Polarnacht-Camping in Nordskandinavien

Polarnacht-Camping in Nordskandinavien

Mit dem Camp-Mobil durch die Polarnacht. Dazu gehört nicht soviel, wie man denkt. Was es zu beachten gibt, aber auch beeindruckende Impressionen über die bei Camping-Urlaubern weithin unbekannte Winterszeit liefert dieser Reisebericht.

Von Peter Bickel

EM - Neun Uhr abends. Hier in Lappland ist die Sonne schon vor vier Stunden untergegangen. Das Thermometer zeigt 30 Grad unter Null; Tendenz weiter fallend. Ein Nordlicht flirrt über die gesamte Nordhälfte des Himmels. Nicht eines dieser gewöhnlichen grünen "Kleinfeuer". Nein - die Schlieren leuchten in Farbschattierungen von neongrün zu dunkelviolett und wachsen zu so imposanter Größe an, daß sogar das Super-Weitwinkel-Objektiv meiner Kamera überfordert ist.

Polarlicht bei Kiruna

"Was willst Du denn in dieser ewigen Dunkelheit", hatten all jene verständnislos gefragt, denen ich von meiner Wintercamping-Reise erzählte. Eigenartig, aber das Gerücht der angeblichen Dunkelheit während der Polarnacht hält sich hartnäckig.
Dabei bleibt es in Nordskandinavien selbst am kürzesten Tag, dem 21. Dezember, noch sechs Stunden taghell. Die Sonne steigt zwar dann nicht mehr über die Berge, doch sie malt dramatisch-rote Schauspiele an den Himmel. Und wegen der Schneereflektion erscheinen Tage wie Nächte viel heller als unsere trübe Winterzeit in Deutschland.

Rentieropfer am Straßenrand

Ende Februar beginnt dann die hellste Zeit des Jahres: Das grelle Sonnenlicht sorgt für knallige Farben, tiefblaue Himmel und leuchtende Schneeflächen. Ab Ende April wird es gar nicht mehr dunkel, so dass man auch nachts skilaufen kann. "Ich könnte nie in Stockholm leben", hatte mir ein alter Same kurz nach der Jahreswende gestanden. "Da ist es so dunkel." Wie recht er hat!

Überraschend einfach war die Fahrt hier hoch verlaufen. Selbst jetzt im Januar bereitet die Fahrt entlang der schwedischen Ostseeküste Jönköping, Orebro, Gävle und Umeä keine Probleme. Alle Straßen sind gut geräumt; in allen Geschäften läuft "business as usual". Bei Lulea wage ich dann den Abstecher ins Landesinnere. Die Schneewälle am Rand der Straße wachsen imposant in die Höhe, doch selbst die kleinsten Nebenstraßen bewältigt der Winterdienst zuverlässig.

Noch ein Vorteil des Winters: Man erlebt wesentlich mehr Tierbegegnungen als in den sommerlichen Touristenmonaten. Luchs, Schneehasen, Fuchs und zahlreiche Elche entdecke ich entlang der Straße. Aber auch Tierkadaver von Rentieren bleiben keine Seltenheit: direkt neben der Straße mußten sie ihr Leben bei einem Zusammenstoß mit einem Auto lassen. Die im Fjäll sind meist das Opfer von Raubtieren.

Rastplatz im Spätwinter

Trotz der bis zu 40 Grad minus hält die Standheizung den Innenraum des Campingautos warm. Mühsam wird es allerdings, die vom Wasserdampf des Kochens jeden Morgen dick vereisten Scheiben zu enteisen. Die Scheibenheizung kollabiert beinahe, und trotz guter Eiskratzer benötige ich jeden Morgen bei laufendem Motor eine halbe Stunde, bis die Scheiben genug freie Sicht zum Losfahren bieten.

Die Rastplätze sind kaum zu benutzen. Jetzt im Hochwinter werden sie noch nicht geräumt, da die Räumdienste schon mit den Straßen genug zu tun haben. Und selbst wenn die Stellflächen für die Autos frei geräumt wären - was sollte man schon anfangen mit den meterhoch mit Schnee bedeckten Bänken und Tischen? Also muss ich Ausweichstellen zur Übernachtung nutzen oder bei Tankstellen fragen, ob ich für eine Nacht parken darf. Kein Problem - ich scheine der einzige Tourist zu dieser Jahreszeit zu sein. Die meisten Leute freuen sich, mit einem derart absonderlichen Kerl wie mir ins Gespräch zu kommen, der jetzt zur Jahreswende mit seinem Campmobil durch den Winter fährt.

Am Polarkreis

Kurz hinterm Polarkreis erreiche ich Jokkmokk, bekannt für den kältesten Jahrmarkt der Welt. Jeden Januar treffen sich hier auf diesem traditionellen Marktflecken die Samen, um mit Kunsthandwerk, Fellen und Messern zu handeln. Kein sommerlicher Touristen-Schnickschnack wird hier feilgeboten, sondern Waren zum Gebrauch. Selbst für Übernachtung ist gesorgt: Eine urgemütliche Unterkunft bietet hier das STF-Wandererheim - eines der wenigen übrigens, das ganzjährig geöffnet hat.

