09.08.2023 13:11:56
SEX UND POLITIK
Von Ulrich Heyden
s war immer die gleiche Wohnung und immer das gleiche junge Mädchen: Katja Gerasimowa. Dem Gelegenheitsmodell, Anfang 20, mit dem Spitznamen Mu-Mu, gingen gleich mehrere bekannte Mitglieder der liberalen und nationalistischen Moskauer Opposition ins Netz. In einer mit versteckten Kameras gespickten Wohnung wurden sie dann beim Sex mit dem Mädchen und beim Kokain-Schnüffeln abgefilmt. Auf den Videos, die seit Anfang März auf der Website www.kanal911.com veröffentlicht wurden, sind der liberale Satiriker Viktor Schenderowitsch, der Nationalbolschewist und Schriftsteller Eduard Limonow (Fuck Off America) sowie der frühere Chef der rechtsradikalen „Bewegung gegen illegale Immigration“, Aleksandr Potkin zu sehen. Auch den Chefredakteur des vom Springer Verlag herausgegebenen Wochenmagazins „Newsweek Russia“, Michail Fishmann, fing die brünette Mu-Mu ein. In der Wohnung mit den versteckten Kameras wurde der Journalist in Unterhose beim Schnüffeln eines weißen Pulvers abgefilmt.
Seit Mitte März tauchen nun immer wieder neue Videos im Internet auf und sorgen dort für Kommentarschlachten. Der bekannte liberale Straßenaktivist Ilja Jaschin, der auch eine Nacht mit einer jungen Frau in besagter Wohnung verbrachte, erwartet nun ebenfalls ein Video im Internet. Er erstattete Anzeige bei der Moskauer Staatsanwaltschaft. Nach Meinung von Jaschin stecken der stellvertretende Chef der Kreml-Administration Wladislaw Surkow und der ehemalige Chef der kremlnahen Jugendorganisation Naschi (Die Unseren), Wasili Jakemenko, hinter dem Video-Komplott.
Die kompromittierenden Filme, auf denen auch Schmiergeldzahlungen an Verkehrspolizisten zu sehen sind, wurden zum Teil offenbar schon letztes Jahr aufgenommen. Für die Website zeichnet ein „Gesellschaftliches Komitee zum Schutz von Moral, Gesetz und bürgerlichem Einverständnis“ verantwortlich. Offenbar soll mit den Filmchen gegen die kleine liberale Oppositionsszene um den Schachweltmeister Garri Kasparow Stimmung gemacht werden, die seit Anfang März im Internet Unterschriften für den Rücktritt von Wladimir Putin sammelt. Bisher haben angeblich schon 39.000 Menschen unterschrieben. Einer der Unterzeichnenden war auch Video-Opfer Viktor Schenderowitsch. Die Moskauer Dissidenten-Szene erinnert das ganze Vorgehen an die Methoden des KGB.
Der Satiriker Viktor Schenderowitsch, der in einem der Filmchen nackt auf einem Bett zu sehen ist, gab sich zunächst noch locker. Die Hintermänner ortete der Satiriker beim Geheimdienst und sprach diese auch gleich direkt an. „Genossen Tschekisten. Das ist eine Diskriminierung gegen das Alter.“ Den jungen Oppositionellen habe man zwei junge Mädchen „für umsonst“ gegeben, ihm, dem über 50jährigen „aber nur eins“. Im Übrigen sei es mit Katja, dem jungen Lockvogel, „langweilig“ gewesen. Inzwischen ist dem Satiriker, der den Kreml wegen der Entlassung der kritischen Redaktion des Fernsehsender NTW und der Inhaftierung von Jukos-Chef Michail Chodorkowski immer scharf angegangen war, jedoch der Spaß vergangen. Am Sonntag stellte der Satiriker seinen Blog im Internet ein, weil er massenhaft Beschimpfungen erhielt.
Michail Fishmann, der Chefredakteur von Newsweek Russia, bekam gleich nach der Veröffentlichung des kompromittierenden Videos Unterstützung von seinem Verlag. Fishmann sei Opfer einer „zielgerichteten Kampagne, aufgebaut auf Lügen und Provokationen“, heißt es in einer Erklärung des Springer-Verlags.
Die Freunde von Ilja Jaschin, der ebenfalls ein Video von sich erwartet, haben nun begonnen, zu recherchieren. Lockvogel Katja Gerasimowa arbeitet angeblich für die Moskauer Firma „Orange Disco“. Die Managerin der Firma habe das junge Mädchen als „sehr fleißig“ in Erinnerung. Die Mutter von Katja erklärte am Telefon, dass ihre Tochter zum Studium ins Ausland gefahren sei. Sie komme nicht vor einem halben Jahr zurück.
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