09.08.2023 13:11:56
GLÜCKSSPIEL
Von Wilfried Arz | 08.03.2015
![]() |
Casinos bei Nacht in Macao Foto: Brenden Brain |
Keine Krise, sondern einen Wirtschaftsboom bietet an Chinas Südküste Portugals ehemalige Kolonie Macao . Dort drängen sich fast 600.000 Einwohner auf nur knapp 30 Quadratkilometern Fläche. Hoch hingegen die Wirtschaftsleistung: mit einem Bruttoinlandprodukt (BIP) von rund 90.000 US-Dollar/Kopf (2013) rangiert Macao global an vierter Position - nach Luxemburg, Norwegen und Katar. 442 Jahre Kolonialherrschaft endeten 1999 mit der Rückgabe Macao s an China. Inzwischen bietet die kleine Enklave ein großes Wirtschaftswunder: 2013 lockten seine 35 Kasinos insgesamt 28 Millionen Besucher an die Spieltische. Milliarden US-Dollar fliessen aus den Taschen (überwiegend) chinesischer Spielsüchtiger nach Macao .
Wachsende Konkurrenz durch neue Kasinostandorte (Singapur, Vietnam, Philippinen) könnte Macao s kasinozentrierter Wirtschaftsstruktur schon bald Probleme bereiten. Macao s Wirtschaft soll deshalb auf eine breitere Grundlage gestellt werden: einmal durch verstärkte Integration in Südchinas Perlflussregion mit der Nachbarprovinz Guangdong und Hongkong. Zum anderen durch Förderung Macao s als Drehscheibe für den Handel mit energie- und rohstoffreichen Staaten der ehemaligen Kolonialmacht Portugal (insbesondere mit Brasilien, Angola, Mosambik und Ost-Timor). Seit 2006 ist Angola Chinas wichtigster Erdöllieferant. Macao könnte sich als Knotenpunkt im Handel lusophoner (portugiesischsprachiger) Länder mit China positionieren.
Untrennbar verbunden mit Macao ist ein Name: Stanley Ho. Ein Kasinomonopol (bis 2002) verschaffte Ho jahrzehntelange Dominanz in Portugals kleinster Kolonie an Chinas Südküste. Mit einem Vermögen von 3,1 Milliarden US-Dollar (Forbes 2013) ist Ho trotzdem nicht (mehr) der reichste Mann im Zockerparadies. Hos Biografie gleicht einem Spielfilm-Drehbuch. 1921 in Hong Kong geboren begann dessen Karriere zunächst in Hongkong. Im Zweiten Weltkrieg Flucht nach Macao und Heirat mit einer attraktiven Portugiesin, die Ho Verbindungen zu einflussreichen Kreisen der kolonial-portugiesischen Elite öffnete. Gleichwohl ist Stanley Ho kein Selfmademan aus dem Bilderbuch. Geschäftssinn und Reichtum liegen in der Familie.
Stanley Hos Vater war hochbezahlter Einkäufer der jüdischen Familie Sassoon aus dem Irak, die ihr Vermögen in Shanghai und Hongkong erworben hatte. Hos Großvater Sir Robert Hotung, von Englands König Georg V. in den Adelsstand erhoben, schrieb ebenfalls Geschichte: als Einkäufer des schottischen Unternehmens Jardine-Matheson, das im 19. Jahrhundert im Opium- und Teehandel mit China reich geworden war. Robert Hotung verdiente kräftig mit: Anfang des 20. Jahrhunderts war er Hongkongs reichster Grundbesitzer. Erfolgreiche Geschäfte erfordern Anpassungsfähigkeit: Stanley Ho verfügt über zwei Staatsbürgerschaften: die portugiesische und britische. Sein Verhältnis zu China gilt auch nach Rückgabe Macao s an Beijing (1999) als vertrauensvoll: seit 1988 ist Stanley Ho Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas.
