Russische AutosGESCHICHTE

Russische Autos

Russische Autos

Das 20. Jahrhundert gilt als das „Jahrhundert des Automobils“, große Aufmerksamkeit wird dabei der Entwicklung des Automobils in den Ländern Westeuropas und den USA geschenkt. Welche Rolle spielte nun das Automobil in der Geschichte Russlands, eines riesigen Landes, das sich von St. Petersburg an der Ostsee bis nach Wladiwostok am Pazifik erstreckt?

Von Eva-Maria Stolberg | 20.03.2021

Als das Automobil in Russland „fahren lernte“: Die Zarenzeit

Experimentierfreude mit Fahrzeugtechnik kam im Zarenreich bereits im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung auf und verbindet sich mit dem russischen Mechaniker und Autodidakten Ivan Kulibin (1735-1818). Zwischen 1784 und 1786 fertigte Kulibin Entwürfe zu einem „samokatka“ (Selbstfahrer) an, der mit Fußpedalen betrieben wurde. Durchsetzen konnte sich dieses Gefährt nicht, da Erfinder- und industrieller Unternehmergeist im Zarenreich – im Unterschied zu Westeuropa – nicht gefördert wurde. Technische Autodidakten wurden im Zarenreich allgemein als Wunderlinge angesehen.

Ein dampfbetriebener „Schnellläufer“

Zu einem erneuten Anlauf kam es in den 1830er Jahren. Der polnischstämmige Ingenieur Kasimir Jankevič entwickelte den dampfbetriebenenen „Bystrokrat“ (Schnellläufer) und machte sich dabei die technischen Erfahrungen in der Dampfschifffahrt zunutze. Aber Jankevičs Pläne gerieten für vierzig Jahre in Vergessenheit. In den 1830er Jahren favorisierte die Zarenregierung die Eisenbahn als künftiges Verkehrsmittel. Der Ingenieur Čerepanov konstruierte um 1835 in Nižnij Tagil (Ural) eine Dampflokomotive. In den nächsten Jahrzehnten bis 1870 standen erst einmal Experimente mit der Dampfmaschine und ihrem möglichen Einsatz im Vordergrund. So wurden Dampfmaschinen betriebene Traktoren für die russische Landwirtschaft entwickelt, das russische Militär begann sich, für gepanzerte, Dampfmaschinen betriebene Wagen zu interessieren.

Das Interesse am „samochod“ (russisch: Automobil) war militärisch motiviert. Im Russisch-Türkischen Krieg von 1877/1878 kamen Panzerwagen mit einer Geschwindigkeit von 6 PS, hergestellt von der Firma Eveling-Porter, zum Einsatz. Die Entwicklung des ersten zivilen Automobils im Zarenreich liegt noch im Dunkeln. Der erste „samochod“ wurde von der Firma Jakovlev Freze 1896 auf der Industrieausstellung in Nižnij Novgorod vorgestellt.

Der erste Samochod mit Benzinmotor fuhr 13 Stundenkilometer

In dem Fabrikat der Firma Jakovlev Freze war bereits ein Benzmotor eingebaut, das Gefährt konnte eine Höchstgeschwindigkeit von 13 Kilometer pro Stunde erreichen, bei winterlichen Witterungsbedingungen konnten Skier an die Räder montiert werden.

In den 1890er Jahren, die auch im Zarenreich wie in Westeuropa die Gründerzeit markierten, war zwar die Technologie vorhanden, Automobile zu produzieren, aber es fanden sich keine Käufer. Noch galt das Automobil als „technische Phantasiemaschine“, zudem setzte die Zarenregierung die Prioritäten anders: Vor allem der Eisenbahnbau sollte gefördert werden. Hinzu kam, dass das Straßennetz im Zarenreich nicht das Beste war.

