Putin baut Brücken zu den „Weißen“RUßLAND

Putin baut Brücken zu den „Weißen“

Der russische Präsident gewährte Marina Denikina, der Tochter eines berühmten „weißen“ Generals, die russische Staatsbürgerschaft. Derweil wird in Rußland wieder einmal um den Besitz des Adels gerungen.

Von Ulrich Heyden

Marina Denikina ist die Tochter eines Generals, der im Bürgerkrieg gegen die Bolschewisten kämpfte. Ende letzten Monats genehmigte Wladimir Putin ihren Antrag auf die russische Staatsbürgerschaft. Mit ihrer Seele sei sie in Rußland geblieben und sie wolle „als Russin sterben“, erklärte die 86jährige gegenüber Journalisten. Der russische Botschafter in Paris habe sie angerufen und ihr die frohe Botschaft überbracht. Sie sei überaus glücklich und stolz über die Entscheidung des russischen Präsidenten, erklärte die alte Dame, die heute in Versailles bei Paris wohnt. Während der Sowjetzeit habe sie keine russische Staatsbürgerschaft beantragen wollen, erklärte Marina Denikina. Doch jetzt, wo nach russischem Gesetz eine doppelte Staatsbürgerschaft möglich ist, habe sie den Antrag gestellt.

Seit Beginn der 90er Jahre war Marina Denikina bereits dreimal in Rußland. Sie besuchte sogar das Lenin-Mausoleum. Immerhin sei sie Historikern, begründete die alte Dame, die als Journalistin und Schriftstellerin arbeitete, ihr Interesse.

Der Zeitpunkt für die Anerkennung der Staatsbürgerschaft war vom Kreml-Chef klug gewählt worden. Zu den Siegesfeiern am 9. Mai stand Moskau im internationalen Rampenlicht. Da machen sich Versöhnungsgesten gut. Außerdem – so vermerkt die staatliche Nachrichtenagentur RIA – habe General Denikin alle Versuche Hitlers abgelehnt, ihn zum Leiter der antisowjetischen Kräfte zu machen.

Der Adel möchte Gräber an der Kreml-Mauer

Marina Antonowna Denikina wurde 1919 in der Hochphase des russischen Bürgerkrieges in einem Militärkrankenhaus im südrussischen Krasnodar-Gebiet geboren. Die Soldaten der Weißen kämpften gegen die Rote Armee um die Macht im Land. Marinas Vater, General Anton Denikin, der sich im russisch-japanischen Krieg und im Ersten Weltkrieg Ruhm erworben hatte, leitete damals die Truppen der Weißen im Süden Rußlands. Er war neben den Militärs Koltschak, Wrangell und Judenitsch einer der wichtigsten Führer der Weißgardisten.

1920 emigrierten die Denikins nach Paris. Anton Denikin arbeitete als Militärjournalist und Schriftsteller. 1947 starb er in den USA. Seine Tochter möchte nun die sterblichen Überreste ihres Vaters von einem Friedhof in New Jersey nach Rußland überführen.

Die Moskauer Adelsversammlung setzte sich vor Jahren dafür ein, den Generälen der Weißen Armee an der Kreml-Mauer ihre letzte Ruhestätte zu geben. Die prominenten Anti-Bolschewisten sollten jedoch nicht auf der Seite des Roten Platzes beerdigt werden – wo auch das Lenin-Mausoleum steht –, sondern auf der Seite des Alexander-Gartens, wo sich das Grabmal des Unbekannten Soldaten befindet. Es mag sein, daß die Forderung der Adelsversammlung, die in der letzten Zeit in Vergessenheit geraten war, nun neue Beachtung findet.

