Nur der Molotow-Cocktail ist kein GetränkKULTUR

Nur der Molotow-Cocktail ist kein Getränk

Nur der Molotow-Cocktail ist kein Getränk

Politische Spiele mit Alkohol-Etiketten in Osteuropa – von „Stalins Tränen“ bis zum „Blauen Würger“ der ehemaligen DDR, vom „Shirinowski-Wodka“ bis zur Ehrenflasche „Andropowka“: alles längst Vergangenheit. Als Benzin-Cocktail ist er ungenießbar. Ganze Imperien, die er durchtränkt hat, sind vergangen. Geblieben ist allein der Wodka.

Von Wolf Oschlies

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Wodka „Stalins Tränen“ in Prag 2005  

I n den Katakomben des Berliner Bahnhofs Alexanderplatz entdeckt: Ein Laden für „russische Produkte“. „Produkty“ heißt auf Russisch „Nahrungsmittel“, aber weil laut einem sprichwörtlichen Befund des Heiligen Wladimir aus dem 10. Jahrhundert „in Russland die Leute vom Saufen fröhlich werden“, ist das Schaufenster fast zur Gänze mit Flaschen gefüllt. Eine von ihnen fällt besonders ins Auge: Vom Etikett schaut Stalin, nach dem der Flascheninhalt auch benannt ist: „Stalins Wein“.

Hoffentlich haben die Berliner „russischen Produkte“ mit ihrem Wein mehr Erfolg als die Tschechen mit ihrem Wodka „Stalinovy slzy“. Als diese „Tränen Stalins“ vor zwei Jahren auf den Markt kamen, kostete der halbe Liter 119,90 Kronen. Inzwischen werden sie für den „skvelá cena“, den „glänzenden Preis“ von 79,90 Kronen angeboten, gehen nach wie vor aber nur schleppend: Wenn die Bierliebhaber Tschechen Schnaps trinken, dann greifen sie zu Rum, und ein Klarer gilt bei ihnen nur dann etwas, wenn er sich für Kenner mit dem S ausweist. Das steht für „sedesát“, also „sechzig“ – Prozent nämlich, und „Stalins Tränen“ haben nur popelige 37,5 Prozent. Zudem fehlt ihnen das gesamte Flair des russischen Wodkas, des „Nationalprodukts Nr. 1“, das „Teil unserer Identität und der russischen Kultur“ ist: 1386 von Genueser Kaufleuten eingeschleppt, nahm der Wodka gewissermaßen Gleichschritt zur Entfaltung des neuzeitlichen russischen Staates auf – dessen Ausweitung, Zentralisierung und politische Verwaltung sich vor allem in der Geschichte der Produktion und des Verkaufs von Wodka widerspiegelt. Details sind im altehrwürdigen Petersburger „Museum für Wodka-Geschichte“ zu erfahren, das am 26. April 2006 eine Moskauer Filiale eröffnete.

Erst neuerdings werden Wodkas nach Personen benannt

Zu den ersten Maßnahmen der postkommunistischen Sowjetunion gehörte eingangs der 1990-er Jahre die Aufhebung des staatlichen Wodka-Monopols, was dem Getränk selber nicht schadete: Im ersten Quartal 2006 stieg der russische Wodka-Export  gegenüber dem Vorjahr um 46,4 Prozent auf die Gesamtsumme von 10 Millionen Dollar.

Doch die namensgeberische Idee ist erschlagend gut: „Stalins Tränen“ – das erinnert an „Lacrimae Christi“ (Tränen Christi), den süffigen Likörwein von den Hängen des Vesuvs, der seit Jahrhunderten immer wieder poetisch begabte Schluckspechte zu gereimten Lobeshymnen hinreißt. Zudem sind „Stalins Tränen“ nach dem Prominenter-plus-Produkt-Prinzip „gebaut“, das im Deutschen wohl bekannt ist; „Fürst-Pückler-Eis“, „Bismarck-Hering“, „Goebbels-Schnauze“ (Radioapparat „Volksempfänger“) und ungezählte weitere. Wobei dieses Prinzip in Russland jahrhundertelang kaum Anwendung fand, denn hier waren Wodka-Sorten und ihre Etikette – „Russland“, „Moskau“ „Hauptstadt“ etc. – Banner territorialer Größe, imperialer Macht und zentralistischer Herrschaft. Erst neuerdings werden Wodkas nach Personen benannt – bis hin zu der jüngsten Edelmarke „Putinka“, die sich die klangliche Nähe des Präsidentennamens Putin mit dem Wort „putj“ (Weg) nutzbar macht und mit dem Slogan wirbt: „Vse puti otkryty!“ (Alle Wege stehen offen).

