Sibirische Tiger leben gefährlichEURASISCHE TIERWELT

Sibirische Tiger leben gefährlich

Sibirische Tiger leben gefährlich

Sie sind die größten Katzen der Erde und kennen nur einen Feind: den Menschen. Er nennt die Tiere zwar respektvoll „Herrscher der Taiga“, aber das hat ihn nicht daran gehindert, sie gnadenlos abzuschießen. Nur noch 450 Exemplare der prächtigen Raubtiere gibt es heute in ihrem angestammten Lebensraum, den Wäldern am Amur. Fur ihr Überleben kämpfen sibirische und chinesische Tierschutzer und finden inzwischen weltweite Unterstutzung.

Von Johann von Arnsberg

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Sibirischer Tiger im Schnee 

EM – Schulkinder im fernen Osten Rußlands verkleiden sich als Tiger und demonstrieren zusammen mit ihren Eltern für den Schutz der vom Aussterben bedrohten Raubkatzen. Im gesamten Gebiet von Primorje mit seiner Hauptstadt Wladiwostok gibt es regelmäßig solche „Tigeraktionen“ und „Tigertage“ an den Schulen. Damit sollen vor allem Politiker dazu bewegt werden, mehr Schutzräume für die prachtvollen Tiere auszuweisen, sowie Wilderern und illegalen Holzfällern endlich das Handwerk zu legen. Naturschutzgebiete sind für das Überleben des Sibirischen- oder Amur-Tigers die letzte Chance, seiner Ausrottung zu entgehen.

Mit Beginn der Perestroika wurden die Schutzgesetze für Tiger kaum mehr beachtet

In der Sowjetunion gab es strenge Gesetze gegen unerlaubten Holzeinschlag und zum Schutz der Tiger. Doch mit Beginn der Perestroika kümmerte sich kaum mehr jemand um diese Vorschriften. Im benachbarten China werden hohe Preise für Tigerblut und praktisch alle Körperteile der stolzen Raubkatzen gezahlt. Sie finden in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) Anwendung und dienen auch als vermeintliche Potenzmittel. Selbst im Westen wird sogenannte Tigersalbe gegen Rheuma verkauft.

Die Verschlechterung der Wirtschaftslage der Menschen führte nach dem Ende des Sowjetsystems zur massiven Bedrohung der Tigerbestände. Die Jagd auf die seltenen Großkatzen war zwar immer noch verboten, wurde aber von schlecht ausgerüsteten und bezahlten Ordnungshütern kaum mehr unter Kontrolle gehalten. Ein erlegter Tiger brachte der verarmten Bevölkerung auf einmal das vielfache eines Jahresgehaltes. Kein Wunder, daß die schwarz gestreiften Wildkatzen immer weniger wurden.

Die guten Erlöse für getötete Tiger lockten immer mehr Wilderer in die Amurwälder. Unkontrollierter Waffenbesitz nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Gesellschaftsordnung und illegal aus Japan eingeführte moderne Allradfahrzeuge erleichterten die Tigerjagd. Mitte der neunziger Jahre drohte sich eine Situation zu wiederholen, wie sie fünfzig Jahre vorher schon einmal geherrscht hatte: damals waren die Tigerbestände in Sibirien bis auf dreißig Exemplare zusammengeschossen worden. Nur dank eines 1941 erlassenen und sehr streng gehandhabten Jagdverbots der Sowjetregierung für die Großkatzen konnte seinerzeit ihre totale Ausrottung verhindert werden. Zu dieser Zeit hatte es in den an die UdSSR angrenzenden Gebieten Chinas und Koreas weit mehr Sibirische Tiger gegeben als auf sowjetischem Territorium. Heute sollen in China noch zwanzig, in Korea ganze zehn Amur-Tiger leben. Der Sibirische Tiger zählt heute zu den zehn am stärksten bedrohten Tierarten weltweit. Seit kurzem wird er nun auch in China besonders geschützt.

Die größte Katze der Welt lebt im riesigen Becken des Amurs und seiner Nebenflüsse

Der Sibirische Tiger (Panthera tigris altaica) besitzt im Winter ein auffallend langhaariges Fell und ist besonders groß und schwer. Er übertrifft an Größe sogar noch den majestätischen Löwen aus Afrika. Männliche Tiere, welche wie bei fast allen Katzenarten größer, dickköpfiger und schwerer sind als die Weibchen, können eine Kopf-Rumpflänge von knapp drei Metern erreichen. Die Schwanzlänge kann einen Meter betragen, die Schulterhöhe fast hundertzwanzig Zentimeter. In guten Jahren mit reichlich Futter können die größten Exemplare ein Gewicht von 320 Kilogramm auf die Waage bringen.

Das Hauptverbreitungsgebiet des Sibirischen Tigers war in früheren Zeiten das gesamte riesenhafte Becken des Amurflusses. Heute kommt er hauptsächlich noch in dem auf russischem Boden liegenden Sikhote-Alin Gebirge vor, das sich zwischen dem Japanischen Meer im Osten und dem Amur und dessen Nebenfluß Ussuri im Westen erstreckt. Doch ausgerechnet hier droht dem Tiger nun eine neue Gefahr. Von Chabarowsk aus, der größten Stadt am 2.800 Kilometer langen Amur, wird eine breite Autostraße gebaut, die nach Süden zum Japanischen Meer führt. Dieses gewaltige Straßenband zerschneidet viele Reviere der großen Raubkatzen.

An den vereisten Pfaden der Tiger lauern ihre Feinde

Sie bevorzugen möglichst ausgedehnte Wälder aus Nadel- und Laubbäumen, denn darin ist das Vorkommen ihrer Beutetiere Hirsch, Reh und Wildschwein besonders groß. Solche Wälder bedecken auch heute noch weite Teile der russischen Amurregion. Innerhalb dieses Lebensraums sind die einzelnen Tiger ziemlich standorttreu und halten sich oft ihr ganzes Leben lang im selben Gebiet auf.

