Klappe zwei fur die PrivatisierungRUßLAND

Klappe zwei fur die Privatisierung

Die Verhaftung des reichsten russischen Oligarchen, Michail Chodorowski, wegen Betrugs und Steuerhinterziehung bescherte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin weltweit negative Schlagzeilen. Vielerorts wurde sie als Fanal fur eine beginnende neue Verstaatlichung der Wirtschaft des Landes interpretiert. Rußland-Experte Kai Ehlers vertritt in seiner Analyse die These, hier gehe es weder um eine Ruckfuhrung von Vermögen in Staatseigentum noch um eine neue Privatisierungswelle. Es handle sich bei dem aktuellen innenpolitischen Konflikt lediglich um die Aufteilung der Beute aus der bisherigen Privatisierung.

Von Kai Ehlers

EM – Still war es im wilden Rußland geworden. Wladimir Putins autoritäre Modernisierung schimmerte im Glanz des neuen russischen Wirtschaftsbooms. Erst im Oktober hatte die US-Ratingagentur Moody´s die Russische Föderation in die Kategorie der soliden Schuldner eingereiht. Der Ölkonzern Jukos war der Liebling der russischen Börse, Jukos-Aktien hatten vor kurzem einen Jahreshöchststand von 650 Punkten erreicht.

In diese Idylle platzte die Neuigkeit von der Verhaftung Michail Chodorkowskis hinein. Die Wellen schlugen hoch. Das Entsetzen und die Enttäuschung über Präsident Putin war groß. Aber muß man denn überrascht sein? Klar ist doch: Putin ist nicht Rußland – und überraschend ist diese Entwicklung auch nicht. Zwar war in letzter Zeit viel vom boomenden Rußland, von einer Normalisierung im Inneren die Rede, tatsächlich gibt es bisher jedoch weder einen allgemeinen Boom der russischen Wirtschaft, noch eine innenpolitische Normalisierung – wenn darunter, wie es zweifellos gemeint ist, die Angleichung russischer Verhältnisse an europäische, d.h. westliche Normen verstanden wird.

Runde zwei der Privatisierung

Die wirtschaftliche Stabilisierung, die unter Putin zu beobachten war, ist durch einen Ausverkauf der Bodenschätze im großen Maßstab bei gleichzeitiger Restauration autoritärer Herrschaftsstrukturen erkauft worden. Die Absicherung der Privatisierun gen der ersten Stunde durch Putin ist soweit abgeschlossen, daß die Frage nach der nächsten Runde ansteht. Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen und Interessen. Von Seiten der liberalen Radikal-Reformer wird die sogenannte kommunale Reform als der demnächst notwendige Schritt beurteilt. Verfechter dieses Kurses sind allen voran der ehemalige Privatisierungsminister Anatoli Tschubais, der jetzt als Kandidat der ultra-liberalen „Union rechter Kräfte“ in den Duma-Wahlkampf zieht, Jegor Gaidar der erste Premier unter Präsident Jelzin, ebenso wie der in London lebende Boris Beresowski.

Inhalt dieser Reform wäre die Privatisierung der Reproduktionssphäre, das heißt, die Überführung der bisherigen kommunalen und/oder betrieblichen sozialen und kommunalen Grundversorgung in private Hände. Die idealtypische Annahme, von der seitens der Reformer für diese Pläne ausgegangen wird, beinhaltet, daß in Rußland nach der Überführung der Produktion in private Hände inzwischen ein freier Markt entstanden sei, der nunmehr mit einer ebenfalls nach Marktgesetzen zu organisierenden Reproduktionssphäre zu einem funktionierenden Marktkreislauf, einer marktwirtschaftlichen Ganzheit entwickelt werden könne. Privatisierung der „natürlichen Monopole“ lautet das Stichwort, unter dem diese Entwicklung stehen soll. Natürliche Monopole – das sind Wirtschaftsgiganten wie GASPROM oder der allrussische Energiekonzern RAOUES. Aber auch die Eisenbahn oder auch die gesamte Wasserversorgung in Rußland sollen privatisiert werden.

