DDR-Schriftsteller Werner Heiduczek schrieb Märchen wie das Verschenke WeinenLITERATUR

„Meine Märchen werden bleiben“

DDR-Schriftsteller Werner Heiduczek schrieb Märchen wie das Verschenke Weinen

Die Wiederentdeckung des DDR-Schriftstellers Werner Heiduczek, der mit seinem “Verschenkten Weinen“ schon Generationen berührte.

Von Juliane Inozemtsev

Seine Märchen werden bleiben – Werner Heiduczeks „Verschenktes Weinen“.  
Seine Märchen werden bleiben – Werner Heiduczeks „Verschenktes Weinen“.
Foto: Inozemtsev
 

Nach vielen Jahren, als ich das schmale Buch schon beinahe ganz vergessen hatte, entdeckte ich es bei einem Umzug zufällig wieder. „Das Verschenkte Weinen“ von Werner Heiduczek, stand auf dem Buchdeckel, erstmals erschienen im Kinderbuchverlag Berlin 1977. Ich erinnerte mich, dass ich diese Erzählung als ganz junger Mensch großartig gefunden hatte. Also schlug ich die erste Seite auf und begann zu lesen. Und dann las ich und las, in einem Zug, bis zum Ende der Geschichte. Sie war immer noch genauso großartig!

Dabei ist die zentrale Frage des Buches dem ersten Anschein nach völlig absurd. Sie lautet: Wenn Sie vor der Wahl stünden, fortan auf Ihr Lachen verzichten zu müssen oder auf Ihr Weinen, wie würden Sie entscheiden?  - Natürlich auf das Weinen, würden die meisten wohl antworten. Wer braucht schon Trauer und Leid in seinem Leben? Stattdessen wollen wir  doch alle, wann immer es geht, unbeschwert und glücklich sein. Werner Heiduczek würde an dieser Stelle wahrscheinlich nachsichtig lächeln - mit dem ihm eigenen Schalk in den Augen. 

Der in Leipzig lebende Schriftsteller ist mittlerweile 86 Jahre alt - sein Haar ist schütter und weiß. Doch seine Augen wirken so jung, so als sei nur sein Körper alt geworden, nicht aber sein Geist. Heutzutage sind Werner Heiduczeks Name und auch sein Werk, zu dem zahlreiche Romane, Erzählungen und Essays gehören, längst nicht mehr allen ein Begriff. Dabei war er einer der ganz großen Schriftsteller der DDR: vielfach verlegt, oft ausgezeichnet, auch nach der Wende noch. Seine frühen Bücher, sagt Heiduczek heute unumwunden, seien „Früchte des Andienens“ gewesen. Doch bereits 1977 legte er mit seinem Roman „Tod am Meer“ aus eigenem Antrieb eine Kehrtwendung hin. Die kritische Lebensbeichte eines Schriftstellers sorgte nach dem Erscheinen für viel Wirbel und wurde letztlich nachträglich wieder verboten. Weniger bekannt ist, dass selbst seine scheinbar harmlosen Sagen und Märchen für Kinder und Jugendliche oft einen versteckten politischen Hintergrund hatten. So war auch die Freundschafts- und Liebesgeschichte im „Verschenkten Weinen“ ein Stück literarisch verpackter Gesellschaftskritik. „Im Sozialismus war angeblich immer alles schön und gut“, sagt Heiduczek. „Für die perfekte Fassade wurden immer nur Erfolge vermeldet. Das war ein großer Fehler.“ Denn für eine positive Entwicklung der DDR-Gesellschaft wäre es sehr wichtig gewesen auch über die Misserfolge, zum Beispiel nicht erfüllte Pläne, offen zu sprechen, und die Unzufriedenheit der Menschen über bestimmte Zwänge und Gegebenheiten ernst zu nehmen, so Heiduczek.

