„Manual für den Kampf der Kulturen: Warum der Islam eine Herausforderung ist“ von Stefan WeidnerGELESEN

„Manual für den Kampf der Kulturen: Warum der Islam eine Herausforderung ist“ von Stefan Weidner

Der Übersetzer, Orientalist und Zeitschriftherausgeber Stefan Weidner hat mit seinem kürzlich veröffentlichten Buch „Manual für den Kampf der Kulturen: warum der Islam eine Herausforderung ist“ den Islam zum historischen und gegenwärtigen permanenten Stifter von Konflikten erklärt, denen er den Terminus „Kulturkampf“ zuweist.

Von Mohammed Khallouk

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„Manual für den Kampf der Kulturen: Warum der Islam eine Herausforderung ist:“ von Stefan Weidner  

W as ist damit gemeint? Die Herabqualifizierung des Islams als wissenschaftliche Herausforderung? Argumentativer Widerspruch  als zivilisatorisches Konfliktpotential? Zwar stellt der Autor fest, seiner Definition zufolge habe es in der gesamten Historie „Kulturkämpfe“ gegeben, attestiert jedoch dem Islam, in besonderer Weise hierfür prädestiniert zu sein. Als Ursache  führt er das Streben nach einer gerechteren Welt und die Auseinandersetzung um endgültige religiöse Wahrheiten an, eine als „provokant“ beanspruchte These, für welche er in der bereits in der islamischen Frühgeschichte erfolgten innerislamischen konfessionellen Aufspaltung, im Islam selbst als Fitna bezeichnet, den Beleg sieht.

Die Tatsache, dass eine Religion universal mit Wahrheit und Gerechtigkeit zur Gültigkeit zu führen hinauszielt, kann in keiner Weise als Spezifikum dem Islam zugeschrieben werden, schließlich besteht das Wesen einer Religion im Anspruch nach endgültigen Wahrheiten, um die innerhalb der Religion notwendigerweise eine Konsenssuche geführt werden muss, sofern diese Religion sich - wie beim Islam in der Tat  der Fall – nicht nur an ein einzelnes Individuum, sondern an die Menschheit schlechthin zu richten vorgibt.

Diese Konsenssuche ist angesichts divergenter Erfahrungen und Interpretationen immer auch mit einer Kontroverse verbunden, wie sie nicht nur für die religiöse, sondern gleichermaßen die moderne wissenschaftliche Sphäre charakteristisch ist. Jene Kontroverse jedoch, bereits dort, wo sie auf gewaltloser argumentativer Ebene ausgetragen wird, mit den negative Assoziationen weckenden Begrifflichkeiten „Kampf“ oder „Konflikt“ zu belegen und darüber hinaus als „kulturelle Auseinandersetzung“ heraufzustilisieren, entbehrt jeglicher Grundlage, zumal Weidner überhaupt nicht einmal eindeutig definiert, ob sein so genannter „Kulturkampf“ nun etwas grundsätzlich Wertneutrales oder generell zu Verabscheuendes sei.

Konfessionelle Aufsplitterung und Intoleranz  als Wesenzug des Islam?

Indem Weidner die Konfessionalisierung des Islam, die von Muslimen selbst nicht selten als Fitna beklagt wird, als Beleg für seine Kulturkampfthese anführt, lässt er erkennen, dass er offenbar nicht in der Lage ist, zu differenzieren zwischen der toleranten, kontextbezogen divergenten Interpretationen grundsätzlich gegenüber aufgeschlossenen Religion und dem einengenden und ausgrenzenden Verständnis durch ein Teil ihrer Anhängerschaft, das sich glaubt, gegenüber den übrigen Gläubigen absondern zu müssen, sowie als Ergebnis Abspaltungen und divergente Konfessionen hervorgebracht hat. Jene Konfessionalisierung ist übrigens in jeder Weltreligion zu beobachten und dieser Tendenz steht gerade jene von Weidner als „gewaltloser Kulturkampf“ interpretierte Konsenssuche der islamischen Gelehrten entgegen. Vielmehr zeigt sich dieses unentwegte Streben nach Konsens und Erkenntnis im Disput miteinander als besonderes Wesensmerkmal der islamischen Frühgeschichte, in der die vier Rechtsschulen (Madhabs) entstanden sind, die sich trotz divergenter Rechtsauslegungen in Detailangelegenheiten bis in die Gegenwart als „aufrechter Islam“ gegenseitig akzeptieren.

