09.08.2023 13:11:56
UMWELT IN CHINA
Von Nadine Diehl
anzhou ist eine Stadt fast so groß wie Schleswig-Holstein, im geographischen Zentrum Chinas. Jedes Jahr ist sie unter den vom amerikanischen Blacksmith Institute ermittelten 30 dreckigsten Städten der Welt. Im Winter schafft es die Sonne nur selten aus dem grau-braunen Schleier aus Wüstensand und Feinstaub hervorzuschauen. Unweit vom Stadtzentrum bahnt sich der Gelbe Fluss seinen Weg durch die versmogte Millionenstadt. Die Strömung ist hier erstaunlich stark, ist der Fluss doch an vielen Stellen ausgetrocknet, weil die Industrie glaubt unendlich aus ihm schöpfen zu können.
Lanzhou ist nicht irgendeine Stadt. Sie steht für ein ganzes Land, geplagt von den Folgen des Klimawandels und unzähligen, hausgemachten Umweltproblemen. Umso überraschender sind die Ergebnisse, zu der eine neue Studie namens „Greendex 2008“ kommt. Die National Geographic Society und das international tätige Meinungsforschungsinstitut GlobeScan haben in einer Online-Befragung untersucht, wie umweltfreundlich das Konsumverhalten in verschiedenen Ländern ist. China landete in der Studie, an der insgesamt 14 Länder teilnahmen, auf Platz drei, nach zwei weiteren Schwellenländern, Brasilien und Indien. Deutschland bewegt sich im Mittelfeld. Die USA gehen im Alltag am sorglosesten mit der Umwelt um und bilden daher das Schlusslicht.
Laut Studie schnitten die Schwellenländer so gut ab, weil die Menschen dort beispielsweise weder stromschluckende Geräte, noch aufwendig in Plastik verpackte Lebensmittel kaufen – im Gegensatz zu den Industrieländern. In China besitzt noch immer kaum jemand ein eigenes Auto. Fast die Hälfte der Bevölkerung fährt mit dem Rad oder geht zu Fuß. Auch die Ernährung ist umweltfreundlicher. Die Chinesen essen laut der Studie hauptsächlich einheimisches Gemüse. Nur fünf Prozent der Befragten gab an, sich täglich von Fleisch zu ernähren.
Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hält die Aussage der Studie jedoch für äußerst problematisch. „China hat noch gar nicht unseren Entwicklungsstand erreicht“, sagt sie. „Wenn das Durchschnittseinkommen erst mal in der Bevölkerung steigt, werden auch die Chinesen Autos fahren und sich große Häuser kaufen wollen.“ Kleine Wohnfläche bedeutet schließlich auch geringere Energiekosten. Das Ranking ist Dr. Kemfert zufolge daher nur eine Bestandsaufnahme und setzt die Ergebnisse nicht in Relation zum Wohlstand. Allerdings ist sie davon überzeugt, dass die Chinesen unsere Fehler nicht nachmachen wollen und gerne umweltfreundliche Technologie einsetzen würden. „Wenn Deutschland umweltfreundliche Kohlekraftwerke entwickeln würde, würde China diese sofort nachfragen“, sagt sie.
Dem widerspricht Dr. Thomas Heberer, Professor für Ostasien-Politik an der Uni Duisburg-Essen. „Die Chinesen richten sich nach dem Preis, nicht nach der Umwelt“, sagt er. Dr. Heberer glaubt zwar, dass die Chinesen beispielsweise ein umweltfreundliches Auto kaufen würden, aber nur, wenn es nicht mehr kostet als ein gängiges Modell. „Umweltthemen spielen eine immer größere Rolle in den Medien und bei Parteifunktionären“, sagt er. „Das Bewusstsein für die Probleme ist in der Bevölkerung jedoch denkbar gering, vor allem im eher ländlich geprägten Westen Chinas.“ Dort zähle für die Bewohner nur eins: den eigenen Lebensstandard zu erhöhen.
Dabei ist China auf unserem Globus das Land mit den meisten Umweltgesetzen. In den vergangenen Jahren wurden etwa 100 neue Gesetze erlassen, doch kaum eines davon wurde durchgesetzt. Marode Fabriken sind immer noch in Betrieb, obwohl sie nach den geltenden Umweltstandards schon längst hätten geschlossen werden müssen. Es gibt kaum eine Stadt, in der schon mal ein Umweltsünder vor Gericht stand. Doch es drängt die Zeit. Zwei Drittel der Bevölkerung in Chinas 642 Städten lebt nach Erhebungen der staatlichen Umweltbehörde in einer Umgebung mit schlechter oder sehr schlechter Luftqualität. Krebs ist mittlerweile Todesursache Nummer eins.
