13.01.2023 14:10:35
RUSSLAND
Von Ulrich Heyden
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Das Zentrum der fernöstlichen Metropole Chabarowsk, nur 20 Kilometer von der chinesischen Grenze am Amur entfernt |
n der modernen Halle der Flugzeugwerft von Komsomolsk am Amur knattern die Niethämmer. An drei giftgrünen Flugzeug-Rohbauten vom Typ Superjet 100 wird intensiv gearbeitet. Der Superjet mit seinen 98 Sitzplätzen und einer Reichweite von 4.400 Kilometern ist der ganze Stolz der zivilen russischen Luftfahrtindustrie. Denn der Liner ist das erste russische Passagierflugzeug, welches nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entwickelt wurde, allerdings in Zusammenarbeit mit dem einstigen Gegner im Kalten Krieg, dem US-Konzern Boeing.
Der Stolz der russischen Flugzeugbauer wird ausgerechnet im russischen Fernen Osten, im Gebiet Chabarowsk produziert. Dort hat am 21. und 22. Mai ein EU-Russland-Gipfel stattgefunden, auf dem es vor allem um Energie-Fragen und die Konflikte im Kaukasus ging. Doch der Gouverneur des Gebietes, Wjatscheslaw Schport, der selbst lange Jahre als Ingenieur im Sukhoi-Flugzwerk gearbeitet hat, erhoffte sich von dem Gipfel weitere Impulse für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa. Schport gibt sich als weltläufiger Mann. Er habe schon in den USA und im französischen Toulouse gelebt und sei oft in Indien gewesen. Man könne von allen Nachbarn und weiter entfernten Partnern etwas lernen. Tatsächlich gibt es in Chabarowsk eine ganze Reihe von Betrieben, die mit europäischen Investitionen modernisiert – wie die Ölraffinerie der Stadt - oder völlig neu gebaut wurden, wie die supermoderne Vorgeburts-Klinik der Stadt.
Mit dem Superjet will Russland auf dem Markt der Regionalflugzeuge alteingesessenen Anbietern, wie dem kanadischen Flugzeugbauer Bombardier, Konkurrenz machen. Zwei Tage bevor eine Gruppe ausländischer Journalist das Werk besuchte, war Wladimir Putin da und versprach staatliche Krisen-Hilfen für das Prestige-Flugzeug.
Die Arbeiter sind schon dabei die Bordelektronik zu installieren. Sie kriechen in Tragflächen und andere Hohlräume um Kabel zu verlegen. Im Passagierraum werden bereits die ersten Sitze eingebaut. Schon in diesem Jahr sollen vier der neuen Mittelstrecken-Liner ausgeliefert werden, zwei an Aeroflott und zwei an eine armenische Fluggesellschaft, erzählt Aleksandr Pekarsch, der Direktor des Sukhoi-Werkes, in dem insgesamt 15.000 Arbeiter und Ingenieure beschäftigt sind und hauptsächlich Kampfflugzeuge hergestellt werden. 640 Mitarbeiter sind in dem Sukhoi-Tochterunternehmen SCAC beschäftigt, welches eigens zum Bau des Superjets gegründet wurde.
Der Bau eines modernen Verkehrsflugzeuges in Russland sei nur möglich, wenn man die Bordelektronik und die Innenausrüstung in westlichen Ländern kauft, meint Direktor Aleksandr Pekarsch. Ganz bewusst habe man bei der Entwicklung und Produktion mit westlichen Partnern kooperiert. Davon verspricht man sich auch bessere Absatzchancen auf dem europäischen Markt. So ist das italienische Luft- und Raumfahrtunternehmen Alenia Aeronautica mit 25 Prozent plus einem Anteil an dem Superjet-Hersteller SCAC beteiligt. Eine enge Geschäftsverbindung der Russen gibt es auch mit der französischen Triebwerk-Firma Snecma, die in einem Joint Venture mit dem russischen Unternehmen NPO Saturn die Triebwerke für den Superjet produziert.
