In Russland sterben wieder PatenMAFIA

In Russland sterben wieder Paten

Im Drei-Monats-Rhythmus werden Paten der Mafia erschossen. Kommen die „bösen 1990er Jahre“ wieder?

Von Ulrich Heyden

E s passierte am 16. September um acht Uhr abends, nicht weit vom Kreml. Aslan Usojan, der einflussreichste Mafiosi im postsowjetischen Raum, wollte gerade in die Wohnung seines Sohnes, in der Twerskaja-Straße Nr. 12/7. Doch als der Mafiosi, begleitet von seinem Leibwächter, den Hauseingang betrat, traf ihn die Kugel eines Scharfschützen. Der 73jährige, der auch als „Großvater Hasan“ bekannt ist, wurde am Bauch schwer verletzt. Nach den Regeln der kriminellen Welt bedeutet ein Bauchschuss Rache mit langsamem, qualvollen Tod, schreibt die Komsomolskaja Prawda.

Der Schütze hatte sich im gegenüberliegenden Haus auf die Lauer gelegt und flüchtete nach der Tat. In der  Wohnung aus welcher geschossen wurde, fand man ein russisches Scharfschützengewehr der Marke Dragnunow und drei Briefumschläge mit Telefonrechnungen. Wegen der Rechnungen gehen die Ermittler davon aus, dass der kaltblütige Anschlag seit Wochen vorbereitet wurde.

Zunächst erklärte die Moskauer Polizei, Aslan Usojan seit tot. Damit wollte man einem weiteren Anschlag vorbeugen. Erst später wurde bekannt gegeben, dass Usojan den Anschlag überlebt hat. Auf der Intensivstation des Moskauer Botkin-Krankenhauses, welches von über 100 Personen – Leibwächtern und Polizisten – bewacht wird,  wurde der 73jährige bereits zweimal operiert. Der Pate Russlands musste sich bereits den Fragen der Ermittler stellen. Aber Usojan gab sich wortkarg.

Zwei Drittel des Lebens in Gefängnissen verbracht

Wer ist Aslan Usojan? Der mächtige Pate wurde 1937 in Tbilissi geboren und gehörte der kurdischen Volksgruppe der Jesiden an. Usojan, soll zwei Drittel seines Lebens in Gefängnissen verbracht haben. Nach Medienberichten verwaltete Usojan die zentrale Kasse der russischen Mafia, aus der Angehörigen von inhaftierten Kriminellen eine Art Sozialhilfe gezahlt wird und schlichtet Streitfälle zwischen verschiedenen Clans.

Der Anschlag auf den 73jährigen erinnert an einen ähnlichen Vorfall im Juli letzten Jahres. Damals wurde ein Freund von Usojan, Wjatscheslaw Iwankow, genannt auch „Japontschik“ („kleiner Japaner“), ebenfalls mit einem Dragunow-Gewehr und Bauchschuss niedergestreckt. Zwei Monate nach dem Anschlag starb der „kleine Japaner“. Bei seiner Beerdigung im Oktober 2009 auf dem Moskauer Wagankow-Friedhof versammelte sich im Beisein russischer Fernsehkameras und internationaler Nachrichtenagenturen die Moskauer Unterwelt. 500 Personen waren gekommen. Ein Kranz von „Großvater Hasan“ lag auch auf dem Grab.

Was sind die Gründe für den neuen Krieg?

Hinter dem Attentat auf Iwankow und Usojan steckt nach Meinung von Experten der georgische „Pate“ Tariel Oniani, der seit Sommer letzten Jahres eine zehnjährige Gefängnisstrafe absitzt. Doch nach einem Bericht der Komsomolskaja Prawda, habe Oniani erklärt, dass er für den Anschlag auf Usojan keine Verantwortung trage. Usojan sei von einem Verräter aus dem eigenen Clan angeschossen worden, so der Inhaftierte. In der kriminellen Welt soll der Name des Täters bereits bekannt sein, schreibt das Blatt. Dort rechne man schon bald mit einer Racheaktion der Leute von Usojans.

Was sind die Gründe für den neuen Krieg unter den Mafia-Banden? Seit 2006 sind zahlreiche Mafiosi bei Clan-Streitereien erschossen worden. Dabei ging es unter anderem um den „Nachlass“ eines inhaftierten Paten. Sowohl in Russland als auch in Europa gab es zahlreiche Fälle von erschossenen Mitgliedern der russischen Mafia. Darunter waren auch mehrere prominente Fälle. So wurde im März 2010 in Marseille der 39jährige Wladimir Dschanaschija erschossen. Er soll von Usojan wegen dem Mord von „Japontschik“ verdächtigt worden sein, heißt es in Expertenkreisen.