![]() |
Macao Hotel Lisboa Foto: WiNG |
Chinas KP in Beijing kontrolliert die Politik in Macao . Formal besitzt Macao den Status einer Sonderverwaltungsregion (wie Hongkong seit 1997). Regierungschefs rekrutieren sich seit 1999 aus der kleinen, sehr reichen Wirtschaftselite: Edmund Ho (1999-2009) und Fernando Chui (seit 2009, Wiederwahl 2014) - bestimmt von einer Wahlkommission, deren Mitglieder von Beijing handverlesen werden. Macao s Elite wusste sich wandelnden politischen Machtverhältnissen stets anzupassen: mit der Kolonialmacht Portugal wie mit KP-Regierungen in Beijing. Politische Mitspracherechte der Bevölkerung existierten zur Kolonialzeit nicht, nach Machtübernahme durch China blieb es dabei. Politische Parteien sucht man in Macao vergeblich.
Macao s Rückkehr in die Arme der Volksrepublik China erfolgte in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen: Einbrüchen im Tourismus (1993), dem Kollaps des Immobilienmarktes (1994) und Asiens Finanzkrise (1997-98). Das Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft wurde in Macao s Bevölkerung mit der Hoffnung verknüpft, an Chinas Wirtschaftsboom zu partizipieren. Wirtschaftspolitisch setzten Chinas neue Statthalter in Macao ganz auf den Kasinotourismus. Beijings Liberalisierung der Touristenvisa-Politik (2003) löste in Macao einen Besucherboom aus. Heute florieren zudem gute Geschäfte mit Chinas korrupten Funktionären und dem Nachwuchs politisch einflussreicher Politbüro-Mitglieder.
Macao s Wirtschaft wird von den Steuerabgaben der Kasinos (35 Prozent der Bruttoeinnahmen) dominiert. Verrauchte Opiumhöhlen und verborgene Hinterzimmer mit Roulette- und Spieltischen sind hochmodernen Kasinopalästen gewichen, deren Umsätze (2013: 45 Milliarden US-Dollar) deutlich höher ausfallen als in Amerikas Zockerparadies Las Vegas. Beijings verordnete Liberalisierung des Kasinomarktes in Macao beendete die Monopolstellung von Stanley Ho (1962-2002). Amerikanische Kasinogiganten (Las Vegas Sands, Wynn Resorts, MGM Mirage) investierten fortan Milliarden US-Dollar und sorgten für neue Impulse im Kasinotourismus. Ein Superlativ: das 2007 eröffnete Megakasino “Venetian Macao ” mit Gesamtkosten von rund 2,4 Milliarden US-Dollar. Zukunftsperspektiven der Kasinoindustrie werden in der Region Asien-Pazifik weiterhin optimistisch eingeschätzt: das amerikanische Beratungsunternehmen PricewaterhouseCooper prognostiziert für 2015 Umsätze von insgesamt rund 80 Milliarden US-Dollar.
Als Paradies auf Erden gilt Macao spielsüchtigen Chinesen und der Organisierten Kriminalität. Kasinoindustrie und Geldwäsche bilden ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Zwei Drittel der Kasinoumsätze Macao s werden in abgeschirmten VIP-Hinterzimmern erzielt, deren exklusive Kundschaft oftmals mit Privatflugzeugen aus China eingeflogen. Ein Untersuchungsausschuss des amerikanischen Senats bezifferte Macao s Geldwäschevolumen auf rund 200 Milliarden US-Dollar/Jahr. Chinesische Unterwelt-Syndikate (Triaden) erwirtschaften Milliardengewinne aus Schmuggel (Drogen, Luxuslimousinen, Waffen, Elfenbein), Prostitution und Menschenhandel. Wirtschaft und Politik sind ebenfalls durch mafiöse Strukturen eng miteinander verzahnt. Verbindungen reichen ins benachbarte Hongkong und weit nach China hinein. Dieser Kontext ermöglichte Stanley Ho seinen legendären Aufstieg zum Kasinokönig von Macao .