Gepflasterte Straßen gab es nur St. Petersburg, Moskau und wichtigen Handelsstädten wie Odessa. Überlandstraßen waren in schlechtem Zustand, dies betraf vor allem das ländliche Russland und die asiatischen Gouvernements. Hier bewegte man sich im Alltag mit den tarantass, primitiven Pferdefuhrwerken, fort.

Das deutsche Kaiserreich lieferte Autos – dann kam Ford

Um die Jahrhundertwende, in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, bekam die Automobilentwicklung einen neuen Impuls, der von den Russisch-Baltischen Waggonwerken in Riga, Lettland ausging. Hierbei handelte es sich nicht um eine reine Automobilproduktion, sondern um eine technologische „Experimentierfabrik“ im Auftrag der Zarenregierung. Die Russisch-Baltischen Waggonwerke experimentierten mit Fahrtechnik für die Bereiche Eisenbahn, Automobil und Luftfahrt. Erst 1908 erhielt das bereits 1869 gegründete Unternehmen eine Abteilung für Automobilentwicklung. Während des Ersten Weltkrieges wurden vor allem Panzerwagen produziert.

Im zivilen Bereich traf das „russische“ Automobil jedoch auf die Konkurrenz aus dem Deutschen Reich, Großbritannien und den USA. Das Deutsche Reich, der wichtigste Automobilexporteur, erlitt mit dem Ersten Weltkrieg einen drastischen Einbruch auf dem russischen Markt und wurde 1915 von dem US-amerikanischen „Ford-T“ abgelöst. Dieses Modell setzte sich im Zarenreich von St. Petersburg bis Wladiwostok durch. Allein in der Metropole am Pazifischen Ozean stammten 90 Prozent der Automobile aus der „Ford-Produktion“. 1916 reiste der bekannte russische Ingenieur N.S. Lavrov in die USA, wo er Henry Ford einlud, ein Netz von direkten Vertriebsagenturen im Russischen Reich aufzubauen: „Ich weise die Ford Motor Company auf das große Territorium Russlands hin, das in der Zukunft ein zweites Amerika sein wird“. Ein Jahr später jedoch, brach die Oktoberrevolution aus und ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen, in dem allerdings Ford weiterhin eine große Rolle spielen sollte.

„Dem sowjetischen Führer und nicht dem Volk ein Auto“: Die Stalin-Ära.

Am Vorabend des Ersten Fünfjahrplanes erklärte Stalin in seiner Rede von Anfang November 1929: „Wir gehen im Volldampf den Weg der Industrialisierung – zum Sozialismus, unsere alte, ‚reußische‘ Rückständigkeit hinter uns lassend. Wir werden zu einem Land des Metalls, einem Land der Automobilisierung.“

Anfang der 1930er Jahre entstanden die drei großen Kombinate ZIS in Moskau, GAZ in Gor’kij und JAGAZ in Jaroslavl`, die ihre Modelle auch im westlichen Ausland, so auf der Pariser Weltausstellung 1937 präsentierten. Da der Fünfjahresplan die Schwerindustrie gegenüber dem Konsumgütersektor favorisierte, machte der Anteil der PKWs an der Automobilproduktion nur 24Prozent aus, es wurden vor allem Lastwagen produziert, nicht nur für den großen sowjetischen Binnenmarkt, sondern auch für das Ausland (Spanien, Iran, China, Mongolei). In den 1930er und 1940er Jahren benutzte der sowjetische Durchschnittsbürger als Verkehrsmittel den Omnibus, die Straßenbahn oder die Eisenbahn. Der Besitz eines PKWs war vor allem der Nomenklatura von Staat und Partei vorbehalten.

