09.08.2023 13:11:56
EM-INTERVIEW
Von Hans Wagner
Dr. Christian Geltinger |
Zur Person: Christian Geltinger | |
Christian Geltinger wurde am 17. Mai1968 in Freising/Bayern geboren. Er hat Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und mit dem Diplom abgeschlossen. Seine Promotion zum Dr. rer. nat. absolvierte er am Münchner GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit. 1998 arbeitete Geltinger ein Jahr am RIKEN, dem „Institute of Physical and Chemical Research Tsukuba - Life Science Center“ in Japan. Von 1999- 2006 war er Stellvertretender Referatsleiter im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, Referat „Invest in Bavaria“ für Ansiedlungspolitik und Standortmarketing. Seit Oktober 2006 ist Dr. Geltinger nun „Chefrepräsentant des State of Bavaria – Shandong Office in Qingdao V.R. China“. www.bayern-shandong.com.cn www.invest-in-bavaria.cn |
urasisches Magazin: Herr Dr. Geltinger, Sie leben und arbeiten als Repräsentant Bayerns in der aufstrebenden und sowohl wirtschaftlich als auch kulturell und touristisch außerordentlich bedeutenden chinesischen Provinz Schandong. Das ist nur eine Flugstunde von den Metropolen Peking und Schanghai entfernt. Welche Bedeutung hat nach Ihrer Einschätzung die Abhaltung der allerersten Olympischen Spiele für Ihr Gastland?
Christian Geltinger: Olympia wird in China in vielerlei Hinsicht als eine große, wenn nicht einmalige Chance wahrgenommen: Die Chance, der Welt nicht nur sein Jahrtausende altes Kulturerbe, sondern auch seine Fortschritte von einem Entwicklungsland zu einer neuen Wirtschaftskraft zu zeigen. Sieben Jahre nach der Vergabe der Spiele und dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im selben Jahr kann China sagen: Wir sind bereit. Premierminister Wen Jiabao erklärte im April dieses Jahres, dass die Olympischen Spiele Beijing 2008 zeigen werden, wie „demokratisch, offen, zivilisiert, freundlich und harmonisch“ das Land ist. Besucher werden feststellen können, wie diese Attribute nach chinesischem Verständnis über die Olympischen Spiele erlebbar sind.
EM: Wie empfinden die Menschen in China ihre Rolle als Gastgeber?
Geltinger: Gastgeber für das nach der FIFA Fußball WM medial am meisten beachtete sportliche Großereignis der Welt zu sein, erfüllt viele Chinesen mit einer Mischung aus Stolz und Neugier. Vormalige Olympiasieger wie der Hürdenläufer Liu Xiang und die Turmspringerin Guo Jingjing, sowie der NBA-Star Yao Ming sind als Nationalhelden omnipräsent. Unter sportlichen Gesichtspunkten war Olympia in China überfällig. Die Sportbegeisterung ist riesengroß, gerade für die - nur aus unserer Sicht – so genannten Randsportarten. Der Ansturm auf alle verfügbaren Tickets war enorm.
EM: Versprechen sich die Chinesen künftig auch touristische Erfolge durch die Abhaltung der Spiele?
Geltinger: Ja, ganz bestimmt. In der ehemaligen deutschen Koloniestadt Qingdao, zu deutsch Tsingtau, dem Austragungsort der Segelwettbewerbe, ist man froh, so unmittelbar neben Peking als Gastgeberstadt am olympischen Trubel teilhaben zu können. Es wird als Chance begriffen, Qingdao im In– und Ausland noch bekannter zu machen. Die Qingdaoer erwarten sich aber nicht nur steigende Touristen- oder Umsatzzahlen. Die Spiele sollen helfen, die ohnehin gute Luft mit einer weltoffeneren Stimmung zu erfüllen, offen für alle Kulturen, neue Ideen, für Lebensfreude aller Art und für Toleranz. Und vor allem sollen die Spiele dazu beitragen, das drängendste Problem des Landes, die Umweltbelastung, zu verringern.