China boomt (noch immer!), Hongkong und Macao ebenfalls. Beide ehemaligen Kolonien haben seit dem Souveränitätswechsel (1997 und 1999) einen robusten wirtschaftlichen Aufschwung erfahren. Aus einem kleinen Piratennest entwickelte sich Macao noch im 16. Jahrhundert zu einem quirligen Handelsknotenpunkt, um vorübergehend in einen kolonialen Dornröschenschlaf zu verfallen und sich (nach Machtübernahme Chinas) als populäre Kasinodestination zu positionieren. Hongkong ging seinerseits (noch als britische Kolonie) als erfolgreiches Experiment neoliberaler Entwicklung in Ostasiens Wirtschaftsgeschichte ein. Hongkong blieb nach 1997 neben Tokio und Singapur auch weiterhin ein wichtiges Finanzzentrum in Asien.
China vollzog derweil ebenfalls eine rasante Entwicklung: von einem rückständigen Bauernstaat zur globalen Wirtschaftsmacht Nummer zwei (nach den USA) im 21. Jahrhundert. Hongkong und Macao verdanken ihren Wirtschaftsboom engen Verflechtungen mit China, insbesondere dem dynamischen Wirtschaftsraum benachbarter Küstenprovinzen (Guangdong, Fujian). Auch Taiwan hat von Chinas wirtschaftlicher Liberalisierung nachhaltig profitiert. Der kleine Inselstaat vor Südchinas Küste zählt zu den großen Investoren in China. Wirtschaftlicher Aufschwung in Hongkong, Macao und Taiwan ist mit dem Wirtschaftsboom der Volksrepublik untrennbar verbunden.
Hongkong und Macao werden als Sonderverwaltungsregionen (SVR) regiert. Chinas ehemaliger KP-Chef Deng Xiaoping hatte die Formel “Ein Land, zwei Systeme” entwickelt, um eine Vereinbarkeit von Sozialismus (in China) und Kapitalismus (in Hongkong und Macao ) zu signalisieren. Im Kern zielte das Konzept auf Taiwan. Der Inselstaat war 1949 von Kuomintang-General Chiang Kaishek nach dessen Flucht vor den kommunistischen Truppen Mao Zedongs gegründet worden. Beijing bezeichnet Taiwan als “abtrünnige Provinz” und beansprucht dessen Integration in die Volksrepublik. Hongkong und Macao wurden bislang als Erfolgsmodelle für die Vereinbarkeit von Verwaltungsautonomie, Kapitalismus und wirtschaftlichem Wohlstand unter politischer Schirmherrschaft Chinas präsentiert.
Jüngste öffentliche Proteste in Hongkong (“Regenschirm-Bewegung”) mit Forderungen nach Einführung eines demokratischen Wahlsystems (das auch während der britischen Kolonialzeit nicht existierte) lassen nun Zweifel aufkommen an der Akzeptanz eines politischen Systems unter ideologischer Bevormundung Beijings. Auch in Macao rührt sich politischer Unmut: im Mai 2014 zogen dort rund 20.000 Demonstranten (“Sonnenblumen-Bewegung”) gegen ein Amnestiegesetz auf die Straßen. Streiks in Macao s Kasinoindustrie um höhere Löhne signalisieren Beijing zudem Entwicklungen, die auch China zukünftig ins Haus stehen könnten.
Jenseits aktueller politischer Proteste unterscheiden sich Hongkong und Macao in mehrfacher Hinsicht. In Hongkong haben reiche Festlandchinesen Milliardensummen in den Immobiliensektor gepumpt, Verknappung und Verteuerung von Wohnraum für Einheimische sind die Folgen. Die soziale Kluft zwischen Arm und Reich hat deutlich zugenommen: zwanzig Prozent der Bevölkerung Hongkongs lebt heute unterhalb der Armutsgrenze. Korruption und Umweltbelastungen (2012: 34 Millionen Touristen) lösen zunehmend Unmut in (jungen) Bevölkerungskreisen aus. Entfremdung und Distanz bestimmt das Verhältnis zwischen Volksrepublik-Chinesen und Hongkong-Chinesen. Macao hingegen erfreut sich bislang einer florierenden Wirtschaft und niedrigen Arbeitslosigkeit. Die Politisierung der Bevölkerung hält sich auch deshalb in Grenzen. Einkommen und Arbeitsplatzangebote in der boomenden Kasinoindustrie bescheren einem Großteil der Macao -Bewohner sichere finanzielle Perspektiven. Somit bietet Macao keine klassischen Voraussetzungen für politisches Aufbegehren von unten.
