Russland reif fürs Matriarchat?GLEICHBERECHTIGUNG

Russland reif fürs Matriarchat?

Russland reif fürs Matriarchat?

Die Vorsitzende des russischen Föderationsrates, Walentina Matwijenko, meint, dass es mit der Feminisierung der Politik auch in Russland voran geht.

Von Ulrich Heyden

Walentina Matwijenko (Foto: Ulrich Heyden)
Walentina Matwijenko (Foto: Ulrich Heyden)

R ussland, ein rückständiger Staat, mit Wahlfälschungen, Korruption, bestechlicher Justiz und Polizisten, die immer wieder wegen Willkür im Amt für Schlagzeilen sorgen. Wie gut, dass es da ab und zu auch Positives aus dem größten Land der Erde zu berichten gibt.

„Ihr seid nicht wirklich klüger“

Walentina Matwijenko, seit September letzten Jahres Vorsitzende des russischen Föderationsrates, las den russischen Männern Mitte März auf einer Pressekonferenz mit ausländischen Journalisten die Leviten. Die neue Vorsitzende, die in den 1980er Jahren den Komsomol in St. Petersburg leitete, Ende der 1990er Jahre Botschafterin Russlands in Griechenland und dann acht Jahre lang Gouverneurin von St. Petersburg war, polterte überraschend gegen die eingebildete Männer-Welt.  „Ihr meint ein Vorrecht zu haben, weil ihr angeblich klüger und talentierter seid“, polterte Matwijenko, ohne Namen zu nennen. Die versammelte Journalisten-Schar guckte erstaunt, klatschte dann aber Beifall. Die Männer seien nicht klüger. „Bereitet euch auf ein Matriarchat vor,“ verkündete die nach der Verfassung drittmächtigste Politikerin in Russland.

Dass die „Feminisierung der Politik“ auch in Russland vorankomme, sehe man an ihrer Wahl zur Vorsitzenden des Föderationsrates. Durch die Teilhabe der Frauen an politischen Entscheidungsprozessen werde die Politik „humanisiert“, meinte 62jährige. „Die Bürger sind müde von der harten männlichen Politik, von Konflikten und dem Fehlen von Menschlichkeit.“

Es bleibt ein schaler Beigeschmack

Die Einsichten von Matwijenko wirken zeitgemäß, doch es bleibt ein schaler Beigeschmack, denn die bekannte Politikerin polterte vor ausländischen Journalisten. Russische Korrespondenten waren zwar auch anwesend, doch in den russischen Zeitungen las man dann nichts über Matwijenkos Matriarchats-Träume.

Wollte Russlands Vorzeige-Politikerin vor den ausländischen Korrespondenten nur zeigen, dass man auch in Russland mit der Zeit geht? Zudem blieb unklar, wie der Weg zum Matriarchat denn nun genau aussehen soll. Von der Gründung einer Frauenpartei – die es in den 1990er Jahren noch gegeben hat - wollte Matwijenko nichts wissen. Parteien müssten auf Grundlage „eines Programms und einer Ideologie“ gegründet werden. Die Frauen müssten sich „an allen Parteien beteiligen und eine Führungsposition einnehmen.“ Auch eine gesetzlich vorgeschriebene Quotierung lehnt die Politikerin ab.

Befürworterin des Gasprom-Turms

Matwijenkos Eintreten für mehr Frauenrechte war eine ziemliche Überraschung. Hatte sich die  bekannte Politikerin als Gouverneurin von St. Petersburg doch bislang nicht bei der Sicherung von Bürger-Interessen hervorgetan. So wollte Matwijenko partout den Bau eines 400 Meter hohen Gasprom-Hochhauses im historischen Stadtzentrum durchsetzen. Demonstrationen von Anwohnern und schließlich ein Machtwort von Präsident Medwedew sorgten dafür, dass der Turm nun am Stadtrand gebaut wird.

Kritik hatte letztes Jahr auch die Wahl von Matwijenko in ein St. Petersburger Bezirksparlament ausgelöst. Das Wahlergebnis von 94,5 Prozent wurde in St. Petersburger Oppositionskreisen angezweifelt.
 
Angesichts dieser Vorgeschichte wirkten Matwijenkos Äußerungen über die russische Protestbewegung nicht unbedingt überzeugend. Die zahlreichen Kundgebungen für und gegen die Regierung während des Präsidentschaftswahlkampfes pries die Föderationsratsvorsitzende auf der Pressekonferenz als „ein Zeichen der Zivilgesellschaft“ und „nachhaltiger demokratischer Entwicklung“.

Wahlrechtsreform „seit Jahren vorbereitet“

Doch das war noch nicht alles an wohlklingenden Äußerungen. „Die Menschen sind freier geworden, sie haben keine Angst mehr“, meinte die Ex-Gouverneurin. „Die Straßen-Demokratie ist der erste Schritt zur Demokratie.“ Dass die jetzt von der Duma in erster Lesung verabschiedete Wahlrechtsreform in Wirklichkeit auf Druck der Straße zustande kam, wurde von Matwijenko bestritten. Die Wahlrechtsreform sei schon „seit Jahren“ von Putin und Medwedew geplant gewesen, sagte sie.
 
Den Einwurf, dass es in den letzten Monaten in der russischen Gesellschaft eine „Erregung“ gegeben hat, wies die Föderationsratsvorsitzende zurück. „Eine Erregung der Gesellschaft gab es in Griechenland.“ In Russland könne man nicht von Erregung sprechen. Im Gegensatz zu Griechenland sei Russland sozial und politisch stabil. Die Föderationsratsvorsitzende drückte ihre Verwunderung darüber aus, dass die westlichen Medien Demonstrationen in Russland als etwas Besonderes sehen, Demonstrationen mit hunderttausenden Teilnehmern in Paris und Madrid dagegen  für normal halten.

„Keine Hexenjagd auf Beamte“

Angesprochen auf die Korruption in Russland meinte die Politikerin, sie begrüße das von Präsident Medwedew geplante Gesetzesprojekt, nachdem die Beamten in Zukunft darüber Rechenschaft ablegen müssen, aus welchen Quellen sie ihre Ausgaben finanzieren. Immer noch komme es vor, dass ein Teil des Gehalts im Briefumschlag gezahlt wird, womit man sich vor Steuerzahlungen drückt. Das neue Gesetz dürfe aber nicht zu einer „Hexenverfolgung“ gegen Beamte führen, von denen „der Großteil nicht korrupt“ sei. Das neue Anti-Korruptions-Gesetz dürfe „die Menschenrechte nicht verletzten“.

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