EM: Über die wirtschaftliche Bedeutung der Spiele sagte Wang Qishan, Direktor der Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission, dass sie Investitionen von insgesamt 180 Milliarden US-Dollar auslösen würden. Der chinesische Chefvolkswirt der Investmentbank Goldmann Sachs, Fred Hu, sagte voraus, dass die Olympischen Spiele im Entwicklungsland China das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 bis 0,4 Prozent jährlich erhöhen würden. Die Gewinne an wirtschaftlicher Effektivität würden weit über 2008 hinausreichen. Was ist davon im Lande zu sehen und zu spüren?
Geltinger: Die Zahlen des Pekinger Statistikamtes weisen sogar ein zusätzliches Wachstum von 2,5 Prozent des städtischen BIP durch die Olympischen Spiele aus. Vor allem in den Bereichen Werbung, TV, Internet, Mobilfunk, erneuerbare Energien und Sportindustrie sind signifikante Wachstumsraten zu verzeichnen. Für Werbung und Anzeigen werden im Jahr 2008 die Ausgaben von 14,7 auf rund 18,5 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Vorjahr steigen. Bei der Internetwerbung sind Wachstumsraten von über 30 Prozent zu verzeichnen. Für die noch relativ unterentwickelte Sportindustrie wird ein Wachstum von 20 Prozent erwartet, denn bei aller Sportbegeisterung treiben noch sehr wenige Chinesen selber aktiv Sport. Am sichtbarsten sind die Investitionen in die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und den Umweltschutz. Peking wird allein 1,1 Milliarden US-Dollar für den Ausbau des U-Bahnnetzes, den Bau von zwei neuen Ringstraßen, den Neubau bzw. die Erneuerung von 318 Straßenkilometern und die Modernisierung der Signalanlagen ausgeben. Das Prunkstück, der neue internationale Flughafen Terminal 3, verschlang 3,5 Milliarden US-Dollar. Weitere 3,6 Milliarden flossen in den Ausbau der IT- und Telekommunikationsinfrastruktur und den Aufbau eines eigenen 3G-Netzes für den Mobilfunk.
EM: Wie wird sich das Stadtbild Pekings verändern?
Geltinger: Für Teile der Bevölkerung innerhalb des Stadtgebiets Pekings sind vor allem die 200 Millionen US-Dollar spürbar, die zum Abriss veralteter Bausubstanz und nicht mehr zeitgemäßer Wohnungen veranschlagt wurden. Gleichzeitig schoss eine Vielzahl neuer Hotels wie Pilze aus dem Boden, die sich alle das große Geschäft während der Spiele erhoffen.
EM: Wir hatten schon über die Umweltsituation gesprochen. Welche Investitionen hat die Stadt Peking dafür getätigt?
Geltinger: Für Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltsituation in Peking wurden 12,2 Milliarden US- Dollar investiert, die allerdings bei weitem noch nicht ausreichen. Der Planzeitraum zur nachhaltigen Entwicklung Pekings wurde bis 2015 angesetzt, so dass auch nach den Spielen mit weiteren Maßnahmen zu rechnen ist. Erwartungen, dass drei Wochen Olympische Spiele die Umweltprobleme Pekings oder Chinas lösen werden, waren von Anfang an fehl am Platz. Zu hoffen bleibt, dass durch die Spiele positive Beispiele gesetzt werden, die man nun landesweit umsetzt.
EM: Die für Peking bestimmten Investitionen würden sich auf über 35 Milliarden Dollar belaufen, sagte Parteichef Hu Jintao schon 2004. Das wäre fast fünfmal soviel wie an Aufwendungen für die Spiele in Athen vor vier Jahren. Und vermutlich reicht diese Summe inzwischen längst nicht mehr. Auf welchen Gebieten beobachten Sie die größten Auswirkungen des Olympiabooms?