„Ich wünsche mir, dass die Menschen erkennen, dass das Weinen im Leben ebenso wichtig ist, wie das Lachen. Denn ohne Trauer erkennen wir nicht, was Glück bedeutet.“

DDR-Schriftsteller Werner Heiduczek.  
DDR-Schriftsteller Werner Heiduczek.
Foto: Inozemtsev
 

Heute, in unserer hedonistischen Gesellschaft, die Spaß und Genuss als Lebensziele propagiert, dafür aber traurige Themen wie Krankheit und Tod weitgehend verdrängt, ist Heiduczeks Buch aktueller denn je. „Ich wünsche mir, dass die Menschen erkennen, dass das Weinen im Leben ebenso wichtig ist, wie das Lachen. Denn ohne Trauer erkennen wir nicht, was Glück bedeutet.“ Heiduczek hat in seinem Leben oft trauern müssen. Trotzdem oder gerade deshalb sagt er über sich selbst: „Ich habe im Leben viel Glück gehabt.“

Das Licht der Welt erblickte er am 24. November 1926 in der oberschlesischen Stadt Zabrze, im heutigen Polen, als Sohn einer streng katholischen  Arbeiterfamilie. Schon früh wurde ihm bewusst, dass der Tod zum Leben gehört. Seine Eltern erzählten ihm, dass er eigentlich noch zwei ältere Schwestern gehabt hätte. Doch die beiden Mädchen waren noch vor seiner Geburt aufgrund ihrer schwachen Gesundheit gestorben. Und als er zehn Jahre alt war, starb sein zehn Jahre älterer Bruder Max an einer Blutvergiftung. Er hatte sich bei einem Ernteeinsatz eine Stoppel zwischen die Zehen getreten. Antibiotika gab es damals noch nicht, und so war keine Rettung möglich. Max starb an seinem 20. Geburtstag. Für Heiduczek war das der erste große Verlust in seinem Leben. Bis heute bewahrt er das Tagebuch des Bruders in seiner Wohnung in der Leipziger Südvorstadt auf – nicht in irgendeiner Kiste versteckt, sondern immer ganz in der Nähe, um darin zu blättern  und sich seiner zu erinnern.

Gelassen und trotz aller Schicksalsschläge mit sich im Reinen

1944 wurde Heiduczek eingezogen und erlebte, mit gerade einmal 17 Jahren, als Flakhelfer schwere Gefechte im Osten mit. „Während die Bomben und Granaten um mich herum einschlugen, habe ich pausenlos mit Gott gesprochen“, erinnert er sich. Dabei hatte er sich eigentlich schon Jahre zuvor von Gott und der katholischen Kirche abgewandt, weil ihm die Vorstellung eines strafenden Gottes zuwider war. „Aber in dieser Situation versprach ich ihm alles nur Erdenkliche: dass ich ein besserer Mensch werde, immer in die Kirche und zur Beichte gehe, mich an die zehn Gebote halte und was weiß ich noch alles, wenn er mich hier lebendig wieder herauskommen lässt. –  Ich habe überlebt, aber meine Versprechen habe ich längst nicht alle gehalten“, gibt er zu und lächelt. Er muss heute niemandem mehr etwas vormachen – am allerwenigsten sich selbst. Gelassen wirkt er und, trotz aller Schicksalsschläge, mit sich im Reinen.

Kurz nach Kriegsende geriet Heiduczek noch in sowjetische Gefangenschaft. „Bei einer Gesundheitsuntersuchung sollte entschieden werden, wer von uns Gefangenen in ein Arbeitslager nach Sibirien gebracht wird und wer freigelassen wird“, erinnert er sich.  Heiduczek und sein bester Freund aus der Kompanie standen direkt hintereinander in der Reihe. „Es wurde ein Kneiftest durchgeführt – in den Hintern“, erinnert sich Heiduczek. Je nachdem, wie fest das Bindegewebe am Gesäß war, wurde man in eine Gesundheitsklasse von 1 bis 4 eingeteilt. Wer in Klasse 1 kam, war besonders gesund, und musste zur Zwangsarbeit nach Sibirien. „Ich war immer kerngesund“, sagt er. „Trotzdem habe ich der jungen russischen Ärztin gesagt, ich hätte immer Bauchschmerzen.“ Wahrscheinlich durchschaute sie ihn, aber sie schrieb ihn von Klasse 1 in Klasse 2 um – ein großes Glück, denn nur dadurch kam er frei. Heiduczek atmet hörbar ein. Leider war die  Wahrscheinlichkeit, dass gleich zwei Soldaten hintereinander von Klasse 1 auf Klasse 2 umgeschrieben wurden, sehr gering. „Mein bester Freund hinter mir blieb in der Klasse 1 und kam nach Sibirien. Ich habe ihn nach dieser Musterung nie wieder gesehen.“ Der Schriftsteller schweigt einen Moment und sein Blick geht in die Ferne.

