Thrakien und die Thraker - alles was man wissen mussEURASIEN HISTORISCH

DIE THRAKER

Thrakien und die Thraker - alles was man wissen muss

Die Thraker gelten als eines der ältesten und größten indoeuropäischen Völker. Die neunzig thrakischen Stämme waren allerdings nie in einem großen Reich vereint. Thrakien liegt auf dem Balkan. Da die Thraker über keine eigene Schrift verfügten und keine Aufzeichnungen hinterließen, geriet ihre Kultur zeitweise sogar weitgehend in Vergessenheit. Erst in den vergangenen Jahrzehnten sind sensationelle Grabfunde bekanntgeworden, die einer staunenden Nachwelt vom Reichtum und der Kunstfertigkeit dieses Balkanvolkes berichten.

Von Hans Wagner

Thrakien ist aus dem Gedächtnis der Menschen fast verschwunden

EM – In der Antike war das Volk der Thraker nicht nur auf dem heimatlichen Balkan und in Kleinasien ein Begriff, sondern weit darüberhinaus in großen Teilen Eurasiens. Von Thrakien her sollen nach keltischen Sagen sogar die Ureinwohner Irlands, die Firbolg, auf die Grüne Insel gekommen sein – auf welchen Wegen auch immer. In unserer Zeit ist Thrakien aus dem Gedächtnis der Menschen fast vollständig verschwunden. Es gibt nur noch einen wirklich bekannten Thraker, und der trägt die Züge des Hollywoodstars Kirk Douglas. Er, ein in New York geborener Sohn kaukasischer Einwanderer mit bürgerlichem Namen Issur Danielowitsch Demsky, gab dem berühmtesten Thraker ein Gesicht: Spartakus, dem Führer des großen Sklavenaufstands im römischen Reich.

Spartakus war Gladiator. Er entkam im Jahr 73 v. Chr. zusammen mit 70 weiteren Männern aus einer Fechterschule im römischen Capua und sammelte in kurzer Zeit ein ganzes Heer entlaufener Sklaven aus vielen Teilen des Landes um sich. Spartakus entpuppte sich in der Folge als ein äußerst begabter militärischer Anführer. Mit seinen Anhängern besiegte er in den Jahren 73 bis 71 v.Chr. mehrere zur Niederschlagung des Aufstandes entsandte römische Heere. Erst als sich das Sklavenheer spaltete, konnte er durch den Prätor und Feldherrn Marcus Licinius Crassus Dives bei Paestum in Lukanien besiegt werden. Er unterlag mit seinen Leuten einer erdrückenden Übermacht. Nur wenige der Aufständischen kamen lebend davon. 6.000 gefangene Sklaven ließ Crassus entlang der Via Appia in Richtung Rom kreuzigen. Über das Schicksal des Spartakus selbst ist nichts weiter bekannt, auch die Römer waren nicht in der Lage, seine Leiche zu finden oder ihn unter den Gefangenen zu identifizieren. Damit trat der Thraker ebenso geheimnisvoll ab, wie er drei Jahre zuvor aus dem Nichts aufgetaucht war, um das sieggewohnte Rom in tiefe Verlegenheit zu stürzen.

Orpheus, Sohn des Apollon, der größte aller griechischen Sänger, war Thraker

 Das Grab des Orpheus in Thrakien
 Das Grab des Orpheus in Thrakien - in den Felsen geschlagener Sarkophag auf dem höchsten Punkt des Felsenheiligtums von Tatul, in den Rhodopen-Bergen

Ein anderer bis in unsere Zeit hinein bekannter Thraker ist die legendäre mythologische Gestalt des Orpheus. Dieser größte aller griechischen Sänger war der Überlieferung nach ein Heros und damit wohl halbgöttlicher Herkunft, wie sie den Heroen allgemein nachgesagt wurde. Er stammte aus der thrakischen Stadt Pempleia und bezauberte mit seinem Gesang und dem Spiel seiner Leier Menschen und Tiere, ja sogar Bäume und Steine. Als seine Frau Eurydike starb, bewegte seine Musik sogar den Hades, die Unterwelt dazu, die Verstorbene wieder freizugeben.