In Rußland gibt es weder einen freien Markt noch einen kapitalistischen Waren- und Geldkreislauf

Diese neuen Privatisierungsschritte werden als Fortsetzung des Transformationsprozesses verstanden, der die Entwicklung Rußlands zur Marktwirtschaft vollenden soll. Tatsache ist allerdings, daß die Voraussetzungen für diese Entwicklung in Rußland nicht gegeben sind und es fragt sich, ob es sie jemals geben wird. Ein freier Markt existiert in Rußland bisher nicht. Die Privatisierungen der ersten Phase (von 1989/90 – bis heute) haben lediglich das Volksvermögen, das bis dahin in staatlichen Händen lag, in private Hände üb ergeführt , die miteinander und mit der staatlichen Bürokratie eine Beziehungswirtschaft betreiben. Dabei ist die heimische Produktion um mindestens 50 Prozent ihres Umfanges geschrumpft und ist auf dem Weltmarkt heute nicht konkurrenzfähig. Rußlands Wirtschaft, insofern sie heute boomt und Wachstum verzeichnet, besteht schwerpunktmäßig aus dem Geschäft mit Rohstoffen, wie Öl, Gas, Elektroenergie und Holz. Im großen und ganzen liegt die Produktion noch am Boden, von einem kapitalistischen Waren- und Geldkreislauf kann nicht die Rede sein. Vielmehr leben die meisten Betriebe noch vom Speck der Sowjetzeit und dümpeln gerade so über dem Niveau des Bankrottes vor sich hin.

Unter diesen Umständen käme eine zweite Privatisierungswelle in dem von Anatoli Tschubais und den anderen sogenannten Reformern beabsichtigten Sinne einer endgültigen Zerstörung der sozialen Strukturen und einer vollkommenen Atomisierung der russischen Gesellschaft gleich. Eigentlich geht es in der aktuellen Auseinandersetzung in Rußland auch nicht um die Fortsetzung der Privatisierung – was man ja allen dadurch verursachten Problemen zum Trotz, noch als Versuch werten könnte, die Transformation fortzusetzen –, sondern um die schlichte Aufteilung der bisher eingebrachten Privatisierungsbeute unter die Wölfe der sogenannten Elite. Was man zur Zeit sieht und hört ist ein Trampeln auf der Stelle.

Der Widerstand gegen eine derartige Privatisierung, die nach der Umverteilung des Kollektivvermögens an private Großunternehmer die Auflösung der gewachsenen sozial-ökonomischen Kollektivstrukturen selbst zum Gegenstand hätte, ist verständlicherweise groß. Er speist sich aus den unterschiedlichsten Quellen. Zum einen kommt er von unten, aus der einfachen Bevölkerung selbst. Die Menschen weigern sich, ihre letzten Sicherheiten aufzugeben. An ihrer massenhaften Verweigerung scheitert das Projekt der zweiten Privatisierungswelle seit Mitte der 90er Jahre, als der damalige Vize-Premier Boris Nemzow kurzfristig für diese Reformpläne eintrat. Für deren Undurchsetzbarkeit mußte er mit dem Ende seiner Politkarriere bezahlen.

Das System der Oligarchen fuhr Gorbatschows Reformprogramm an die Wand

Auch von oben gibt es Widerstand. Er wurzelt oftmals in gegensätzlichen Motiven, ist aber in der Ablehnung von Entmonopolisierung und Dezentralisierung vereint, die mit einer zweiten Phase der Privatisierung untrennbar verbundenen wären. Die einen sind dagegen, weil sie ihren neu erworbenen Reichtum nicht verlieren wollen, die anderen, weil sie hoffen ihren alten Einfluß wiederherstellen zu können. Dies erklärt auch so erstaunliche Koalitionen wie die Parteinahme des jetzt verhafteten Michail Chodorkowski für Liberale und Kommunisten zugleich und umgekehrt die Sympathiebekundungen der Liberalen und Kommunisten für den Oligarchen.

Bemerkenswert ist auch die Erklärung der „Allrussischen Konferenz zivilgesellschaftlicher Organisationen“, wonach die Festnahme Michail Chodorkowskis die Entwicklung Rußlands zu einer modernen zivilen Gesellschaft aufhalten werde. Doch mit dem gleichen Recht ließe sich sagen, daß die private Aneignung des russischen Staatsvermögens durch Michail Chodorkowski und anderen Oligarchen die von Michail Gorbatschow gewollte Transformation des Sowjetstaates zu einer offenen und sozial gerechten Gesellschaft rücksichtslos an die Wand gefahren hat.

Mehr von Kai Ehlers finden Sie unter www.kai-ehlers.de.

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