Ohne Tandem geht es nichtMEWEDJEW II

Ohne Tandem geht es nicht

Allen guten Vorsätzen und Reden über Freiheit zum Trotz, wird Politik in Russland weiterhin von oben gelenkt. Ganz im Sinne uralter Tradition. Die Arbeitsteilung zwischen Präsident und Ministerpräsident ist dafür Ausdruck und Notwendigkeit. – Ein kritischer Blick auf Medwedjew.

Von Kai Ehlers

W ollte man den Worten Medwedews glauben, dann begann in Russland im Frühjahr 2008 eine neue Phase der Reformen. Noch vor dem Wechsel der Präsidenten hatte Medwedew auf ein Wachstum orientiert, das die bis dahin erreichte Sieben-Prozent-Marke übersteigen sollte. Dabei, so hatte er angekündigt, wolle er sich aktiv der „Förderung der sozialen Sphäre“ widmen. Im Schweizer Davos hatte er, ebenfalls noch vor dem Wechsel, den versammelten Vertretern des ausländischen Kapitals optimale Investitionsmöglichkeiten versprochen. Auf dem russischen Wirtschaftsforum in Krasnojarsk erklärte er, er werde sich als Präsident auf die „Vier großen I´s“ konzentrieren – Institute, Infrastruktur, Innovationen, Investitionen – und zudem die schon unter Putin beschlossenen vier „nationalen Projekte“ verwirklichen, ohne die eine Modernisierung nicht möglich sei. Das waren Programme zur Förderung des Wohnungs-, des Bildungs-, des Gesundheitswesens sowie der Agrarwirtschaft, die von Wladimir Putin im Jahre 2005 ausgerufen worden waren, dann aber stecken blieben.
       
Für die Realisierung eines solchen Weges brauche das Land gesetzestreue Bürger und eine freie Presse, teilte Medwedew der Öffentlichkeit mit. Oberstes Ziel des Regierungshandelns müssten Garantie und Schutz des Privateigentums sein. „Freiheit ist besser als Unfreiheit“, lautete der Wahlspruch, den Medwedew verkündete. Dabei gehe es um „Freiheit in allen Bereichen: um die persönliche Freiheit, um die wirtschaftliche Freiheit und letztlich um die Freiheit der Selbstverwirklichung.“

Reden über Marktwirtschaft und bürgerliche Freiheiten 

Nach der Wahl setzte Medwedew diese Linie bei Besuchen in Peking, danach in Berlin und weiter beim Wirtschaftstag in St. Petersburg fort. Nach diesen Äußerungen wurde er unter Hinweis auf seine juristische Biographie als Liberaler gelobt. Seine Reden über Marktwirtschaft und bürgerliche Freiheiten „waren spektakulär in unseren Ohren“, so der damalige deutsche Außenminister Steinmeier, auch wenn man natürlich abwarten müsse, was tatsächlich geschehe. Der Vertreter des „Ostausschusses der deutschen Wirtschaft“, Klaus Mangold, begrüßte nach vollzogenem Wechsel von Putin auf Medwedew vor Journalisten in Moskau die „Intensivierung des Modernisierungsprozesses“ in Russland als Schritt zum „zügigen Beitritt Russlands zur WTO“.

In der russischen  Presse wurde Medwedew, zwar verhaltener, aber doch mehrheitlich als mögliche national-liberale Ablösung des autoritären Kurses Wladimir Putins begrüßt. Die Frage stellte sich nur, ob er sich werde durchsetzen können. Von spöttischer Charakterisierung Medwedews als „Liliput“ bis zur Hoffnung, es werde ein operatives „Tandem“ des alten und des neuen Präsidenten geben, gingen die Einschätzungen.
       
Was dann kam, nannten Spötter die „drei großen K´s“. In der Tat, statt der „vier großen I´s“ bestimmten Krieg, Krise und Korruption die ersten Monate von Medwedews Amtsführung. In der Auseinandersetzung im mit Saakaschwili musste er im August 2008 als Kriegsherr auftreten; die darauf einsetzende Weltfinanzkrise traf Russland an seiner empfindlichsten Stelle, den Einahmen aus Öl- und Gasexport, auf denen der Boom der vorangehenden Jahre unter Putin beruht hatte. Medwedew konnte seine Wachstumsprognosen selbstverständlich nicht halten, als der Ölpreis innerhalb weniger Monate um mehr als zwei  Drittel sank. Die Korruption, auch unter Putin durchaus Thema, nahm unter diesen Umständen Maßstäbe an, die Medwedew dazu veranlassten, den Kampf dagegen zur Haupt- und Chefsache zu erklären.
       

