Krankenschwester rettet Patienten aus brennendem WohnblockHELDIN

Wie eine russische Krankenschwester 23 Männer vor dem Flammentod rettete

Die Krankenschwester Julia Anufrijewa befreite die todgeweihten Patienten aus dem brennenden Wohnblock einer Psychiatrie im nordrussischen Nowgorod-Gebiet, bis sie selbst zum Opfer wurde.

Von Ulrich Heyden

37 psychisch kranke Männer verbrannten Mitte September in dem flachen, hölzernen Wohnhaus einer Psychiatrie im nordrussischen Nowgorod-Gebiet. Es war nicht der erste Brand in einer russischen Psychiatrie. Die Sozialeinrichtungen in der russischen Provinz sind schlecht gegen Feuersbrünste geschützt.

Der Wohnblock für Männer in der Psychiatrie bei Nowgorod war in einem 150 Jahre alten Haus untergebracht. In dem Gebäude gab es weder Kanalisation noch Wasseranschluss, berichtete der zuständige Arzt, Igor Bulanow gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Wie der Brand entstand, ist bisher unklar. Nach Medienberichten, soll ein Patient geraucht haben. Dabei habe sich sein Bett entzündet.

Der Chefarzt der Psychiatrie im Gebiet Nowgorod, Gusejn Magomedow, erklärte, einer der Patienten habe einen Brand gelegt. Nach einem Bericht des Fernsehkanals Vesti hatte es einen Konflikt zwischen einem der Patienten und der Anstaltsleitung gegeben. Der Patient habe der Anstaltsleitung mit einem „lustigen Leben“ gedroht.

Die Retterin wurde von herabstürzenden Balken erschlagen

Unter den Toten ist auch die Krankenschwester Julia Anufrijewa. Die Mutter von vier Kindern war in dem Wohnblock für psychisch kranke Männer in der Nacht auf Freitag die einzige Aufsichtsführende. Nachdem der Brand um drei Uhr nachts ausgebrochen war, alarmierte Anufrijewa die Feuerwehr, und rettete 23 Männer ins Freie. Die 46jährige wollte weitere Menschen retten, wurde aber von einem herabstürzenden Balken erschlagen. Der Gouverneur des Gebietes Nowgorod, Sergej Mitin, will der Getöteten nun eine Auszeichnung verleihen.

Der Leiter des russischen Ermittlungskomitees, Aleskandr Bastyrkin, reiste zum Ort der Katastrophe. Ermittelt werden wegen Fahrlässigkeit. Wladmir Putin versprach Hilfe für die Überlebenden und forderte mehr auf die Sicherheitsbestimmungen zu achten.
Die russische Staatsanwaltschaft hatte schon im März die Schließung des Männer-Wohnblocks wegen Baufälligkeit und Brandgefahr angeordnet. Das zuständige Gericht räumte der Einrichtung allerdings eine Frist zur Beseitigung der Mängel bis zum August 2014 ein.

In den letzten Jahren kam es in Russland immer wieder zu Bränden in psychiatrischen Anstalten oder  Altenheimen. Bei dem letzten Brand in einer russischen Psychiatrie starben im April dieses Jahres im Dorf Ramenskoje südlich von Moskau 38 Menschen. 25 Menschen kamen beim Feuer in einem Altenheim im nordrussischen Komi-Gebiet im Jahre 2009 ums Leben. 2007 starben bei einem Brand in einem Altenheim in der südrussischen Kuban-Region 63 Menschen.

Örtliche Verwaltungen haben zu wenig Geld

Das Problem ist, dass es sich bei den Gebäuden oft um Holzhäuser handelt. Die Feuermelder befinden sich meist nicht im ordnungsgemäßen Zustand. Sprinkler-Anlagen existieren nicht. Die Fenster sind meist mit Eisengittern gesichert, die Nachtwachen nur schwach besetzt. In dem jetzt abgebrannten Wohnheim im Gebiet Nowgorod gab es zwar keine Eisengitter vor den Fenstern. Doch psychisch Kranke werden in Russland vor der Nacht mit starken Medikamenten ruhig gestellt. Bei Bränden können die Patienten dann nicht so schnell reagieren wie nötig. Die örtlichen Verwaltungen haben kein Geld für den Neubau von Gebäuden.

Das Problem der psychisch Kranken und alten Menschen, die nicht von ihren Verwandten betreut werden, wird vom staatlichen Fernsehen nur behandelt, wenn mal wieder ein Gebäude brennt. Die psychisch Kranken und Alten ohne Angehörige haben keine Lobby und leben in großer Einsamkeit und Armut.

Die wenigen russischen Wohltätigkeitsorganisationen können die Finanzierungslücken für die Sozialeinrichtungen nicht füllen. Die Spendenbereitschaft in Russland ist nicht übermäßig. Das liegt auch an dem mangelnden Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Wohltätigkeitsorganisationen.

Die russisch-orthodoxe Kirche schweigt zum Thema psychisch Kranke und Altersarmut oder beschränkt sich auf Gebete. Von der  russischen Regierung werden nach jedem Brand in einem Altersheim oder einer Psychiatrie strengste Untersuchungen angeordnet. Doch es fehlt der Wille wenigstens einfache Maßnahmen zu ergreifen, wie etwa die Gitter vor den Fenstern der Anstalten zu entfernen. Billiger ist es allemal die psychisch Kranken vor der Nachtruhe mit Medikamenten ruhig zu stellen, damit die wenigen Aufsichtskräfte die Lage unter Kontrolle behalten. Wenige Tage nach dem Brand in einer Sozialeinrichtung ist die Empörung abgeebbt, bis es dann wieder irgendwo brennt.

Russland

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