Die Krise machte aber auch vor dem Superjet-Hersteller nicht halt. Durch den Fall des Rubel-Kurses hat sich der Verkaufspreis des Superjets von 28 auf 22 Millionen Dollar reduziert. Man habe das Personal „etwas“ reduzieren müssen, berichtet der Direktor.
Noch stärker als die Flugzeugbauer, leidet die Stahlhütte Amurmetall unter der Krise. Sie ist die zweite von insgesamt drei großen Industriebetrieben, welche in Komsomolsk am Amur, der erst 1932 als fernöstliches Zentrum der sowjetischen Rüstungsindustrie gebauten Stadt, errichtet wurde. Die Hütte verarbeitet Metallschrott. Die Hälfte der Produktion von Stahlerzeugnissen geht in den Export nach Korea, Vietnam und auf die Philippinen. Größter Konkurrent in der Fernost-Region ist China. Die Hütte sei vollständig modernisiert, berichtet Direktor Sergej Chochlow, doch seit der Finanzkrise ist die Nachfrage drastisch eingebrochen. Nun müsse man 1.600 der 6.200 Mitarbeiter in den unbezahlten Urlaub entlassen. Doch vor Arbeiter-Aufständen habe er keine Angst. Im russischen Fernen Osten, gäbe es keine Tradition von Protesten. Putin habe die Hütte vor kurzem besucht. Da habe er händeringend um Not-Kredite staatlicher Banken gebeten.
Ljudmilla Nikolajewna, Abteilungsleiterin in einem Schönheitssalon von Komsomolsk, meint, die Krise in ihrem Betrieb sei noch nicht zu spüren, doch in der Stahlhütte schon. Ihr Sohn arbeitete für 13.000 Rubel (300 Euro) als Helfer in dem Stahl-Werk. Jetzt sei er in den unbezahlten Urlaub entlassen worden. Doch die 49jährige mit den blondierten Haaren gibt sich optimistisch. „Wir haben schon so manche Krise überstanden“. In Krisenzeiten würden die Familien meist von den Renten der Pensionäre und „kleinen Dienstleistungen“ leben. Auch ihr Mann habe keine Angst vor der Krise, denn der repariere Fernseher und die würden immer gebraucht.
Völlig kalt lässt die Krise die Menschen im russischen Fernen Osten jedoch keineswegs. Im Dezember gab es in den Städten Primorje, Wladiwostok und auch in Chabarowsk eine Protestwelle gegen die von Putin angeordnete Erhöhung der Importzölle für japanische Gebrauchtwagen. In Chabarowsk fahren fast alle rechtsgesteuerte Autos aus Japan. „Über russische Autos lachen wir nur“, meint der 29jährige Denis, der in der Medienwirtschaft arbeitet. „Die kann man einfach nicht ernst nehmen.“ Auch die 48jährige Juristin Irina, die sich lange in der Umweltbewegung für den vom Aussterben bedrohten Amur-Tiger engagiert hat – im Gebiet Chabarowsk leben noch etwa 80 Exemplare - , hält nicht viel von der Erhöhung der Zollgebühren, wobei sie die Absicht von Putin, die heimische Autoindustrie zu unterstützen, natürlich verstehe. „In Chabarowsk ein russisches Auto zu kaufen, ist einfach nicht attraktiv.“ Ein japanischer Gebrauchtwagen sei viel billiger als ein russischer Neuwagen und biete zudem viel mehr Komfort.
An den EU-Russland-Gipfel hatte Denis keine Erwartungen. Er würde sehr gerne mal nach Salzburg fahren. Dort soll es schön sein. Aber Reisen von Chabarowsk nach Europa könnten sich nur Wenige leisten. Meistens fahren die Städter zum Nachbarn China, einfach zum Shoppen oder nach Thailand, um Urlaub zu machen. Bis zur chinesischen Grenze ist es nur ein Katzensprung von 20 Kilometern. Der Grenzfluss Amur leidet unter den chinesischen Industrieabwässern. Baden kann man in dem Fluss schon lange nicht mehr. Wenn man den Hahn aufdreht, kommt braunes Wasser. „Bloss nicht Trinken“, meint Denis. In Chabarowsk kaufen die Bürger ihr Trinkwasser alle im Laden.
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