Es geht um die Aufteilung von Einflusszonen

Was war der Anlass für den Anschlag auf „Großvater Hasan“? Die Moskauer Zeitungen bringen verschiedene Erklärung, die aber im Prinzip alle auf das Gleiche hinauslaufen: Wie in den „wilden 1990er Jahren“ geht es auch jetzt wieder um die Aufteilung von Einflusszonen. Die Tageszeitung Wremja Nowostej meint, Grund des Anschlags auf Usojan sei ein Konflikt um 66 Hektar Bauland. Dabei geht es um die Fläche, auf der früher der größte, inzwischen geschlossene, Moskauer Freiluftmarkt „Tscherkisowski Rynok“ seinen Platz hatte. Die Zeitung Kommersant vermutet dagegen, dass der Anschlag etwas mit dem seit 2008 schwelenden Streit um die Aufteilung der Einflusszonen bei den Privatinvestitionen für die Olympia-Bauten in Sotschi zu tun hat. Nach Medienberichten soll sich Usojan in der letzten Zeit in der von Georgien abgefallenen Provinz Abchasien aufgehalten haben. Abchasien liegt in unmittelbarer Nähe von Sotschi.

Angesichts der Mafia-Streitereien und einer hohen Zahl von Auftragsmorden zieht der Journalist und Duma-Abgeordnete Aleksandr Chinschtein, dem beste Kontakte zum russischen Geheimdienst nachgesagt werden, bereits Vergleiche mit den „bösen 1990er Jahren“. Damals verging keine Woche ohne Mafia-Mord. Allein seit Anfang September seien in Russland fünf Geschäftsleute durch Auftragskiller erschossen worden, meint Chinschtein. Und seit Anfang des Jahres habe es über 100 Auftragsmorde gegeben. Nachprüfen lassen sich diese Zahlen nur schwer.

Und was macht die Polizei?

Nach den chaotischen 1990er Jahren mit Mafia-Schüssen, Wirtschaftschaos und Tschetschenienkrieg waren viele Russen davon überzeugt, dass das Riesenland nur mit starker Hand von einem entschlossenen Politiker regiert werden könne. Von den staatlichen Medien hochgepusht, erschien damals Wladimir Putin vielen Russen als Retter der Nation. Russland ist vom Chaos der 1990er Jahre noch weit entfernt. Aber die nahenden Duma- und Präsidentschaftswahlen, der Fall Luschkow und die immer noch schwelende Finanzkrise führen zu einer gewissen Nervosität im Land.

Und was macht Polizei? Sie zeigt Einsatzbereitschaft. Doch die Mafia scheint einen unsichtbaren Schutzschild zu haben. Nicht anders ist es zu erklären, dass immer wieder Mafia-Treffen von der Polizei gesprengt werden, aber es oft nicht zu Anklagen kommt. Wie erst jetzt bekannt wurde, nahm die Polizei 45 Minuten nach dem Anschlag auf Hasan Usojan in der Karaoke-Bar „Sebra“ im Westen von Moskau 24 zum Teil prominente Mitglieder von Mafia-Gruppen fest. Einige der Versammelten hatten offenbar Wind von dem Polizeieinsatz bekommen und verließen die Versammlung rechtzeitig.  Auf dem Treffen in der Karaoke-Bar war der ganze postsowjetische Raum vertreten. Gekommen waren Russen, Georgier und ein Moldawier. Vom Clan des angeschossenen Usojan war jedoch niemand auf dem Treffen. Nach einem Bericht der Zeitung Moskowski Komsomolez ging es bei dem Treffen um die Aufteilung von Einflusszonen und die Schlichtung von Streitfällen. Mit den Mafiosi führten die Polizisten „prophylaktische Gespräche“ berichteten die Medien. Schließlich wurden jedoch alle 24 Festgenommenen wieder freigelassen. Die Ausweise seien in Ordnung gewesen und man habe keine Waffen oder Drogen gefunden, erklärte die Polizei. Oft ist in Russland nicht klar, wer der Stärkere ist: Die Mafia oder die Polizei.

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