Putin will Einwanderung fördernRUßLAND

Putin will Einwanderung fördern

Wegen des anhaltenden Bevölkerungsrückgangs ist das russische Wirtschaftswachstum bedroht.

Von Ulrich Heyden

Rußlands Bevölkerung nimmt dramatisch ab. Zum Jahresbeginn hatte das flächenmäßig größte Land der Erde 700.000 Einwohner weniger als im Dezember 2003. Seit der Volkszählung von 1989 verringerte sich die Zahl der Einwohner um 3,6 Millionen Menschen. Wenn diese Tendenz anhält, leben in Rußland im Jahre 2050 nur noch 100 Millionen Menschen, so viel wie heute in Mexiko.

Angesichts dieser Entwicklung hat Wladimir Putin auf einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates eine Wende in der Einwanderungspolitik angekündigt. Der Rückgang der arbeitsfähigen Bevölkerung könne sich „in nächster Zukunft“ negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken, erklärte der Kreml-Chef. Auch die sozialen Leistungen seien in Gefahr.

Wende in der Einwanderungspolitik

Ungenügende Geburtenentwicklung seit Mitte der 60 Jahre  
Die Einwohnerzahl Rußlands ist seit 1989 von 147 auf 143,4 Millionen Menschen, d.h. um 3,6 Millionen gesunken.

Während vor 15 Jahren im Jahr 1,3 Millionen Kinder geboren wurden, sind es heute nur noch 650.000 jährlich.

Die Sterblichkeit bei den Männern ist seit Mitte der 60er Jahre konstant gestiegen. Ursache ist vor allem der Griff zur Flasche. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern liegt heute bei nur 58 Jahren. Die Frauen leben im Schnitt 72 Jahre.

Nach Berechnungen des Zentrums für Demographie der Russischen Akademie der Wissenschaften leben in Rußland heute 86,5 Millionen arbeitsfähige Menschen. Die Prognose der Akademie: Im Jahre 2025 sinkt diese Zahl auf 70 Millionen, im Jahre 2050 auf 50 Millionen.

In den letzten 12 Jahren wanderten acht Millionen Menschen aus den benachbarten ehemaligen Sowjet-Republiken nach Rußland ein. Dieser Zustrom hat jedoch den Bevölkerungsrückgang nicht stoppen können, nicht zuletzt deswegen, weil er seit Mitte der 90er Jahre rückläufig ist.
 

Während es in der ersten Hälfte der 90er Jahren eine stürmische Einwanderung aus Rußlands Nachbarstaaten gab, ist der Strom nun fast versiegt. Der anhaltende Geburtenrückgang in Rußland kann somit nicht mehr ausgeglichen werden. Die Einwanderung aus den ehemals sowjetischen Republiken, die jetzt zur „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS) gehören, sei für Rußland der „natürlichste Weg“, seinen Arbeitskräftebedarf zu decken, so Putin. Denn der Großteil der Menschen dort spreche Russisch und lasse sich deshalb leicht integrieren. „Für uns sind Religionszugehörigkeit, die Hautfarbe und andere ethnische Faktoren nicht wichtig“, erklärte der Kreml-Chef überraschend. Für diese neue Erkenntnis muß Putin nun Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung leisten. Denn die Angst vor dem Zuzug von Kaukasiern und Asiaten ist unter den Russen groß.

Der russische Präsident erklärte, es seien vor allem „administrative Barrieren“, welche die Einwanderung behindern. Dies sei auch ein Grund, warum es in Rußland zur Zeit vier Millionen nicht legaler Einwanderer gäbe. Nach Meinung des Kreml-Chefs muß die Einwanderung in Zukunft gesteuert werden. Die Einwanderer sollten dorthin gelenkt werden, wo Arbeitskräfte gebraucht werden, d.h. vor allem in dünn besiedelte, unwirtliche Regionen.

Stimmungsmache gegen Ausländer

Die russische Boulevard-Presse hatte in der Vergangenheit die Angst vor dem Zuzug von Nicht-Slawen angeheizt. Das Massenblatt „Komsomolskaja Prawda“ veröffentlichte eine offizielle Statistik, nach der die Zahl der Menschen russischer Nationalität seit 1989 um 3,3 Prozent abgenommen hat, während sich einzelne nichtrussische Völker stark vermehrten. So stieg die Zahl der Armenier und Aserbaidschaner in Rußland in den letzten 15 Jahren um 110 bzw. 90 Prozent. Präsentiert wurde die Statistik in dem Massenblatt mit einem Photo von vier lachenden Kaukasiern in Lederjacken, darunter die süffisante Zeile „Einstweilen besiedeln sie Rußland...“ Das Blatt klagte „In den Kindergärten gibt es keine russischen Kinder mehr“ und forderte die russischen Frauen auf, Kinder zu gebären. Das sei das „einzige Mittel“, das jetzt noch helfe. Daß in Armenien und Aserbaidschan noch zu Sowjetzeiten ein grausamer ethnischer Krieg entbrannte, welcher Hunderttausende Menschen zur Flucht zwang, war dem Massenblatt, welches seinen Zeitungskopf immer noch mit Sowjetorden schmückt, keine Zeile wert.

Zwei Euro Kindergeld

Bevölkerungsexperten glauben nicht, daß Gebärappelle den Trend zur Einkind-Familie aufhalten können. Nach 70 Jahren staatlicher Einmischung wollen nun immer mehr Frauen selbst entscheiden, wie viele Kinder sie bekommen. Um den Bevölkerungsrückgang zu stoppen, müßte jede Frau zwei Kinder gebären. Ein Kind ist in Rußland heute ein teures Vergnügen. Und bei einem Kindergeld von 70 Rubel (zwei Euro) im Monat ist der Anreiz auch nicht groß. Die „Komsomolskaja Prawda“ fordert denn auch eine Erhöhung des Kindergelds auf mindestens 300 Rubel.

An billige Arbeitskräfte aus dem Kaukasus und Mittelasien hat sich die russische Gesellschaft trotz latenter Ausländerfeindlichkeit inzwischen gewöhnt. Tadschiken reparieren in Moskau die Straßen. Ukrainer bauen Hochhäuser, Türken Hotels. Kaukasier handeln in der Hauptstadt mit Obst oder fahren Taxi. Im Fernen Osten bringen Chinesen Billigware auf die Märkte. Viele Russen wollen sich bisher nicht eingestehen, daß es außer den Ausländern heute niemanden gibt, der diese schlecht bezahlten und oft harten Arbeiten erledigt.

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