Im Taxi über MoskauRUßLAND

Im Taxi über Moskau

Im Taxi über Moskau

Drei Millionen registrierte Autos gibt es in Moskau. Damit Geschäftsleute nicht wertvolle Zeit in Staus verlieren, sollen sie bald auf Hubschrauber umsteigen können.

Von Ulrich Heyden

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Der Verkehr in Moskau nimmt ständig zu 

EM – Auf dem vierspurigen Prospekt Marschall Schukowa im Nordwesten Moskaus bewegen sich die Autos am späten Nachmittag eines Arbeitstages nur im Schrittempo. Slawa kennt das. Kühl kalkulierend sucht sich der Chauffeur und Gelegenheitstaxifahrer seine Schleichwege durch die Zehn-Millionen-Stadt. Es geht durch kleine Gassen, über Parkplätze und manchmal auch über die Höfe zwischen den Wohnhäusern. Damit er weiß, wie er seinen Chef durch das Moskauer Verkehrschaos bugsiert, sucht Slawa in seiner arbeitsfreien Zeit nach immer neuen Routen.

Moskauer Geschäftsleute sind zunehmend genervt. Wegen der ständigen Staus geht kostbare Zeit verloren. Besonders betroffen sind die Dienstleister, Ersatzteillieferanten, Wartungsarbeiter und Pizzabäcker. Selbst während der Sommermonate, während denen die halbe Stadt auf der Datscha lebt, hat sich an der katastrophalen Verkehrslage kaum etwas geändert. Moskau quillt über von Autos. Ihre Zahl wuchs seit 1999 um ein Fünftel auf drei Millionen registrierte Fahrzeuge.

Doch die Verkehrslage hält niemanden vom Autokauf ab. Im Gegenteil, ein russischer Mann ohne Auto ist wie ein Fisch ohne Flossen. Doch wer im Stadtzentrum tagsüber schnell vorankommen will und nichts zu befördern hat, nutzt lieber die Metro. In den Stoßzeiten verkehren die hellblauen Waggons im 35-Sekunden-Rhythmus und halten den Organismus der Metropole so am Leben.

Überholen auf dem Gehsteig

Der Straßenbau hinkt dem Autoboom hinterher. Ein neuer, dritter Autobahnring bringt nur geringe Entlastung. An den Kreuzungen der mehrspurigen Prospekte, wo der Verkehr immer noch mit einfachen Ampeln geregelt wird, beginnt man jetzt mit dem Bau von Tunneln und Wendeschleifen. Doch für die Weltmetropole kommen diese Maßnahmen zu spät. Für die komfortgewohnten Geschäftsleute in ihren BMW-Limousinen und Brabus-Jeeps sind die Moskauer Straßen der reinste „Kaschmar“ (Alptraum). Um zu ihren Vorstadt-Datschen zu kommen, brauchen sie oft über eine Stunde.

Wer es im Blechdickicht nicht aushält, nutzt auch schon mal den Gehsteig für ein Überholmanöver. Die Moskauer Fußgänger wundern sich über nichts mehr. Regelrecht geschockt berichten russische Urlauber von ihren Erlebnissen in westlichen Großstädten. Keine Ampel blinkt und trotzdem halten die Autos vor Zebrastreifen an. Man versteht die Welt nicht mehr.

Der Fußgänger in der russischen Hauptstadt lebt im Dauerstreß. Wenn die grüne Ampel zur Überquerung der Straße einlädt, guckt man in Erwartung heißsporniger Autofahrer ängstlich nach rechts und links. Angesichts derart rüder Sitten wirken die Skater, Fahrradfahrer und Jogger, die sich im Sommer aus Sicherheitsgründen meist zu Gruppen zusammenschließen, wie wahre Helden. Ökologie und Gesundheit haben in Moskau einen schweren Stand. Die Bäume, welche die Stadtverwaltung in den Vorzeigestraßen Neuer Arbat und Twerskaja pflanzen läßt, halten sich meist nur ein paar Monate. Nur der Mensch scheint sich an die Abgasschwaden zu gewöhnen.

