09.08.2023 13:11:56
RUSSLAND
Von Ulrich Heyden
er Nukleargipfel in Seoul, Ende März, lief ohne besondere Vorkommnisse, wäre da nicht der vertrauliche Dialog zwischen Barack Obama und Dmitri Medwedew gewesen, den Journalisten mithörten. Anderthalb Stunden konferierten die beiden Noch-Präsidenten im Millennium Seoul Hilton Hotel über die von den US geplante Raketenabwehr in Europa und andere Fragen. Als zum Schluss der Unterredung überraschend die Mikrophone angeschaltet wurden, konnten Journalisten den vertraulichen Wortwechsel zwischen den beiden Präsidenten mithören.
Dass die Mikrophone vorzeitig angeschaltet wurden, erstaunt. Immerhin war das Treffen der beiden Präsidenten streng bewacht. In russischen Medien wurde spekuliert, dass da vielleicht Jemand Obama habe schaden wollen.
In dem mitgehörten Gespräch erklärte Obama mit leiser Stimme, die Frage der Raketenabwehr „kann geklärt werden“. Aber es sei nötig „space“ (Raum) dafür zu haben.
Die Moskauer Iswestija war sich nicht sicher, was Obama mit „space“ meinte. Möglicherweise wollte der amerikanische Präsident sagen, dass er erst nach der Präsidentschaftswahl im November freiere Hand in der Raketenfrage habe. Vielleicht wollte Obama aber auch seinen Wunsch ausdrücken, dass Medwedew in seinem zukünftigen Amt als Ministerpräsident an den Raketenabwehr-Verhandlungen beteiligt wird, kommentierte das Blatt.
Der US-Präsident hatte seinen russischen Kollegen in Seoul ausdrücklich, als „besten Partner“ gelobt. Obama und Medwedew äußerten sich zufrieden über den 2009 begonnen „Neustart“ in den beiderseitigen Beziehungen. Die während des Georgien-Krieges 2008 entstandenen Spannungen zwischen Washington und Moskau lösten sich auf. Im April 2010 unterzeichneten Obama und Medwedew in Prag einen neuen Abrüstungsvertrag für strategische Atomraketen, der im Februar 2011 in Kraft trat. Im Libyen-Konflikt kam Russland den USA entgegen. Im März 2011 stimmte Russland im UN-Sicherheitsrat für die Einrichtung einer Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Land, was Putin später nicht davon abhielt, die militärische Unterstützung des Westens für die libyschen Rebellen als „Kreuzzug“ zu geißeln.
Die leise Unterhaltung zwischen Obama und Medwedew in Seoul endete mit Medwedews Zusicherung, er werde die Informationen „Wladimir“ (Putin) übermitteln. Vor der Presse erklärte der russische Präsident Medwedew später, die Erfahrung mit Obama zeige, dass man eine „ausbalancierte Entscheidung“ zur Raketenabwehr finden könne.
Nach dem Willen von Obama und Medwedew sollen Experten beider Seiten bis zum Herbst die technischen Details klären. Eine Einigung über die Raketenbewehr will Obama bis nach den US-Präsidentschaftswahlen im November aufschieben.
In den Verhandlungen der letzten Jahre ging es insbesondere um die Frage, ob russische Spezialisten Raketen-Codes oder auch Zugang zu den Abschuss-Anlagen erhalten, um Russlands das Bedrohungsgefühl zu nehmen. Washington sagt, die Abwehrraketen richteten sich nur gegen Bedrohungen aus dem Iran und Nordkorea. Doch Russland sieht die geplanten Abwehrraketen in Polen und Rumänien und den weitreichenden Radar in der Türkei als Bedrohung für das eigene Land.
Das vertrauliche Gespräch zwischen den noch-Präsidenten, welches Journalisten mithörten, wurde zur Sensation, weil der wahrscheinliche Obama-Herausforderer Mitt Romney, Verrat an Amerika witterte. Obama habe offenbar eine geheime Agenda, die er nach seinem erneuten Einzug in das Weiße Haus verwirklichen wolle. Er sei äußerst besorgt, denn Russland sei „ohne Frage unser geopolitischer Feind Nr. 1“. Moskau unterstütze die „schlimmsten Regime“ wie den Iran, Nord-Korea und Syrien. Schon früher hatte Romney Obamas „Neustart“-Politik gegenüber Russland kritisiert. Ein Kommentator der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti vermutete, die Republikaner wollten sich jetzt offenbar auf die Kritik an Obamas Außenpolitik konzentrieren, weil sich so am leichtesten Wähler mobilisieren ließen.
Der russische Präsident reagierte auf die Worte von Romney vergleichsweise gelassen. „Das riecht nach Hollywood“, meinte Medwedew. Ein Präsidentschaftskandidat müsse beim Formulieren von Positionen „seinen Kopf gebrauchen“. Man lebe nicht mehr in den 1970er Jahren. Den Namen von Romney nannte Medwedew nicht. Der noch-Kreml-Chef erklärte, für Russland sei es nicht egal, wer im November Präsident der Vereinigten Staaten wird. Man werde aber mit jedem gewählten Präsidenten zusammenarbeiten. Diese diplomatische Formulierung konnte nicht verdecken, dass Medwedew auf einen Sieg Obamas hofft.
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