1948 heiratete er, und seine Frau Dorothea, eine Sudetendeutsche, schenkte ihm im Laufe der folgenden Jahre drei Töchter. Er widmete einer jeden von ihnen eines seiner Werke: Christiane, der Ältesten, die Erzählung „Mark Aurel oder ein Semester Zärtlichkeit“, Kerstin, der Mittleren, „Das verschenkte Weinen“ und Yana, dem Nesthäkchen der Familie, die Kindergeschichte „Jana und der kleine Stern“. Heiduczek war jedoch nicht von Anfang an Schriftsteller, sondern zunächst etliche Jahre im Schuldienst tätig. Erst ab 1965 machte er das Schreiben zu seiner Hauptbeschäftigung, wobei seine Frau ihn sehr unterstützte.

In erster Linie Schriftsteller und erst dann Familienmensch

DDR-Schriftsteller Werner Heiduczek.  
Neuauflage: Das verschenkte Weinen, Gesammelte Märchen von Werner Heiduczek erschien bei Faber de Faber  

Rückblickend sagt der Schriftsteller selbstkritisch: „Ich war kein besonders guter Vater, zumindest nicht bei meinen beiden älteren Mädchen.“  Es sei einfach nicht seine Welt gewesen, Klötzchentürme aus Holz zu bauen oder Puppen zu frisieren. „Die Mädchen wussten zwar, dass ich im Notfall immer zur Stelle gewesen wäre,  aber in erster Linie war ich immer Schriftsteller und erst dann Familienmensch.“ Doch bei seiner jüngsten Tochter habe er sich mehr Mühe gegeben: „Sie war ein richtiges Papa-Kind, hat in der Nacht, wenn sie aufgewacht ist, nicht nach der Mama, sondern nach mir gerufen“, erzählt er und lächelt in die Erinnerung hinein.

Doch auf einmal verlischt das Lächeln und sein Gesicht wirkt, als sei ein tiefer Schatten darauf gefallen. „In späteren Jahren hat Yana Depressionen bekommen“, erzählt er. „Diese Krankheit ist so heimtückisch.“ Mit etwas über 30 Jahren nahm sich seine jüngste Tochter das Leben. Seiner Frau brach es das Herz und sie erkrankte kurz darauf selbst schwer. Er war es selbst, der ihr die Nachricht überbrachte, dass es keine Hoffnung auf Heilung mehr gibt. Nach 52 Ehejahren verlor er sie. Als er darüber spricht, sieht er traurig aus, aber gefasst. Vielleicht würde es seine Seele erleichtern, manchmal zu weinen, doch er sagt, das könne er nicht.  Es gehe einfach nicht. Ein leises Bedauern schwingt dabei mit. Vor dem Tod selbst fürchtet er sich nicht. „Nur das Sterben macht mir Angst“, sagt er. Würdevoll sollte es sein und möglichst ohne Schmerzen, das wäre sein Wunsch.

Heute verbringt Heiduczek einen Großteil seiner Zeit mit Lebensgefährtin Traudl, einer Leipziger Journalistin und Buchautorin. Sie ist für ihn so etwas wie eine Gefährtin und auch eine Seelenverwandte, weil sie ihn als Mensch und als Schriftsteller gleichermaßen begreift. Sie leben zwar in getrennten Wohnungen, aber nah beieinander, und sehen sich, wann immer beide es wollen.

Auf die Frage, was von seinem schriftstellerischen Werk die Zeiten überdauern wird, reicht mir Heiduczek eines seiner Bücher: „Die schönsten Sagen aus Firdausis Königsbuch“, erschienen 1982 im Kinderbuch Verlag Berlin der DDR, wunderschön illustriert, wie so viele seiner Bücher. Zu Beginn steht dort ein arabisches Sprichwort: „Ist der Dichter auch gestorben, seine Zunge fault nicht.“ Heiduczek lächelt. Entspannt und zuversichtlich. „Was von mir bleiben wird, sind meine Märchen“, sagt er. Und wer seine Märchen kennt, wird ihm Recht geben.

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