Orpheus gilt als Sohn des Gottes Apollon. Von ihm empfing er die siebensaitige Leier, ein Musikinstrument der Antike, die er um zwei Saiten erweiterte. Er begann als erster zu ihrem Klang zu singen. In der Dichtung gilt Orpheus als Erfinder des Versmaßes Hexameter. Er lehrte Wissenschaften und Künste, führte den Dyonysos-Kult bei den Thrakern ein und unterwies die Menschen darin, „die Götter nach begangenen Verbrechen zu versöhnen“, wie es in einigen griechischen Berichten über ihn heißt.

Auf Orpheus berief sich die religiöse Bewegung Orphizismus. Sie leitet auch ihren Namen von Orpheus ab. Ihre Lehre, die ab dem späten 7. Jahrhundert v. Chr. entstand und bis zum Ausgang der Antike lebendig war, erklärte ihren Anhängern die Entstehung der Welt, die Erschaffung des Menschen und sein Geschick nach dem Tode.

Die Anhänger der Mysterien des Orpheus glaubten daran, daß die Seele im Körper wie in einem Gefängnis eingeschlossen und durch Leidenschaften und Triebe an ihn gebunden sei. Deshalb müsse sich der Mensch durch Askese einer Reinigung unterziehen. Dazu gehörte der Verzicht auf den Verzehr von Fleisch und das Schlachten von Tieren. Orphiker gelten als die Ur-Erfinder des Joghurts. Viele von ihnen trugen Kleider aus Hanf. Ähnlich wie die Inder in der buddhistischen Lehre sahen die Orphiker im Dasein eine abzubüßende Strafe und hingen der Lehre von der Seelenwanderung an. Sie glaubten auch an eine Ursünde des Menschen. Und wie die buddhistischen Inder gingen sie davon aus, daß man durch ein frommes und reines Leben dem Kreislauf der Wiedergeburten entkommen könne.

Gladiatoren, Asterix-Figuren und goldene Königsmasken

Der Heidelberger Professor Angelos Chaniotis, Direktor des Seminars für Alte Geschichte und Prorektor der Universität Heidelberg, entdeckte ganz eigene Spuren von den Thrakern: Im Theater der einstigen Römerstadt Aphrodisias. Die Metropole der Aphrodite in Kleinasien galt vom späten ersten Jahrhundert v. Chr. bis zum siebten Jahrhundert n. Chr. als eine der wichtigsten Städte Kleinasiens. Ab dem Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr. war sie die Hauptstadt der römischen Provinz Karien. Hier fand Professor Chaniotis in Stein gemeißelt das Abbild eines Gladiators mit einem kleinen runden Schild und einer Inschrift, die den Mann als „Thrax“ bezeichnet, als „Thraker“. Chaniotis weist darauf hin, daß die Thraker als Gladiatoren an ihren kleinen runden Schilden zu erkennen seien.

Den Thrakern wurde auch die zweifelhafte Ehre zuteil, als Figuren in diversen Asterix-Abenteuern aufzutreten. So in „Asterix als Gladiator“, wo ein Thraker mit einem Wortspiel aufs Kreuz gelegt wird, der dann bei Cäsar um Gnade bettelt. In „Die Lorbeeren des Cäsar“ werden rostfreie Thraker auf dem römischen Sklavenmarkt angeboten.

