Schwere Schlappe für russischen Chef-ErmittlerMOSKAU

Schwere Schlappe für russischen Chef-Ermittler

Der russische Chef-Ermittler drohte einem Journalisten der Novaya Gazeta mit dem Tod. Dann entschuldigte er sich unter dem Druck der kritischen Öffentlichkeit.

Von Ulrich Heyden

30 russische Journalisten protestierten am vergangenen Mittwoch vor dem Gebäude des russischen Ermittlungskomitees in der Moskauer Technitscheski-Gasse. Es ging um den Schutz der journalistischen Arbeit in Russland, denn etwas Ungeheuerliches war passiert. Der Leiter des russischen Ermittlungskomitees, Aleksandr Bastrykin hatte dem stellvertretenden Chefredakteur der Kreml-kritischen Novaya Gazeta, Sergej Sokolow, der die Ermittlungsabteilung des Blattes leitete, mit dem Tod  gedroht, worauf dieser ins Ausland flüchtete

Entschuldigung vor laufender Kamera

Am Donnerstag hatte sich Bastrykin während eines Treffens mit Moskauer Chefredakteuren für seinen „emotionalen Ausbruch“ gegenüber Sokolow entschuldigt und seine  Anspannung wegen dem Mord an einem Ermittler in Dagestan als Begründung angeführt. Vor laufender Kamera schüttelten sich Chef-Ermittler Bastrykin und der Chefredakteur der Novaya Gazeta, Dmitri Muratow, die Hände. Bastrykin erklärte, „beide Seiten haben sich entschuldigt“. Wofür sich beide Seiten genau entschuldigten blieb jedoch unklar.

Harte Kreml-Kritiker sprechen von „Verrat“

Nach dem Handschlag zwischen Chefredakteur Muratow und Chef-Ermittler Bastrykin macht nun in der Kreml-kritischen Szene Moskaus das Wort „Verrat“ die Runde. Den Vorwurf weist die Novaya Gazeta in einer redaktionellen Erklärung zurück. Aufgabe der Zeitung sei es nicht, den Rücktritt des Chef-Ermittlers durchzusetzen, sondern für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu sorgen. Dies sei erreicht worden. Denn Bastrykin habe Sokolow und den Journalisten des Blattes, die im Nord-Kaukasus arbeiten, eine Sicherheitsgarantie gegeben.

Die Journalistin Olga Allenowa, die für den Kommersant aus dem Kaukasus berichtet, schrieb in ihrem Blog, dass Bastrykin sich entschuldigt habe, sei ein wichtiges Signal an alle unteren Dienstränge, dass man „emotionale Ausfälle lieber nicht zulässt“. Dass Bastrykin sich entschuldigt habe, sei „ein Durchbruch“, denn gewöhnlich entschuldigten sich Vertreter des Staates nicht. Denn das werde gemeinhin als Zeichen der „Schwäche“ aufgenommen.

Der Fall der Zapok-Bande kocht hoch

Wie kam es nun zu der Drohung des Chef-Ermittlers gegen den Journalisten? Der Anlass war ein Artikel von Sokolow vom 4. Juni. Darin hatte Sokolow dem Chef-Ermittler den Vorwurf gemacht, er decke eine Mafia-Bande, die im November 2010 in einer „Strafaktion“ 12 Menschen – darunter vier Kinder – tötete.

Die Bluttat, die sich in einem Haus ereignete, hatte ganz Russland aufgewühlt. Denn sie warf ein Licht auf das Ausmaß der Korruption in russischen Kleinstädten. Wie bei den Ermittlungen bekannt wurde, hatte die nach ihrem Anführer benannte Zapok-Bande das südrussische Städtchen Kuschtschowskaja schon über Jahre mit Vergewaltigungen und Erpressungen terrorisiert, ohne dass die örtliche Polizei eingriff.  Zwei wegen des Massenmords Verdächtige verübten nach offiziellen Angaben in ihren Gefängniszellen Selbstmord

„10.000 Rubel für ein Menschenleben“

Chef-Ermittler Bastrykin hatte direkt nach der Bluttat öffentlich angekündigt, er werde die Täter hinter Gitter bringen. Die Novaya Gazeta kritisierte in zahlreichen Artikeln die schleppenden Ermittlungen. Am 4. Juni veröffentliche der stellvertretende Chefredakteur, Sergej Sokolow, dann einen Artikel  , in dem er Chef-Ermittler Bastrykin als „Stütze“ der Mafia-Bande bezeichnete. Nicht anders sei es zu erklären, dass die „rechte Hand“ des Banden-Chefs, Sergej Zepowjas, nur zu einer Strafe von umgerechnet 150.000 Rubel (3.750 Euro) verurteilt wurde. Dem Staat sei das Leben eines Menschen scheinbar nicht viel mehr wert als 10.000 Rubel, so der Kommentar des Journalisten.