Entlang der "Inlandspiste" nach Kiruna schrumpfen die Bäume zum Krüppelgewächs. Ob unter den weiten weißen Lichtungen Sümpfe oder Seen stecken, bleibt ein Geheimnis. Scooter-Spuren führen oft über sie hinweg - teils hin zu einzelnen Gehöften, teils in die Wälder, wo die Schneehuhnjagd oder das Eisangeln willkommene Abwechslung bietet.
Wenn die Temperatur bis knapp unter den Gefrierpunkt ansteigt, verzieren bizarre Eisgebilde die Felgen der Autoreifen. Immer wieder halte ich an, um die wild abstehenden Zapfen zu fotografieren oder abzuschlagen, wenn sie zu angsterregende Dimensionen annehmen. Überhaupt spielen die Temperaturen verrückt: Von knackigen Minusgraden schlägt das Wetter abrupt zu (Eis-)regen um, und wenn man sich der norwegischen Küste nähert, spürt man die Nähe des Golfstroms.

Auf den Vesterålen: Die ersten Sonnenstrahlen nach der Polarnacht

In Jukkasjärvi lockt das Eishotel, in Kiruna riesige Schneeskulpturen: Auch im Winter wird dem Touristen einiges geboten! Daß das Tourist-Büro jetzt noch geschlossen hat, stört mich nicht, denn in jedem Café und Souvenir-Shop erfährt man alles Wissenswerte. Die legendäre Straße parallel zur Erzbahn führt mich weiter nach Narvik hinunter an die Küste. Die Vesterålen weit draußen im Nordmeer sind das nächste Ziel.

Das auf zwei Inseln verteilte Nyksund

Einige Berühmtheit hat Nyksund erlangt: früher ein dicht bevölkertes Fischerdorf auf einer winzigen Insel, jetzt eine "Geisterstadt" und ein Geheimtip für Aussteiger und (Lebens)Künstler. Obwohl die Wintertemperatur an der Küste aufgrund des Golfstroms nur wenige Grad unter Null sinkt, wirken diese "Siedlungs-Vorposten" besonders rauh und unwirklich.

Die Straße nach Nyksund

Nyksund setzt dem Ganzen noch die Krone auf: Eine äußerst abenteuerlich in den Fels gehauene und bei Sturm sogar gefährlich zu befahrende Straße führt eng an den Felsen geschmiegt zu diesem Geisterdorf. Keine Leitplanken sichern die Straße - wenn man hier zu Rutschen anfängt, fällt man mit dem Auto direkt in das Eismeer.
Nyksund selbst liegt auf zwei winzigen Inseln, die über einen Damm mit dem Festland und über einen Damm untereinander verbunden sind. Eng schmiegen sich die bis auf wenige Ausnahmen verlassenen Häuser in die Felsritzen. Das müssen sie auch, denn jetzt im Januar peitschen Stürme dicke Schneewolken zuhauf gegen die Felsküste. Hier kommt es schon mal vor, daß orkanartige Böen sogar ein Auto verfrachten!

Zu den unvergeßlichsten Momenten meines Lebens werden immer die Augenblicke zählen, in denen der Westwind dichte Schneewolken auftürmte und sich die Januarsonne dennoch mit erstaunlicher Kraft ihren Weg zwischen den hohen Bergmassiven hindurchbahnte.

Trockengestelle für Fische

Im Vordergrund thronen wie Gerippe die Gestelle, in denen früher die Fische zum Trocknen aufgehängt wurden, während immer wieder hohe Gischtfontänen an die Felsen klatschen. Doch der kleine Hafen selbst liegt erstaunlich geschützt: Hier wiegen sich die vermodernden Boote nur sanft in den Wellen.

Vergleichsweise geschützt im Inselgewirr liegt 200 Kilometer weiter nördlich Tromsø, die wichtigste Metropole des Nordens. Selbst in der Polarnacht locken die zahlreichen Kneipen mit Bier und toller Musik. Doch mich zieht es zurück ins Landesinnere.
Weiter will ich nach Finnland und wieder zurück nach Nordschweden. Ich habe Zeit genug, um die Schneeschmelze zu erleben, die je nach Region von Ende April bis Anfang Juni ihren Höhepunkt findet. Doch zunächst geht es zurück in die Kälte: Steil schraubt sich die E8 von Skibotn hinauf zum Dreiländereck. Schon nach wenigen Kilometern fällt das Thermometer wieder - es geht zurück ins Landesinnere. (Teil II in Ausgabe 02/03)

Der Artikel erschien erstmals auf der Seite www.nordskandinavien.de. Wir danken dem Autor, der uns den Beitrag freundlicherweise zur Verfügung stellte.

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