„Der einst gottgleiche Stalin war erst dann von allen Sockeln gestürzt, als er auf Alkohol-Etiketten auftauchte“.

„Hauptstadt“-Wodka Sowjetunion  
„Hauptstadt“-Wodka Sowjetunion  

So weit, so vertraut. Im Osten jedoch irgendetwas nach Stalin zu benennen, ist zum einen (noch) selten: Der berühmte Raketenwerfer des Zweiten Weltkriegs hieß nur bei Deutschen „Stalinorgel“, bei Russen aber „Katjuscha“. Und zum zweiten haben solche Benennungen viel provokativen Witz in sich: Der einst gottgleiche Stalin war erst dann von allen Sockeln gestürzt, als er auf Alkohol-Etiketten auftauchte. Einen konkreten Bezug gibt es für letzteres nicht: Stalin trank, wenn er trank, nur georgischen Wein der altberühmten Marke „Chwantschkara“ – oder „Mukusani“. Darüber streiten Experten noch, aber das muss niemanden interessieren: Beide Weine stammen aus dem Zvinandali-Tal, dessen winzerische Spitzenklasse bereits in der Antike ein Begriff war.

Mit Getränken überhaupt nichts zu tun hat der „Molotow-Cocktail“, die mit Benzin gefüllte und mit Docht versehene Flasche, die brennend geworfen wird. In der alten Sowjetunion hieß sie nur „Brenngemisch“, denn eine solche Waffe nach Stalins Außenminister zu benennen, war natürlich undenkbar.

Obwohl es rein sprachlich natürlich möglich gewesen wäre, wie ungezählte Beispiele aus der russischen Geschichte beweisen: „Tolstovka“ (das nach dem Dichter Tolstoj benannte Hemd), „Budjonovka“ (der zipflige Filzhelm der frühen Roten Armee, der nach dem Reitergeneral Budjonny benannt war), „Sobinov-Stiefel“ (nach einem Tenor um 1910), „Jelisejew-Torte“ und weitere, zu denen „Boeuf Stroganoff“ nicht gehört: Das wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris geboren und wohl nur zufällig in Anklang an die „Stroganina“ benannt, das in Sibirien und im Ural übliche gefrorene Fleisch, von dem bei Bedarf Scheiben abgehobelt wurden.

Bulgarische Staatsgeschichte auf Cognac-Etiketten

Makedonischer Wein „T’ga za jug“  
Makedonischer Wein „T’ga za jug“  

Aber mit Alkohol hatten diese Etiketten nichts zu tun - ganz anders als der „Cocktail Mussolini“, den es im alten Jugoslawien in jeder Autobahn-Raststätte gab: eine wohlschmeckende Mixtur aus Pflaumensaft, klarem Schnaps und ein paar weiteren Ingredienzien. Südslawen hatten überhaupt eine lässige Art, ihre Historie in alkoholische Beize zu legen. Nach dem „Zaren Lazar“, dem serbischen Heroen der legendären „Schlacht auf dem Amselfeld“ vom Juni 1389 (die in Wirklichkeit nie stattfand) war ein edler Rotwein benannt. Noch besser trieben es um 1980 die Bulgaren, als sie ihre Cognac-Sorten nach ihren Hauptstädten tauften. Da in der bewegten bulgarischen Geschichte fast jede größere Stadt mal zu Hauptstadt-Ehren gekommen war, lasen sich Flaschenetikette wie ein Leitfaden durch anderthalb Jahrtausende Staatsgeschichte: Pliska, Preslav, Veliko Tyrnovo etc.

Edeltropfen in Makedonien ist bis heute der Rotwein „T’ga zu jug“ – was „Sehnsucht nach dem Süden“ heißt und der Titel eines elegischen Gedichts ist („Gebt mir Adlersflügel, dass ich in die Heimat entschwinde“), welches der Poet Konstantin Miladinov um 1860 im hundekalten Moskau schrieb. Mit der Rezitation von „T’ga za jug“ beginnen alljährlich die „Poesie-Abende von Struga“, der Geburtsstadt von Miladinov, und dieses Festival steht in dem Ruf, ein besonderes „Näschen“ für poetische Qualität zu besitzen: Schon mehrfach wurden hier Poeten aus aller Welt mit dem „Goldenen Kranz von Struga“ geehrt, die kurz darauf auch den Nobel-Preis für Literatur bekamen. Ob die guten Weine des südlichen Makedoniens das poetische Sensorium schärfen, kann natürlich niemand behaupten. Aber auch niemand dementieren! 