Druck von oben spüren dafür Chinas korrupte Funktionäre. Chinas KP- und Staatschef Xi Jinping, seit 2013 im Amt, profiliert sich zum starken Mann. Seiner Anti-Korruptions-Kampagne sind bereits hohe Funktionäre in Partei, Regierung und Militär zum Opfer gefallen. Illegal erworbene Vermögen in Milliardenhöhen wurden beschlagnahmt. Besonders spektakulär die Vorwürfe gegen Zhou Yongkang (71), der in Beijing bis 2012 für Innere Sicherheit (Geheimdienst, Polizei, Justiz) zuständig war und über ein höheres Budget verfügt haben soll als Chinas offiziell ausgewiesene Rüstungsausgaben. Korruption bleibt für die KP China ein heikles, legitimationsbelastendes Dauerthema. Dies könnte auch Macao zu spüren bekommen.
China wird VIP-Besuchen hochkarätiger Funktionäre, die unterschlagene Milliardensummen in Macao verzocken wollen, künftig einen Riegel vorschieben und damit Umsatzverluste in der Kasinoindustrie bewirken. Dennoch wird Macao s florierendes Kasinogeschäft von spielsüchtiger Kundschaft aus Chinas Mittelklasse dominiert bleiben. Wirtschaftliche Abhängigkeiten bieten zudem auch Ansatzpunkte, um unliebsamen politischen Forderungen durch Druck den Boden zu entziehen. Ohne Zustimmung Chinas läuft in Macao nichts: so hatte 2008 eine von Beijing verordnete restriktive Touristenvisa-Politik dort für einen Besucherrückgang chinesischer Zocker gesorgt und eine spürbare Krise bei Kasinoumsätzen ausgelöst.
Stößt Macaos kasinozentriertes Wirtschaftsmodell inzwischen an Grenzen? Neuinvestitionen im Kasinosegment belegen das Gegenteil. Bis 2016 werden weitere Megakasinos entstehen, der Bedarf an Kasinopersonal wird auf rund 75.000 geschätzt - Größenordnungen, die durch den heimischen Arbeitsmarkt nicht abgedeckt werden können. Spielräumen für eine Diversifizierung/ Neuausrichtung der Wirtschaft sind enge Grenzen gesetzt: Ambitionen Macao stärker in die globalisierte Weltwirtschaft einzubinden, scheitern allein am chronischen Mangel ausgebildeter Fachkräfte. Fazit: am Wirtschaftskonzept “Kasinoindustrie” können (und wollen) die politisch Verantwortlichen vor diesem Hintergrund offensichtlich wenig rütteln.
Im Spielfilm “Macao” (1952) unter Regie von Josef von Sternberg reisen die Hauptdarsteller Robert Mitchum und Jane Russell mit der Fähre von Hongkong nach Macao . Bei Ankunft werden die beiden vom Zollbeamten mit den Worten begrüßt: “Alles hier ist ein Glücksspiel!” - so war es schon damals und so wird es in Macao wohl auch vorerst bleiben.
*
Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.
09.08.2023 13:11:56
29.07.2023 10:14:12
13.01.2023 14:10:35
08.07.2022 17:15:55
18.05.2022 09:35:41
14.05.2022 12:09:22
11.04.2022 14:21:21
19.03.2022 10:08:25
16.07.2021 13:38:36
22.03.2021 21:36:33