1937 stellte die Sowjetunion 200.000 Automobile her, davon allerdings 180.000 LKWs

In den 1930er Jahren folgte die sowjetische Automobilproduktion dem amerikanischen Vorbild, was dem damaligen Zeitgeist der sowjetischen Führung entsprach, deren ambitioniertes Programm war, nicht nur von den USA zu lernen, sondern das Technologieland Nr. 1 in kürzester Zeit zu überholen. 1933 begannen die sowjetischen Chefingenieure des Kombinats in Gor’kij mit der Produktion des GAZ-M1, der in Anlehnung an den „Ford-40“ konzipiert, eine Geschwindigkeit von 50 PS erreichte. Stalin informierte sich über den Produktionsverlauf und ließ sich am 17. März 1936 den Wagen in Gegenwart von hohen Regierungs- und Parteikadern wie Molotov und Vorošilov vorführen.  

1937 stellte die Sowjetunion 200.000 Automobile her, davon allerdings 180.000 LKWs und nur eine bescheidene Anzahl von 20.000 PKWs, was verdeutlicht, dass den Konsumwünschen der sowjetischen Bevölkerung im Gegensatz zu westlichen Ländern keine Beachtung geschenkt wurde. In dem von Evgenij A. Čudakov, einem sowjetischen Experten des Automobilbaus, 1952 veröffentlichten Werk „Sovetskij Avtomobil“ (Sowjetisches Automobil) heißt es, dass es dem Wesen eines kapitalistischen Landes entspreche, verstärkt Automobile für den privaten Gebrauch zu produzieren, die Herstellung von Lastwagen und Autobussen dagegen den gemeinschaftlichen, sozialistischen Charakter der Sowjetunion unterstreiche. Im Unterschied zu den westlichen Ländern stand die Technologie in der Sowjetunion im Dienst des Kollektivismus. Wie auch andere technologische Schlüsselbereiche war die Automobilentwicklung und -produktion in der Sowjetunion zentralisiert, die Forschungsinstitute und die Produktionsbetriebe dem Volkskommissariat für Schwerindustrie unterstellt.

In den späten 1930er Jahren wurde in der Sowjetunion das Automobil wie das Flugzeug zum Symbol moderner Spitzentechnologie, wobei die in der Luftfahrt entwickelte Aerodynamik starken Einfluss auf die Fahrzeugbauweise hatte, eine analoge Entwicklung zu den westlichen Ländern. Zur Erprobung wurden Wettfahrten über fast 10.000 Kilometer quer durch die Sowjetunion durchgeführt. 1933 fand z.B. ein Automobilrennen von der Wolga an den Aralsee bis in die Wüsten Zentralasiens statt. Die Wettfahrten dienten dem Test der Motoren auf ihre Tauglichkeit auf unterschiedlichen Wegstrecken, vor allem auf unbefestigten Wegen, unter extremen klimatischen Verhältnissen. Diese Erprobung hatte damit auch ein militärisches Motiv. In der Propaganda sollten diese Wettfahrten die technologische Leistungsfähigkeit der Sowjetunion als „Land der Superlative“ unter Beweis stellen. Während des Zweiten Weltkrieges produzierte die Automobilbranche vor allem Lastwagen für die Front.

Erst nach Kriegsende wurde die Produktion von zivilen Fahrzeugen wieder aufgenommen. Doch Stalins Parole vom November 1929, die Sowjetunion werde zu einem „Land der Automobilisierung“, hatte sich nicht erfüllt. Dieses Ziel wurde erst unter seinen Nachfolgern erreicht.

Auf dem Weg zum „sowjetischen Volkswagen“: Die Chruschtschow - und Breschnew -Ära

Unter Chruschtschow und Breschnew begann sich die Lebensqualität zu verbessern. Der „Wohlfahrtskommunismus“ sollte nun auch dem sowjetischen Normalbürger und nicht nur der Nomenklatura ein Auto ermöglichen. Am 4. Mai 1966 wurde ein Vertrag mit der italienischen Firma Fiat unterzeichnet, der die Errichtung des gigantischen Automobilkombinats AvtoVas in Toljatti (Gebiet Samara) mit einer jährlichen Produktion von 660.000 Pkws (Fabrikat „Lada“) vorsah, mit dem der Markt in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern versorgt werden sollte.