Ein geänderter zeitörtlicher Kontext erfordert geradezu, neu zu ergründen, worin sich die Wahrheit, wie Allah sie dem Propheten einst verkündet hat, in der konkreten Situation widerspiegelt. Dieses Ergründen ist ohne das gewaltlose Austragen von Konflikten nicht erfolgreich, ebenso wenig wie die moderne Wissenschaft ohne kontroversen Diskurs zu fruchtbaren Ergebnissen gelangt. Die Unfähigkeit zur gewaltlosen, verbalen Austragung  und Bewältigung von Meinungskontroversen erweist sich nicht zuletzt als eine wesentliche Ursache für das Abdriften auf die irrationale und emotionale Ebene und als Extremform auf die gewalttätige Auseinandersetzung, wofür der Islam in Historie wie Gegenwart ebenso instrumentalisiert wurde wie Judentum und Christentum.

„Wenn es überhaupt einen Makel im neuzeitlichen islamischen Zivilisationsgebiet zu beseitigen gilt, ist dies die vielfach nicht mehr vorhandene ernsthafte Auseinandersetzung um Wahrheit, resultierend aus einer Selbstgenügsamkeit.“

Über die Religion selbst, ihre Glaubensinhalte und der auf ihr basierenden Kultur ist damit jedoch keine wissenschaftlich verwendbare Aussage getroffen worden. Vielmehr ist unsere auf Disput – im Volksmund auch Streit genannt – basierende „westliche“ Wissenschaft erst über die fruchtbaren Gelehrtenauseinandersetzungen des von Weidner als „Dauerkonflikt“ verfemten islamischen Mittelalter nach Europa gelangt und hat dort aus Kontroversen der Intellektuellen wie Rousseau, Voltaire und Diderot um Wahrheit die Aufklärung hervorgebracht. Wenn es überhaupt einen Makel im neuzeitlichen islamischen Zivilisationsgebiet zu  beseitigen gilt, ist dies die vielfach nicht mehr vorhandene ernsthafte Auseinandersetzung um Wahrheit, resultierend aus einer Selbstgenügsamkeit. Jene Selbstgenügsamkeit eines Teils  der zeitgenössischen muslimischen Eliten kritisiert Weidner jedoch nicht, sondern sieht die als „Provokation“ bezeichnete Herausforderung des Islams für den Westen in einer aus dem Wesen des Islams heraus determinierten Rivalität um Werte und Deutungshoheit der Realität.

Diese Auseinandersetzung kann, sofern sie auf friedlichen Wettbewerb hinausläuft und Gewalt weitgehend ausschließt – was Weidner ihr zugesteht – jedoch in keiner Weise herabgewürdigt werden und bezieht sich in der Postmoderne ebenso wenig vorrangig auf das spezifische Verhältnis zwischen Westen und Islam wie in den vergangenen Epochen. Sofern Gewalt damit einhergeht, sollte dies stattdessen auf fehlende Bereitschaft der beteiligten Akteure zurückzuführen sein, sich auf einen intensiven Wertediskurs einzulassen ebenso wie auf die Heranziehung der wertgebundenen Religion wie der Kultur für interessengeleitete politökonomische Machtkonflikte. Wer die Kultur zur Ursache für jene Gewaltkonflikte erklärt, belegt, dass er entweder selbst ein Interesse an jener Gewalthaftigkeit besitzt oder sich von der Propaganda der daran direkt oder indirekt Beteiligten hat vereinnahmen lassen.

Objektiver Erkenntnisgewinn oder Verallgemeinerung subjektiver Empfindungen?