Pragmatismus siegt über Terror-Angst

Für die Verkehrsstaus soll es nun bald eine Lösung geben, zumindest für die Besserverdienenden. Die Stadtverwaltung billigte einen Plan für die Einrichtung von Luft-Taxis, welche Geschäftsleute und andere Interessierte zu ihren Datschen ins Moskauer Umland bringen sollen. Das 1,4 Mrd. Dollar-Projekt soll ausschließlich von privaten Investoren finanziert werden. Ein Ticket für einen 70-Kilometer-Flug in einem Hubschrauber soll 20 Euro kosten. Für einen einstündigen Flug in der zweiten Klasse eines leichten Passagierflugzeuges soll man 150 Euro zahlen. Elf Hubschrauberlandeplätze sollen in der Stadt gebaut werden. Die Kosten werden sich nach Berechnungen von Experten in ein paar Jahren amortisieren.

Der Generalstab der russischen Streitkräfte hat dem Projekt zugestimmt, angesichts latenter Terrorgefahr eine kleine Revolution. Bisher war der Moskauer Luftraum für den Flugverkehr generell gesperrt. Selbst Kreml-Chef Putin bahnt sich den Weg zu seinem Amtssitz täglich in seiner Limousine, vorbei an Straßenabsperrungen mit Blaulicht auf dem Dach.

Um Gefahren zu bannen, müssen die Luft-Taxi-Flüge 24 Stunden vorher angemeldet werden. Nach dem Willen von Bürgermeister Juri Luschkow sollen die Hubschrauber nicht über dichtbesiedeltes Wohngebiet fliegen, sondern den Fluß Moskwa als Route ins Umland nutzen.

„Wir müssen uns vor der tschetschenischen Luftwaffe schützen,“ – lachend haut Taxifahrer Slawa auf das Steuerrad seines Ladas. Der 49jährige diente als Offizier der sowjetischen Streitkräfte im brandenburgischen Neuruppin und weiß wovon er spricht. Vor Nato-Kampfflugzeugen fürchtet Slawa sich nicht mehr, wohl aber vor tschetschenischen Terroristen.

Tschetscheniens „Kukurusnik“

Flugzeuge waren auch für das kaukasische Bergvolk immer reizvoll. Der erste Präsident Tschetscheniens, Dschochar Dudajew, – das weiß jeder Russe – diente zu Sowjetzeiten als Kommandeur einer strategischen Bomberstaffel in Estland. Dudajew träumte vom Aufbau einer tschetschenischen Luftwaffe. Anfang der 90er verfügte die Kaukasusrepublik immerhin über einige tschechische Trainingsflugzeuge. Sie wurden jedoch im Laufe des Krieges zerstört. Übrig blieb nur ein Doppeldecker vom Typ Antonow-2, wegen seines Einsatzes zur Schädlingsbekämpfung über Maisfeldern auch „Kukurusnik“ genannt. Am 6. September 1999, zum Tag der tschetschenischen Unabhängigkeit kreiste das knatternde Museumsstück über Grosny. Wenige Monate später wurde der Stolz der Tschetschenen von der russischen Luftwaffe am Boden zerstört.

Doch in den Medien tauchen immer wieder Berichte über nichtregistriertes Fluggerät in der russischen Provinz auf. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging so mancher Flieger „verloren“. Nichtregistrierte Flugzeuge wurden in Gärten und Garagen bei Liebhabern und Geschäftsleuten abgestellt. Damit sich keines von diesen Flugobjekten nach Moskau verirrt, müssen die Sicherheitskräfte sich noch etwas einfallen lassen.

Eine ökologisch verträglichere und sicherere Variante zur Behebung der Verkehrsprobleme ist in St. Petersburg geplant. Auf den romantischen Kanälen der Newa-Stadt sollen in Zukunft nicht nur Touristen schippern. Wasser-Taxis sollen die Bürger zu den Büros und Geschäften im Stadtzentrum bringen.  

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