Mit der von Nikita S. Chruschtschow auf dem XXI. Parteitag verfügten Förderung der Konsumgüterindustrie rückte der private Automobilverkehr zunehmend in das Interesse der sowjetischen Regierung. Nach den Jahren des Verzichts unter dem Stalinismus sollte der sowjetische Bürger wieder konsumieren können. Entstalinisierung und politisches Tauwetter schlugen sich im Privatleben nieder, der Zugang zu Konsumgütern – in der Stalinzeit einer kleinen Führungselite vorbehalten – sollte auch „Otto Normalverbraucher“ ermöglicht werden. Bekanntlich stellt das Auto ein beliebtes Konsumgut dar, so auch in der sowjetischen Nachkriegsgesellschaft.

Eine heikle Frage war die Verkehrssicherheit – ein Thema, das in der Sowjetunion tabuisiert wurde. Jedenfalls gaben offizielle Darstellungen keine Informationen zur Anzahl der Unfälle und der Verkehrstoten. Das änderte sich erst in den 1970er Jahren. In den sowjetischen Zeitungen wurde bemängelt, dass die Autofahrer notwendige Reparaturen unterließen. Regelmäßig berichtete die sowjetische Presse von Taxifahrern, die Verkehrsgerichte aufgrund ihrer rasanten Fahrweise verurteilten. Ein anderes beliebtes Thema war der Alkoholismus am Steuer. Die meisten Verkehrsunfälle wurden auf den Einfluss des russischen „Volksgetränks“ Vodka zurückgeführt. Offiziell galt Trunkenheit am Steuer als „unsozialistisch“, in der Bevölkerung jedoch als „Kavaliersdelikt“.

Die sowjetische Regierung verstärkte die Aufklärungsarbeit der Polizei (GAI = Gosudarstvennaja avtomobil’naja Inspekcija = Staatliche Automobilinspektion), die regelmäßig Vorträge über „Disziplin im Straßenverkehr“ veranstaltete, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Ein anderes Problem für die Verkehrssicherheit, das in der Öffentlichkeit immer wieder vorgebracht wurde, waren die Wettfahrten sowjetischer Jugendlicher, die ihren Mut vor den Alterskameraden unter Beweis stellen wollten. Nach amtlichen Angaben war der Anteil von Fußgänger an den Verkehrstoten besonders hoch, er lag bei 40Prozent,

Erst ab den 1960er Jahren wurden Autos zum Symbol sowjetischer Urbanität und Modernität

Die Zunahme des Straßenverkehrs in den 1970er Jahren schlug sich in dem Ausbau des Straßennetzes nieder. Während 1924 – in der Zeit der Neuen Ökonomischen Politik – gerade einmal 24.000 Kilometer angelegt wurden, waren es Mitte der 1970er Jahre 660.000 Kilometer. Allerdings wurde der Ausbau des Straßennetzes vorrangig im europäischen Russland gefördert, gerade auch durch den Bau von Autobahnen, die Moskau mit anderen Großstädten des europäischen Teils der Sowjetunion verbanden, wie Leningrad, Kiew, Minsk, Wolgograd, Charkow. Der Einsatz des Autos hatte sich beträchtlich gewandelt, diente nicht mehr allein repräsentativen Zwecken wie im Zarenreich oder militärischen Notwendigkeiten wie im Zweiten Weltkrieg, sondern entsprach dem gesteigerten Konsum- und Freizeitbedarf der sowjetischen Bevölkerung.

Der Erfolg des Autos ab den 1960er Jahren spiegelt nicht zuletzt den sozialen Wandel der sowjetischen Nachkriegsgesellschaft wider. PKWs wurden zum Symbol sowjetischer Urbanität und Modernität. Dennoch konzentrierte sich der Einsatz des Autos auf kleine (meist städtische) Räume, größere Entfernungen z.B. zwischen dem europäischen und asiatischen Teil der Sowjetunion wurden mit der Eisenbahn oder dem Flugzeug zurückgelegt.

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