Geltinger: Man spricht inzwischen von 40 Milliarden US-Dollar an Investitionen allein im Zeitraum von 2002 bis 2006. Es galt, einen 1.135 Hektar großen olympischen Park und 37 Stadien neu zu bauen, bzw. olympiagerecht umzugestalten. Dazu kamen noch 59 Trainingsstätten und Infrastrukturprojekte für die Paralympics, die im Anschluss an die Spiele im September stattfinden werden. Vor allem beim Nationalstadion, dem „Bird’s Nest“ und beim Schwimmstadion „Water Cube“ in Peking sowie der Segelmarina in Qingdao hat man architektonisch neue Maßstäbe gesetzt und touristische Magnete der Zukunft geschaffen.
EM: China stellt 639 Athleten. Das chinesische Team ist damit das größte der diesjährigen Sommerspiele, vor den USA mit 596 und Russland mit 470 Athleten. 32 Goldmedaillen errang China bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen und blieb damit nur um vier Medaillen hinter den USA. Diesmal will China den Spitzenplatz. Ist den Chinesen dieser zuzutrauen?
Geltinger: Wie im Fußball gilt auch bei Olympia: Nach den Spielen ist vor den Spielen. Bei allen Prognosen sollte man bedenken, dass 469 der insgesamt 639 chinesischen Olympioniken zum ersten Mal an Olympischen Wettkämpfen teilnehmen werden, und das auch noch gleich bei Heimspielen. Es bleibt abzuwarten, ob der gewaltige öffentliche Erwartungsdruck diese jungen Athleten im entscheidenden Augenblick eher beflügelt oder lähmt. Liu Xiang, Titelverteidiger von Athen 2004 im 110m Hürdenlauf und unbestrittener Top-Athlet Chinas, hat zwar als oberstes Ziel saubere, drogenfreie Spiele und weniger die Jagd nach Gold verkündet. Aber am Abend des 21. August werden 1,3 Milliarden Chinesen nichts anderes als seinen Sieg im Finale bejubeln wollen.
EM: Spürt man, dass China den Rivalen USA diesmal unbedingt überholen will? Es wird von Parolen berichtet, wie „Der Drache kann jeden überrunden“. Partei- und Staatschef Hu Jintao wird mit dem Satz zitiert „Gewinnt Ruhm für unser Land“. Und die Parole der Regierung lautet: „New Beijing, Great Olympics“. Was spüren Sie von dieser Aufbruchstimmung?
Geltinger: Die Olympischen Spiele werden in der öffentlichen Diskussion in keiner Weise auf einen Zweikampf China - USA reduziert. Der Blick richtet sich auf das Gesamterlebnis des für viele bedeutendsten Sportereignisses. Im Vordergrund stehen die einzelnen Disziplinen, und die Diskussion, welcher Athlet Chancen auf Edelmetall hat. Diese Diskussion wird sicher so auch in Deutschland geführt. Natürlich wird es in einzelnen Wettbewerben auch zu brisanten Duellen chinesischer und amerikanischer Athleten kommen. Ich sehe aber keinerlei Anzeichen einer Politisierung der Wettkämpfe im Sinne „Ost gegen West“, wie wir sie in den 80ern Jahren zum Leidwesen der Athleten erlebt haben. Und die Globalisierung des Sports hat dazu beigetragen, dass man zum Beispiel den Auftritten der Starspieler der in China überaus populären amerikanischen Basketball-Liga NBA, seien es Kobe Bryant (USA), Yao Ming (China) oder Dirk Nowitzky (Deutschland), gleichermaßen entgegenfiebert. Pikanterweise wurden diese drei Nationen in eine Vorrundengruppe gelost.
EM: Welche Bedeutung kommt der Formel von „New Beijing, Great Olympics“ zu?