Die Beamten in Moskau hatten den Antrag von Marina Denikina zügig bearbeitet. Statt üblicherweise sechs brauchten sie nur zwei Monate, um eine Entscheidung zu fällen. Wie ein Vertreter der russischen Adelsversammlung gegenüber der Zeitung „Kommersant“ erklärte, hätten viele Vertreter der „ersten Emigrationswelle“ (ab 1917) große Schwierigkeiten bei der Beantragung der russischen Staatsbürgerschaft. Im letzten Jahr wurde nur der Antrag von zwei prominenten Emigranten – Graf Pjotr Scheremetew und Fürst Dmitri Schachowskoj – genehmigt.

Putins Geschichtspolitik

Seit seinem Amtsantritt bemüht sich Wladimir Putin, das Verhältnis zu den Russen aus der ersten Emigrationswelle aufzulockern. Das hat einen einfachen Grund. Der Kreml-Chef übernimmt einzelne Elemente aus der russischen und (!) sowjetischen Geschichte, um die nach dem Zerfall der Sowjetunion entstandene Lücke zu schließen und den Russen eine neue nationale Identität zu vermitteln. Schon im Jahre 2000 sandte Putin Versöhnungssignale an die Emigranten. Er besuchte den vor Paris gelegenen Friedhof Saint-Geneviève-des-Bois, wo viele prominente Weißgardisten ihre letzte Ruhe fanden.

Eine völlige Rehabilitierung der weißen Generäle bedeutet das jedoch nicht. Sie sind bis heute umstritten. Tatsächlich waren es Anti-Bolschewisten, nicht aber Demokraten. Für den Rußland-Historiker Günther Stökl waren es „großrussische Chauvinisten“, die eine Militärdiktatur errichten wollten. „Der weiße Terror hielt dem roten die Waage“, so der Historiker in seinem Standardwerk „Russische Geschichte“. Die weißen Generäle schafften es weder funktionierende Zivilverwaltungen aufzubauen, noch mit anderen Völkern zusammen für die Beseitigung der bolschewistischen Herrschaft zu kämpfen.

Streit um den Besitz des Adels

Noch spielt der Adel in Rußland eine unbedeutende Rolle. Dies könnte sich jedoch langsam ändern. Die Blaublütigen fordern Mitsprache, z.B. bei der Klärung der Frage, was mit den Tausenden vom Zerfall bedrohten Gutshäusern und Schlössern passieren soll. Der Staat hat kein Geld, die Gebäude zu erhalten. 3.000 ehemalige Gutshäuser wurden jetzt in einer Datenbank erfaßt. Anfang des 20. Jahrhunderts sollen es im europäischen Teil Rußlands insgesamt 80.000 gewesen sein. Zwei Stiftungen zur „Wiedergeburt der russischen Gutshäuser“ streiten um die Verantwortung bei der Regelung der Rechtsfragen und der Suche nach privaten Investoren.

Aufsehen erregte letztes Jahr Walentina Matwijenko, die Gouverneurin von St. Petersburg, mit ihrem Vorschlag, 2.000 vom Zerfall bedrohte historische Bauten und Paläste durch eine Privatisierung zu retten. Banken und Großunternehmen haben bereits ihr Interesse angemeldet. Der Adel befürchtet nun, beim Ansturm auf die alten Schlösser leer auszugehen - die neureichen Russen haben einfach mehr Geld als die altreichen Blaublütigen. Die neuen Eigentümer sollten die Gebäude nach den Vorgaben des Denkmalschutzes renovieren und der Öffentlichkeit mehrmals im Jahr zugänglich machen, so Matwijenko. Bisher fehlen für eine großangelegte Privatisierung historischer Gebäude aber entsprechende Gesetze.

Wenn die sterblichen Überreste ihres Vaters in Moskau beerdigt würden, wolle sie noch einmal Rußland besuchen, erklärte Marina Denikina. Doch selber möchte sie nicht in ihrem Geburtsland beerdigt werden. Sie wolle ihren Körper der medizinischen Wissenschaft zur Verfügung stellen, erklärte die alte Dame gegenüber dem Blatt „Nowyje Iswestija“. So könne sie auch noch nach ihrem Tod einer guten Sache dienen.

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