Die 52-jährige He Ling lebt seit ihrer Kindheit in so einer Stadt. Sie arbeitet als Seminarleiterin bei der Provinzgewerkschaft in Lanzhou, wo sie umgerechnet 300 Euro pro Monat verdient und somit zu den Besserverdienenden in ihrer Region gehört. „Zum Supermarkt geh’ ich so gut wie nie“, sagt sie. „Erstens ist mir das zu teuer und zweitens ist das abgepackte Gemüse doch gar nicht mehr richtig frisch.“ Alle zwei Tage läuft die zierliche Frau zum Markt, der ein paar Straßen weiter von ihrer Wohnung entfernt ist. Ein Auto kann sich He Ling nicht leisten, aber auch mit dem Bus fährt sie nur selten, obwohl die Fahrt in die Innenstadt gerade mal einen Yuan kostet. „Man sollte immer viel laufen. Das hält fit und gesund.“ Tatsächlich könnte sie mit ihrer sportlichen Figur noch mit einer 20-Jährigen mithalten.
In Sachen erneuerbare Energien könnte der Westen sogar von den Chinesen lernen. Bei einem Blick über die Hochhäuser Lanzhous fallen sofort die vielen Solaranlagen auf, mit denen die Dächer bedeckt sind. Auch He Ling besitzt so eine Anlage. Im Bad ihrer geräumigen Drei-Zimmer-Wohnung im achten Stock zeigt sie mir die Kontrollstation. Wenn sie diese einschaltet, wird das Wasser innerhalb einer halben Stunde auf bis zu 50 Grad Celsius aufgeheizt. Die Solarzellen haben für sie vor allem den Vorteil, dass sie damit Elektrizitätskosten spart. „Das blöde ist nur, dass das im Winter nicht so gut funktioniert, weil da ja kaum Sonne ist“, sagt He Ling. „Manchmal dusche ich dann einfach mit kaltem Wasser und dann sowieso nur einmal pro Woche.“ Eisige Kälte ist He Ling gewohnt hier im Norden Chinas. Im tiefsten Winter bei Temperaturen von minus zehn Grad kommt sie mit der lauwarmen Heizung ihrer Wohnung aus, die von der Regierung jedes Jahr pünktlich zum 1. November eingeschaltet wird. Einen elektrischen Heizstrahler hat sie zwar zusätzlich, der stehe jedoch schon seit zwei Jahren eingestaubt auf dem Balkon.
Dass sie mit ihrem Verhalten der Umwelt etwas Gutes tut, war ihr dabei gar nicht bewusst. Aber auch sie spürt täglich die Umweltbelastungen und ist um ihre eigene Gesundheit besorgt. Laut Lloyd Hetherington, dem leitenden Autor der Greendex-Studie, zieht sich diese Besorgnis durch alle Schichten in der chinesischen Bevölkerung. „Es herrscht in China ein wirkliches Bewusstsein für Umweltprobleme, welches sich nicht mit dem fehlenden Wohlstand der Menschen erklären lässt”, sagt Hetherington. Die Menschen in höheren Einkommensklassen hätten nur einen geringfügig schlechteren Greendex-Score, was daran liege, dass sie einfach mehr, aber nicht umweltunfreundlicher konsumieren. Sie seien sogar eher darüber besorgt, dass Umweltprobleme einen negativen Einfluss auf ihre Gesundheit haben als diejenigen mit geringerem Einkommen. Die Greendex-Studie soll nun Konsumenten, Regierungen und Firmen zugänglich gemacht werden, um auf den Ergebnissen aufzubauen. „Regierungen und Hersteller spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht die Auswahl an ‚grünen’ Produkten für die Bevölkerung zu vervielfältigen“, sagt Hetherington.
Auch in anderen Bereichen gibt es Lichtblicke. Beispielsweise in der Recyclingindustrie. 60 Prozent aller Karton- und Papierprodukte werden in China aus Altpapier hergestellt. Laut „Forest Trends“, einer amerikanischen NGO (non-governmental organisation), hat China seit 2002 die gewaltige Menge von 65 Millionen Tonnen Altpapier vor allem aus Amerika und Europa recycelt und zu Kartons für den Export verarbeitet. Das sind sieben Prozent des Altpapiers der Welt. Allein im Jahr 2006 hat China laut dieser Studie, dadurch 55 Millionen Tonnen Holz eingespart. Damit schützt China indirekt die Wälder und verhindert, dass das Papier im Ausland ungenutzt auf Mülldeponien landet. Das Geschäft mit dem Abfall boomt. Überall in den Großstädten streifen Müllsammler umher auf der Suche nach verwertbarem Abfall. Verwertbar heißt Plastik, Kartons, Glas und Metall - also alles, was sie an Recyclingfirmen oder einen Zwischenhändler weiter verkaufen können. Ganze Höfe sind in Chinas Armutsvierteln mit Müll voll gestopft – auch in Lanzhou.
He Ling hat den Müll, die verschmutzte Luft und die fehlende Natur jedenfalls satt. Sie will in drei Jahren in den Süden ziehen, wo alles viel grüner und die Luft sauberer sei. „An die südlichen Küstenstädte kommen doch die Touristen immer. Da wird eher drauf geachtet, dass alles schön ordentlich ist“, sagt sie. Eine bisschen frische Luft ist es ihr jedenfalls wert, ihrer Heimatstadt den Rücken zu kehren.
Siehe in dieser Ausgabe auch „Im Zug nach Lanzhou“ von unserer Autorin Nadine Diehl.
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