Weidner zieht seine These von der permanenten Konfliktbereitschaft des Islams besonders gegenüber der westlichen Kultur – wie er selbst zugibt – nicht aus wissenschaftlich belegten Fakten, sondern aus einem Gefühl was „wir“ gegenüber dem Islam verinnerlicht hätten. Ehrlicher und vermutlich auch zutreffender wäre es hierbei allerdings, den Singular „ich“ anstatt des Plurals „wir“ zu verwenden, denn er grenzt sein „wir“ nicht auf einen bestimmten Personenkreis ein und vereinnahmt auf diese Weise alle seine anvisierten Leser, von denen wohl kaum anzunehmen ist, sie wären generell in gleicher Weise auf das „Angstbild“ von „provokativen Islam“ fixiert wie Weidner.

Die von ihm unbestrittene Tatsache der friedlichen Existenz von muslimischen Immigranten in europäischen Gesellschaften belegt nicht nur deren Friedfertigkeit und Integrationsfähigkeit, sondern darüber hinaus ihre Akzeptanz bei der nichtmuslimischen westlich-christlich geprägten Majorität. Kann ein wissenschaftlicher Wert darin liegen, aus seiner individuellen subjektiven ressentimentbeladenen Sichtweise des Islams auf ein auf Kulturen und Kollektive bezogenes Phänomen zu schließen?

Liegt das Interesse des Autors vielleicht überhaupt nicht in neuer Erkenntnis als in der öffentlichen Aufmerksamkeit durch von der Umwelt als „provokant“ empfundene Mutmaßungen, die jeglicher rationaler, auf wissenschaftlich untermauerten Fakten bestehender Grundlage entbehren? Sollte letzteres zutreffend sein, muss die weitere Frage erlaubt sein, weshalb einem Autor in so hohem Maße das Forum zur Verbreitung seiner Thesen geboten wird, obwohl davon ausgegangen werden muss, dass Publikationen dieser Art zum reibungslosen Miteinander und zum ernsthaften Wertedialog zwischen Kulturen und Religionen in keiner Weise beizutragen in der Lage sind, sondern ein Feindbild konservieren, das aus der natürlichen Konfrontation der westlichen Zivilisation mit dem Islam wohl kaum in gleichem Maße entsteht.

Die akademisch argumentative Fundierung fehlt.

Als Ergebnis dieser Entwicklung hat die einstmals in besonderer Weise als erkenntnisorientiert angesehene deutschsprachige Orient- und Islamwissenschaft sich vom Pfad des vorurteilsfreien Erforschens der islamischen Kulturgeschichte mehr und mehr distanziert und sich an den mutmaßlichen Ansprüchen des Massenpublikums nach Bestätigung von Stereotypen oder plakativen, provokativ erscheinenden Aussagen ausgerichtet. Weidners Buch ist nur ein prominentes Exempel einer sich zunehmend von argumentativer wissenschaftlicher Herangehensweise auf die Ebene von „Gefühlen“ und „Mutmaßungen“ hinab begebenden Disziplin. Einigen Repräsentanten fehlt zudem scheinbar die akademische Grundlage für eine tiefgründige Analyse der orientalisch-islamischen Denkweise, ein Manko, das sie mit ihren Herabqualifizierungen und Reduzierungen des Islams auf bestimmte Phänomene, sowie über seine Stigmatisierung zum „Bedrohungspotential“ für die westliche Zivilisation zu kompensieren abzielen. Dem Buch von Weidner kann jedenfalls weder ein besonderer literarischer noch erkenntnisgewinnender Wert attestiert werden als vielmehr muss es als Aneinanderreihung von nur schwer miteinander in Zusammenhang zu bringenden und zudem nicht selten ungeeigneten Beispielen für eine These beschrieben werden, der die eigentliche akademisch argumentative Fundierung fehlt.

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Rezension zu: „Manual für den Kampf der Kulturen: Warum der Islam eine Herausforderung ist:“ von Stefan Weidner, Suhrkamp Verlag 2008, 221 Seiten, 19,80 Euro, ISBN: 978-3458710127.

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