Deputatschnaps Marke DDR - „Rumpel-die-pumpel - tot war der Kumpel“.

„Trinkbranntwein“ „Kumpeltod“ DDR  
„Trinkbranntwein“ „Kumpeltod“ DDR  

Wieder anders und viel prosaischer war es in der DDR. In deren Anfängen wurde bei Wismut, also im Uranbergbau, an die Arbeiter ein Deputatschnaps verteilt, der allgemein nur „Kumpeltod“ hieß und entsprechend bedichtet wurde: „Rumpel-die-pumpel - tot war der Kumpel“. Mit einiger Sicherheit darf man vermuten, dass der „Kumpeltod“ eine sowjetische Erfindung war: Die Uranförderung geschah allein im Auftrag der Sowjets, die sich vermutlich an die „Hundert Gramm des Verteidigungsministeriums“ erinnerten, also die tägliche Wodkaration für sowjetische Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Um die „Logistik“ der „Narkomovskie sto gramm“ hat sich weiland der große Stalin selber gekümmert, wovon ein bemerkenswert dickes Bündel von Erlassen, Verfügungen etc. zeugt. Wer es genau wissen will, sei auf das Buch „Wodka & Stalin“ verwiesen, das seit Monaten heimlicher Bestseller in Moskau ist.

Späterer Killer vom Dienst war in der DDR „Wodka Kristall“, allgemein als „Blauer Würger“ bekannt und unter diesem infernalischen Signum in nicht wenigen Songs der DDR-Popszene verewigt. Auch in der Witz-Kultur der DDR natürlich: Wer 100 Etikette „Blauer Würger“ an die Krankenkasse schickt, bekommt kostenlos einen Blindenhund gestellt! Was ja eine Verleumdung war, denn gut gekühlt war der „Wodka Kristall“ eine wohlschmeckende Angelegenheit.

„Der Wodka hat Folgen wie ein mittlerer Krieg“.

Alkoholische Etikette sind eine Image-Werbung der besonderen Art – mit negativem Ausgang, wie in der DDR demonstriert, anderswo mit positivem: Erster Staatspräsident der Republik Makedonien war Kiro Gligorov, Jahrgang 1917, ein kluger und zurückhaltender Staatsmann, mit dem sich aber jeder nur einmal anlegte und das nie siegreich – wie seine Erzfeinde bezeugen konnten: der Serbe Milosevic, der Grieche Papadopoulos und viele andere. Die Makedonen liebten ihn, den „star lisec“ (alten Fuchs). Und just unter diesem Namen kam 1996 ein Bier heraus, als im Lande Präsidentschaftswahlen anstanden. Alle Welt war lachend überzeugt, dass diese Namensgebung Gligorovs Geschoss war – was natürlich nicht zutraf, denn der Alte hatte die Wahl schon gewonnen, bevor sie stattfand.

Alkohol ist in Osteuropa von einer besonderen Mystik umgeben, die Politiker vorsichtig werden lässt: Eine Regierung, die den Bierpreis erhöht, stürzt noch im selben Jahr – sagen die Tschechen seit Jahrzehnten, und häufig hatten sie ja auch Recht. Und wer gar den Russen den Wodka verbieten will, der zerstört ein ganzes Reich – wissen die Russen, die sich an das „trockene Gesetz“ erinnern, also an die Prohibition, die Zar Nikolaj 1914 und Generalsekretär Michail Gorbatschow 1985 verfügten. Wobei beide Wodka-Gegner so Unrecht ja nicht hatten: Der Wodka mag traditionell die größte Einnahmequelle des Staates sein, aber er zwingt ihn auch, enorme Summen zur Behebung der Folgen allrussischer Vorliebe für den Wodka auszugeben. „Der Wodka hat Folgen wie ein mittlerer Krieg“, seufzten damals Szene-Kenner, die den „zapoj“, das urrussische Besäufnis bis zur Bewusstlosigkeit, in seinen Konsequenzen für die allgemeine Gesundheit fürchteten.