Die Reaktion des Chef-Ermittlers auf den Artikel folgte prompt. Bastrykin lud Sokolow zu einer öffentlichen Versammlung von mit dem Zapok-Fall befassten Ermittlern in die nordkaukasische Stadt Naltschik ein. Dort entschuldigte sich der Journalist für seine „emotionalen Worte“, blieb aber in der Sache hart. Bastrykin nahm die Entschuldigung nicht an und verwies Sokolow mit den Worten - „Sie übergießen mich beiläufig mit Scheiße“ - des Saales.

„Die Ermittlungen werde ich selbst führen“

Doch damit war die Angelegenheit für den Chef-Ermittler noch nicht beendet. Nachdem Bastrykin und Sokolow gemeinsam nach Moskau zurückgeflogen waren, wurde der Journalist von den Leibwächtern des Chef-Ermittlers in einen Wald bei Moskau gefahren. Bastrykin erklärte später, es sei nur ein „Waldrand“ gewesen. Dort kam es dann unter vier Augen zu der ungeheuerlichen Drohung, die Chefredakteur Muratow am Mittwoch in Form eines Offenen Briefes an Bastrykin bekanntmachte: „Und sie wissen, dass die harte Wahrheit dieses Mal darin besteht, dass sie in Heftigkeit meinem Stellvertreter grob mit dem Verlust des Lebens drohten. Und sie haben sogar gescherzt, in dem sie bemerkten, in diesen Fall würden sie selbst die Ermittlungen führen …“

Selbst Kreml-nahe Journalisten waren der Meinung, mit diesem Vorgehen sei die Grenze des Zulässigen überschritten. Ein Kommentator der Nachrichtenagentur Ria Novosti erklärte entweder der Chef-Ermittler trete jetzt zurück oder es gibt ein Strafverfahren gegen die Novaya Gazeta wegen Verleumdung. Der „Friedensschluss“ vom Donnerstagabend sei nicht mehr als „ein taktischer Kompromiss“.

Die Fronten laufen quer

Erstaunlich war, dass sich selbst der für seine Feindschaft gegenüber den liberalen Kritikern von Putin bekannte Journalist und Duma-Abgeordnete Aleksandr Chinschtejn hinter die Novaya Gazeta stellte. In einem flammenden Appell forderte das Mitglied der Kreml-Partei Einiges Russland, den Rücktritt des Chef-Ermittlers: „Die Abtransport von Sokolow in den Wald  - das ist eine Herausforderung  an die journalistische Gemeinschaft im Land.“

Weil sich auch Kreml-nahe Journalisten in den Konflikt einschalteten, kursiert  nun in den russischen Medien die These von einem Machtkampf zwischen dem Chef des russischen Ermittlungskomitees und dem Generalstaatsanwalt, Juri Tschaika. Fakten für diese These gibt es bisher aber nicht.

Ein weiteres Krisen-Symptom

Dass sich das Verhältnis zwischen Novaya Gazeta und Ermittlungskomitee nun entspannt, wäre zu wünschen. Denn seit sechs Jahren arbeitet man nun schon zusammen an der Aufklärung des Mordes von Anna Politkowskaja. Diese gemeinsame Arbeit wolle man fortsetzen, erklärte Chefredakteur Muratow.

Doch die politische Gesamtsituation macht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit schwierig. Noch am Tag des „Friedensschlusses“ unterstellte Bastrykin der Novaya Gazeta politische Motive, als er sagte, das Blatt habe die „Wald-Geschichte“ ganz bewusst erst nach den Hausdurchsuchungen gegen zehn führende Oppositionelle veröffentlicht. 

Eine neue Phase der Instabilität?

Die verworrene Situation um die Mord-Drohung weckt Erinnerungen an die zweite Hälfte der 1990er Jahre, als die Regierung unter Präsident Boris Jelzin durch eine Finanzkrise geschwächt war und sich die Oligarchen mit sogenannten „Informationskriegen“ gegenseitig die Hölle heiß machten.

Diesen Zustand der Instabilität beendete bekanntlich Wladimir Putin.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass nun eine neue Phase der Instabilität beginnt, denn die Opposition zeigt mit immer neuen Großdemonstrationen, dass sie einen langen Atem hat. Und sich mit Methoden der Einschüchterung nicht stoppen lässt. In Moskau finden weiter große Demonstrationen statt, trotz der Verschärfung des Demonstrationsrechtes und trotz der Hausdurchsuchungen bei Oppositionsführern.

Bisher ist unklar, wie Wladimir Putin diese neue Bewegung in den Griff bekommen will. Vermutlich besteht seine Taktik darin, sich die radikalsten Kräfte und Führungspersönlichkeiten der neuen Bewegung vorzuknöpfen, während er die große Masse als ahnungslos Verführte schont. 

Russland

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