslandsreisen nach Europa macht. Viele russische Touristen nutzen ihre Deutschland-Reise zum Shoppen. Doch viele Russen können sich solche Einkaufstouren in den Westen gar nicht leisten. Wie auch? Im ersten Halbjahr 2012 lag der Durchschnittslohn in Russland bei 641 Euro und die Durchschnitts-Rente bei 225 Euro. Nur 13 Prozent der Russen verdienen nach Angaben des russischen Statistikamtes über 880 Euro.

Wer, wie der Großteil der Russen sehr wenig Geld verdient, spart, wo es nur geht. Man geht erst zum Arzt, wenn es wirklich irgendwo wirklich weh tut oder man sich sehr krank fühlt. Im Sommer baut man sein Gemüse im eigenen Datschen-Garten an. Man hilft sich nachbarschaftlich und in der Familie, wo es nur geht. Außerdem wohnen viele Russen immer noch mit mehreren mit ihren Kindern und Eltern in einer Wohnung.

In Moskau und St. Petersburg werden für russische Verhältnisse die besten Gehälter gezahlt. Sie liegen zwischen 800 und 1.300 Euro. Die exakte Lohnsumme zu ermitteln ist schwer, denn immer noch gibt es Angestellte die einen Teil des Gehalts im Briefumschlag erhalten, womit das Unternehmen die Sozialabgaben senkt.

Die Korruption erfasst alle Lebensbereiche. Das Unrechtsbewusstsein ist nur schwach entwickelt. Wenn die Spitzenbeamten sich bestechen lassen, dann dürfen wir auch etwas schwarz dazu verdienen, sagen sich die einfachen Leute. Dass Polizisten gegen ein kleines Bestechungsgeld (wsjatka) Verkehrsverstöße nicht protokollieren oder dass man sich für die Wohnungsrenovierung oder den Datschen-Bau billige Gastarbeiter aus Usbekistan, Tadschikistan oder Russen aus der Provinz als Schwarzarbeiter anstellt, ist in Moskau allgemein üblich und gilt als Kavaliersdelikt. Größere Bestechungsgelder wandern nicht direkt von Hand zu Hand sondern werden über Schein-Firmen, die fiktive Dienstleistungen erledigen, übermittelt.

„Dankesgeld“ für Beamte – 300 Milliarden Dollar Schmiergeld

Bei großen russischen Bauprojekten ist es üblich, dass der Bauherr an den Vermittler – meist einen Beamten - ein Dankesgeld (otkat) zahlt. Dieses Dankesgeld macht etwa Drittel der Auftrags-Summe aus.

Auf dem Korruptionswahrnehmungs-Index der Organisation Transparency International hat sich Russlands Position im letzten Jahr um zehn Punkte verbessert. Russland steht jetzt zusammen mit dem Iran und Honduras auf Platz 133.  Deutschland steht auf Platz 13. Nach Berechnungen von Transparency International wurden in Russland im Jahr 2009 die unvorstellbare Summe von 300 Milliarden Dollar für Schmiergelder ausgegeben.

Über Geldfragen sprechen die Russen nur im allerengsten Familienkreis. Denn jeder hat etwas zu verbergen. Der Chef der russischen Liberaldemokraten, Ultranationalist Wladimir Schirinowski, brachte es erst kürzlich wieder auf den Punkt. In den 1990er Jahren habe es eine „kriminelle Wirtschaft“ gegeben. Alle Russen seien „irgendwie beschmutzt“. Nachforschungen in der Vergangenheit könnten „den Staat zum Einsturz bringen“, warnte der Ultranationalist und schlug deshalb vor, von Beamten und Politikern generell keine Eigentums-Deklarationen zu verlangen. 

Wie der Reichtum in Russland entstand

Die russischen Milliardäre besetzten heute die vordersten Plätze in der Forbes-Reichen-Liste. In den 1990er Jahr hießen die Leute, die sich mit dem Handel von Computern, Jeans und West-Klamotten ihr erstes Kapital anhäuften noch „neue Russen“. Meist waren es die gut ausgebildeten Sprösslinge aus Funktionärs-Familien, die sich über ihre guten Beziehungen in die Beamtenschaft und Tricks die Staatsbetriebe aneigneten. Als die wirtschaftlich Erfolgreichen dann auch nach politischer Macht griffen, Parteien und Fernsehkanäle  sponserten, nannte man sie Oligarchen.

Einige der Oligarchen die sich dem von Putin vorgegebenen national-russischen Kurs wiedersetzten wurden mit Steuer-Verfahren in die Enge getrieben. Viele dieser eigenwilligen Geschäftsleute emigrierten nach London und andere westliche Großstädte. Heute kann in Russland nur jemand Geschäfte machen, der sich an die Vorgaben des Kreml hält und seine politischen Aktivitäten mit der Präsidialverwaltung abspricht.

Die reichen Russen von Zypern

Als Putin 2000 Präsident wurde, versprach er mit der dem Wirtschaftschaos aufzuräumen. Auch die wirtschaftlich Mächtigen müssten sich an die Gesetz halten. Doch tatsächlich ging die Korruption nur wenig zurück. Deshalb startet der Kreml immer neue Anti-Korruptions-Kampagnen, mit denen der Beamtenschaft gezeigt werden soll, dass sie unter Beobachtung steht.

Schon 2002 hatte Putin in einer Rede vor der russischen Industrie- und Handelskammer die Geschäftsleute aufgefordert, ihre auf Zypern angelegten Gelder abzuziehen, weil sie dort nicht sicher seien. Aber die Geschäftsleute wollten nicht hören. Zypern entwickelte sich unter Putin zu einem der wichtigsten russischen Finanzplätze auf dem ein großer Teil der Geschäfte zwischen Russland und der EU abgewickelt wird.

Dass russische Großunternehmen Teile ihrer Unternehmen in Zypern registrierten, begründeten die Direktoren mit der Rechtssicherheit und den niedrigen Steuern auf der Mittelmeer-Insel. Selbst die vor zehn Jahren von Putin eingeführte Einkommenssteuer von nur 13 Prozent konnte viele Unternehmer nicht in Russland halten. Putins Versuch Fluchtkapital ins „Vaterland“ zurückzuholen, gelang nur teilweise.

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