Geltinger: Hinter dem Slogan „New Beijing, Great Olympics“ steckt ein langjähriger Masterplan namens Beijing Olympics Action Plan, mit dem man nicht nur spektakuläre olympische Wettkampfstätten bauen, sondern der Metropole Peking ein neues internationales Gesicht geben wollte. Wo der eine mit Begeisterung und Staunen vor der hypermodernen Hochhausarchitektur in Glas und Stahl verharrt, geht dem anderen dabei zu viel des alten Peking verloren. Wenn die Zahl der Baustellen und Bauprojekte ein Gradmesser für eine Aufbruchstimmung ist, könnte sie nicht größer sein als im Moment, obwohl seit Mitte Juli zur Reduktion der Luftbelastung ein kompletter Baustop in der Stadt verhängt wurde. Es gibt schon Stimmen, die bedauern, dass Olympia-Touristen mit einem Peking ohne Baustellenlärm leider nicht mehr das authentische Peking erleben werden.
EM: Erfasst die geschilderte Aufbruchstimmung denn die gesamte Nation?
Geltinger: Olympia und seinen Symbolen kann sich inzwischen keiner mehr entziehen, in sämtlichen Medien ist Olympia das beherrschende Thema. Die Spiele selbst werden neben Peking in sechs weiteren Austragungsorten erlebbar sein: In Qingdao, wo die Segelwettbewerbe laufen, in Qinhuangdao, Schanghai, Shenyang, Tianjin, wo die Wettkampfarenen des Fußballs stehen und in HongKong, wo sich die Reiterelite der Welt trifft. Auch kurz nach dem verheerenden Erdbeben von Wenchuan war die Verbindung zu Olympia hergestellt. Im Vorfeld der Spiele fand bereits eine Vielzahl von Olympiaveranstaltungen statt, vor allem zu besonderen Tagen des Countdowns bis zum 8.8. Der Sportkanal des staatlichen Fernsehens CCTV wurde zum Jahreswechsel in einen Olympiakanal umgewandelt, landesweit über 800 offizielle Souvenirläden aufgebaut und in zahlreichen Städten großflächige Olympiabanner angebracht. Zudem kommen die Werbekampagnen der offiziellen Sponsoren in die heiße Phase. Den größten Effekt erzielte aber der ausgedehnte Fackellauf durch ganz China, der das Thema Olympia und seine Symbolkraft in nahezu alle Landesteile gebracht hat. Bei denjenigen, die im Vorfeld entlang der Strecke als Spalier ausgewählt wurden, hat man echte Begeisterung über dieses einmalige Erlebnis gespürt. Allerdings hätten sich viele bei der Organisation mehr Freizügigkeit oder Spontaneität gewünscht. Bedauerlicherweise nimmt die Wahrung der Sicherheit nach außen und innen bei solchen Großveranstaltungen eine immer dominierendere Rolle ein.
EM: Haben die Spiele über das Sportliche hinaus auch so etwas wie eine nationale Wiedergutmachung im Sinn – immerhin hatte man die Asiaten und vor allem China lange von diesen sportlichen Großveranstaltungen ausgeschlossen und sie damit beschämt?
Geltinger: Das kann man so nicht sagen. Asien war ja mit Tokio 1964 und Seoul 1988 bereits zweimal Gastgeber der Olympischen Spiele, im Abstand von 24 Jahren. Jetzt ist Asien nach 20 Jahren wieder an der Reihe. Die Spiele fanden zudem bis dato noch nie in einem Entwicklungs- oder Schwellenland statt. Südamerika und Afrika warten immer noch auf ihre ersten Spiele. Insofern war es im Jahr 2001 ein gewaltiger Vertrauensvorschuss des IOC, die Spiele der 29. Olympiade in ein sich entwickelndes Land wie China zu vergeben. Zusammen mit der Formel1 und der EXPO 2010 wird China dann Ausrichter von drei der vier herausragendsten Großveranstaltungen der Welt sein. Jetzt fehlt China nur noch die FIFA Fußball-WM der Männer, denn die Frauen-WM war ja 2007 auch schon da.
EM: Herr Dr. Geltinger, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.
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