Die Temperaturen in der Amurregion sinken in den Wintermonaten nicht selten auf Werte von minus 20 bis minus 40 Grad Celsius. Der Sibirische Tiger muß sich deshalb mit einem Phänomen auseinandersetzen, das seine südlicheren Vettern überhaupt nicht kennen: Schnee und Eis. Zwar verfügt er in Anpassung an seine nordische Heimat über ein ausgesprochen dichtes Fell, das ihn vor der klirrenden Kälte gut schützt. Mit dem Schnee hat er jedoch gewisse Schwierigkeiten, denn dieser dringt schnell zwischen seine Zehen, gefriert dort und verursacht schmerzhafte, blutende Schürfwunden. Die Großkatzen nutzen aus diesem Grund nach Möglichkeit immer wieder dieselben Pfade, auf denen der Schnee bereits festgetreten ist. So können sie sich wesentlich schneller und bequemer in ihren großen Streifrevieren umherbewegen. Allerdings birgt dieses Verhalten auch Gefahren: Wilderer lauern den Tieren an diesen Pfaden auf, um sie zu erlegen.

15 bis 20 Kilometer legt der Sibirische Tiger unter normalen Bedingungen täglich zurück. In Ausnahmesituationen können es auch mal 80 bis 100 Kilometer sein. Die meisten Wanderungen gelten der Suche nach Beutetieren. Das Territorium eines Tigers kann bis zu 3.000 Quadratkilometern groß sein. Dieses Revier teilt er meistens mit zwei Weibchen.

Der Sibirische Tiger ist wie fast alle Katzen ein klassischer Pirschjäger: Langsam und auf leisen Sohlen bewegt er sich durch sein Revier und achtet aufmerksam auf jedes Geräusch, auch auf noch so flüchtige Bewegungen in seiner Umgebung. Entdeckt er ein mögliches Opfer, so schleicht er sich in geduckter Haltung auf zehn bis fünfzehn Meter heran. In unmittelbarer Nähe des Beutetiers entfaltet er dann plötzlich seine geballte Kraft und stürzt sich mit zwei oder drei gewaltigen Sätzen auf das überraschte Tier. Mit den spitzen Krallen seiner großen Pranken packt er es, reißt es zu Boden und bricht ihm mit einem kräftigen Biß das Genick.

Tigerweibchen betreiben eine Art Geburtenkontrolle

Ausgehungert kann er bis zu 25 Kilogramm Fleisch bei einer einzigen Mahlzeit verschlingen. Experten schätzen den täglichen Energiebedarf auf rund neun Kilo. Das bedeutet, daß der Tiger im Jahr etwa 40 bis 50 Hirsche schlagen muß. Bei der Reviergröße von mehreren Tausend Quadratkilometern gefährdet das den Hirschbestand nicht. Zudem reißen Tiger auch Wildschweine. Die Beute wird versteckt, so daß der Jäger eine Woche von ihr zehren kann.

Um satt zu werden, brauchen die Tiger bei geringeren Wildbeständen zwangsläufig größere Reviere. Diese sind heute schon teilweise doppelt so groß wie noch vor 15 Jahren. Das bedeutet zusätzlichen Streß für die gewaltigen Raubtiere und auch weniger Nachwuchs. Dabei kennen Tiger so etwas wie Geburtenkontrolle. Kranke oder überzählige Junge frißt das Weibchen auf. Auf diese Weise wird der Bestand der eigenen Art reguliert.

Tierschützer sammeln weltweit für den Amur-Tiger

Jedes Jahr wird von Tierschützern weltweit rund eine Million Dollar gesammelt, um Schutzmaßnahmen für den Herrscher der Taiga zu finanzieren. Vor allem der World Wide Found for Nature (WWF) ist dabei sehr aktiv. Im Fernostbüro des WWF in Wladiwostok, das der russische Naturschutzexperte Yuri Darmann leitet, laufen die finanziellen Hilfen zusammen. Die russische Organisation „Phoenix“ koordiniert die Hilfsmaßnahmen vor Ort und hält den Kontakt zu den staatlichen Behörden.

Eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen für den Sibirischen Tiger ist die Aufstellung von Antiwildererbrigaden, zu denen jeweils zwei bis fünf Personen gehören. Sie bewachen die Reviere der Raubkatzen am Amur und seinen waldreichen Nebenflüssen. Derzeit sind 14 Antiwildererbrigaden zu Lande und auf Booten im Einsatz. Sie arbeiten eng mit der Miliz und der Forstpolizei zusammen. Zu ihren Aufgaben gehört neben dem eigentlichen Schutz des Tigers auch die Überwachung seines Lebensraums Wald. Es kommt trotzdem immer wieder zu illegalen, kaum kontrollierbaren Fällaktionen im großen Stil mit riesigen Holzerntemaschinen.

Die Naturschützer führen derzeit einen Zweifrontenkrieg im Amurgebiet: Gegen Wilderer, die Tiger jagen, und gegen Wilderer, die den Tigern die Beute wegschießen, berichtet Yuri Darmann in den IWF-Nachrichten. Die Antiwildererbrigaden hätten in letzter Zeit schon mehrfach halbverhungerte Tiger gefunden.

Bis heute stehen von den knapp 160 000 Quadratkilometern „Tigerland“ am Amur (doppelte Fläche von Österreich) erst zwölf Prozent unter strengen Schutzmaßnahmen. Allerdings werden selbst diese Maßnahmen durch die weit verbreitete Korruption im fernöstlichen Sibirien immer wieder durchbrochen.

Russland

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