In der Sowjetunion hatte jahrzehntelang der Liter Wodka drei Rubel (plus Flaschenpfand) gekostet, bis er unter Breshnew sauteuer wurde. Dann kam Andropov als Parteichef, senkte den Preis auf die altgewohnte Rate – was die Russen mit dem Ehrennamen „Andropowka“ für die neue längliche Flaschenform honorierten. Schließlich folgte Gorbatschows alkoholische Restriktion, die in „Berjoska-Läden“, wo man nur für Devisen einkaufen konnte, einen Run auf westlichen „Wodka Gorbatschow“ auslöste. Und ungezählte Witze, die (mit Blick auf seinen US-Gegner, Präsident Reagan) deutsch so klangen: „Die Russen trinken Reagan-Wasser, die Amis Wodka Gorbatschow“. Russen haben nie Regenwasser getrunken, sie hielten sich lieber an einen Ausspruch Peters des Großen: „Gott weiß, dass wir nicht aus sündiger Trunksucht saufen, sondern nur, um nicht völlig abstinent zu werden!“

Shirinowski-Wodka: Nach dem ersten Gläschen reißt du das Dach deines Hauses ein

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„Wodka Shirinovskij“ (Russland)  

Ein paar Jahre später tauchte „Politclown“ Wladimir Shirinowski auf, der im Westen den „Shirinowski-Schock“ provozierte, daheim aber nur Gelächter – über Kreationen wie „Shirinowski-Prawda“, „Shirinowski-Bier“, „Shirinowski-Wodka“ und anderes mehr. In Russland wurde es Mode, Shirinowskis wirre Polit-Forderungen („Russische Soldaten werden ihre Stiefel im Wasser des Indischen Ozeans waschen“), auf die Wirkung des Shirinowski-Wodkas zurückzuführen: Nach dem ersten Gläschen reißt du das Dach deines Hauses ein, nach dem zweiten… Inzwischen ist Shirinowski  (der Ende April 2006 seinen 60. Geburtstag feierte) ruhiger geworden und wirbt für „Shirinowski-Tee“.

Bei serbischen Nationalisten, denen er im Oktober 1995 einen Besuch abstattete, sind noch Erzählungen im Umlauf, die von „Wolodjas“ märchenhaften Nehmerqualitäten gegenüber Alkohol künden. Daran muss etwas sein: Shirinowski hat damals eine Rede gehalten, die sich wie eine serbisch-russische Kriegserklärung an die restliche Welt ausnahm. So wenigstens empfanden es westliche Analytiker. Kenner lachten nur, denn sie hatten schon bei den ersten Sätzen erkannt, dass der Russe nur eine Paraphrase eines serbischen Liedes aus dem Ersten Weltkrieg, das er bei der vorhergegangenen Sauferei wohl gehört hatte, von sich gab: „Wer das sagt, der lügt, dass Serbien klein ist…“

Imperien sind vergangen – der Wodka blieb

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Wodka “Nostal’gija” Rußland  

Russische und sowjetische Imperien sind vergangen, der Wodka blieb. Und es blieb eine doppelte Nostalgie – die kleine primitive, die Stalins „Ordnung“ und „Größe“ wiederhaben will, und die große lachende, die es mit Wilhelm Busch hält: „Gehabte Schmerzen hat man gern“. Auch jene Schmerzen, die das Allheilmittel Wodka kurierte. An sie erinnert die Wodka-Marke „Nostalgie“, die auf dem Etikett das Monument „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ führt, einst von Vera Muchina geschaffen - für einen sowjetischen Weltausstellungs-Pavillon, später als Markenzeichen sowjetischer Filmfirmen und ähnliches mehr. Es war, nebenher bemerkt, von allen skulptorischen Ungetümen des Stalinismus das abschreckendste, aber es jetzt auf Wodka-Flaschen abzubilden, ist auch ein Beleg für russische Fähigkeit, unter eine unangenehme Vergangenheit einen dicken Schlussstrich zu ziehen.

Wo man trinkt, da lass’ dich ruhig nieder! Und höre den Sprüchen und Witzen der Zecher zu,  die schon manchen prominenten Sammler inspirierten. Unvergessen ist bei Polen bis heute das „Polski Slownik Pijacki“, also das „Polnischer Säufer-Lexikon“, das Julian Tuwim (1894-1953), Polens empfindsamster Lyriker, im Jahre 1935 publizierte. Anderswo gibt es ähnliche Sammlungen, die alle eine aufschlussreiche Lektüre darstellen. Den vielleicht besten Alko-Witz prägten nach 1968 die Tschechen, die brutal von Dubceks „Prager Frühling“ zu Breshnews Besatzungszone geworden waren: Sie tranken sich mit „na hovno“ zu – was wörtlich „Auf Sch…e“ heißt, aber die Abkürzung von „Na hrodmadný odchod vojsk nasich osvoboditelu“ war: Auf den massenhaften Abzug der Truppen unserer Befreier!

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