Das Tandem hielt

Aber während die westliche Welt wieder einmal erwartete, dass Russland in die Knie gehen werde,  dass das „Tandem“ Medwedew/Putin an dieser Situation auseinanderbrechen könne, schlossen Medwedew und Putin sich arbeitsteilig umso fester zusammen. Medwedew gewann Legitimität, indem er zu neuem Aufbruch mahnte, Entbürokratisierung förderte, zu neuen Anstrengungen in der Modernisierung ermutigte, dem Ausland mit Vorschlägen für „eine neue europäische Sicherheitsarchitektur“ neue Perspektiven anbot. Manche russische Kommentatoren identifizierten ihn gar als Vertreter einer „Perestroika II“. Putin als Ministerpräsident betätigte sich indes als Mann „für´s Grobe“.
       
Exemplarisch, wie die beiden im Mai 2009 arbeitsteilig kooperierten. Als die Einwohner der Monostadt Pikaljewo die für St. Petersburg einberufene russische Wirtschaftstagung durch Barrikaden der Magistrale darauf aufmerksam machten, dass der Oligarch Deripaska drauf und dran war, eine ganze Stadt durch Stilllegung der ein seinem Besitz befindlichen Zementproduktion und Verweigerung von Lohnzahlungen glattweg auszuhungern. Während Medwedew den Wirtschaftstag durchführte und für Perspektiven der Modernisierung warb, widmete Putin sich der Lösung des Problems direkt vor Ort, in dem er Derikpaska vor laufenden Kameras dazu verdonnerte, die Produktion wieder aufzunehmen, die Löhne zu zahlen, also, seinen konkreten sozialen Verpflichtungen nachzukommen – ungeachtet der Frage, welchen Stellenwert das für eine generelle Krisenlösung hatte.

Auch die aktuellsten Aufforderungen Medwedews zu beschleunigter Modernisierung, vom Westen weithin als Kritik an Putin verstanden, sind nicht etwa Ausdruck eines Zerwürfnisses zwischen Präsident und Ministerpräsident. Im Gegenteil: Putin stellte sich in einer Rede vor der Partei „Einheitliches Russland“ demonstrativ hinter die Mahnungen seines Präsidenten, der Modernisierung mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Umgekehrt erklärte Medwedew „alle Versuche mit dem Namen der Demokratie Unruhe zu schaffen werden unterbunden.“

Auch Medwedjew will von oben lenken

 Auch Medwedew bleibt –  allen Versprechungen der Entbürokratisierung , allen Aufforderungen zur Selbstorganisation, allen Vorlieben für westliche Kultur zum Trotz – jener russischen Tradition verpflichtet, welche die Wirtschaft und die Gesellschaft von oben lenkt – auch wenn er die Betriebsbürokraten und Oligarchen auffordert ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen. Hierin unterscheidet er sich nicht von Putin. Sie bekleiden lediglich unterschiedliche Ämter. Was so entstehen könnte, das formulieren russische Soziologen als neue mögliche Aussicht, ist ein sozial orientierter russischer Oligarchismus, der von einer staatlichen Bürokratie kontrolliert wird.

Schließlich sei noch angemerkt: Dem Versuch Obamas, Europa bis zum Ural zu umarmen, um so das atlantische Bündnis zu erneuern, begegnete Medwedew souverän, diplomatischer, könnte man sagen, als Putin, ohne dabei russische Interessen aufzugeben. Um Gegenteil, um nur die aktuellsten Schritte zu nennen: Mit der Unterschrift Frankreichs unter das Gasprom-Projekt der South-Stream Pipeline ist die Nabucco-Konkurrenz der EU vom Tisch. Mit der Gründung einer Zollunion von Kasachstan, Weißrussland und Russland gewinnt Russland wirtschaftlichen Spielraum. Auch die bevorstehenden neuen Vereinbarungen zur atomaren Abrüstung sind ein Ausdruck davon.

Auch diese äußeren Daten zeugen davon, dass es für das „Tandem“ Medwedew/Putin zur Zeit keine Gründe gibt, seine Arbeitsteilung neu zu organisieren – es sei denn, die materiellen Bedingungen der Politik änderten sich. Darüber zu spekulieren ist aber sinnlos.

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Mehr von Kai Ehlers: www.kai-ehlers.de

Von Kai Ehlers erscheint im Februar im Horlemann Verlag ein neues Russlandbuch. Titel: „Kartoffeln haben wir immer – Überleben zwischen Supermarkt und Datscha.“

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