Doch jenseits derartiger Kuriosa sorgen die Thraker neuerdings in unserer unmittelbaren Gegenwart für Schlagzeilen. „Königsmaske aus purem Gold“ titelte die BILD-Zeitung am 21. August 2004. Sie berichtete, wie auch einige andere Blätter, was die bulgarische Tageszeitung „Trud“ wenige Tage vorher veröffentlicht hatte: „Archäologen fanden in Bulgarien im Grab eines Thraker-Königs eine uralte Goldmaske aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Die Maske trägt die Züge eines menschlichen Gesichts und besteht aus 500 Gramm reinem Gold. Es handelt sich um die erste Thraker-Maske aus reinem Gold, die je gefunden wurde. Das Grab war mit sechs Steinplatten gesichert, jede wog zwei Tonnen.“

Reiche Grabbeigaben aus thrakischen Bestattungshügeln

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Ausschnitt aus dem Jagdfries der Hauptkammer von Aleksandrovo 

Den prunkvollen Grabbeigaben der Thraker widmet sich derzeit eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn: „Das goldene Reich des Orpheus“. Dort werden bis zu 9.000 Jahre alte Kunstwerke aus Thrakien gezeigt. Noch bis zum 28. November sind die rund 1.000 Exponate aus den Grabhügeln und versunkenen Siedlungen der Thraker zu besichtigen.

Besucher berichten, in den spärlich beleuchteten Räumen mit säulenartigen Vitrinen herrsche eine fast weihevolle Atmosphäre. Die stummen Zeugen, goldene Figuren, Trinkhörner, Zaumzeuge, Krüge aus Königs- und Heldengräbern kämen dadurch besonders gut zur Geltung. Solch goldene Grabbeigaben belegen eindrucksvoll, wie kostbar den Thrakern das Reich der Toten war.

Eines der spektakulärsten Stücke der Ausstellung überrascht den Besucher gleich am Eingang: eine ungeheuer plastisch gemalte Jagdszene aus einem Hügelgrab im Südosten Bulgariens. Künstler aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. haben sie geschaffen.

Das Bild wurde vor drei Jahren in einem Dorf bei Aleksandrovo im Südosten von Bulgarien entdeckt. Dort hatten Archäologen den Grabhügel untersucht. Er enthält eine runde Kammer von etwa drei Metern Durchmesser, in die man nur kriechend gelangen kann. Im Innern fand man den vier Meter langen Fries mit den Jagdszenen. Zentrale Figur ist ein nackter, kräftiger Mann, der mit einer Doppelaxt bewaffnet einen schwarzen Eber verfolgt. Einer seiner Hunde ist dem bereits verwundeten Tier auf den Rücken gesprungen, um sich in dessen Nacken zu verbeißen.

Die Forschung geht davon aus, daß in dieser Szene ein Mythos dargestellt wird, der für die Religion der Thraker eine herausragende Bedeutung hatte. Der nackte Mann ist dieser Deutung zufolge „Zalmoxis“, von den Griechen als „Zeus“ übersetzt. Er ist der Sohn der Großen Muttergöttin der Thraker und wird mit der Sonne assoziiert. Auch seine Doppelaxt ist ein vertrautes Sonnensymbol. Die Nacktheit des Mannes soll die überirdische, göttliche Sphäre darstellen, der er angehört. Der schwarze Eber ist nach dieser Lesart Symbol einer dunklen, irdischen Macht. Die Jagdszene beschreibt demnach, wie der Sonnengott Zeus in jedem Frühling den Winter besiegt und wie sich die Thraker den elementaren Konflikt der beiden großen Naturmächte vorgestellt haben.

Zur Zeit des frühen Thrakien stand die Fruchtbarkeit im Mittelpunkt der Religion. In speziellen Fruchtbarkeitsriten verehrten die Ackerbauern eine „Große Muttergöttin“, um gute Ernten zu erbitten. In späteren Jahrhunderten gab es bei den Griechen mit Gaja, Rhea, Kybele oder Demeter Nachfolgerinnen dieser sehr alten Göttinnenfigur.

Die Ausstellung in Bonn zeigt Werke von einer kunsthandwerklichen Meisterschaft, über die der Betrachter nur staunen kann. Die Schau entstand in Kooperation mit dem Ministerium für Kultur der Republik Bulgarien. Es werden die prachtvollen Gold- und Silberschätze dieser einzigartigen und zu Unrecht vergessenen Zivilisation in einem umfassenden kulturellen Zusammenhang präsentiert, der von der frühen Jungsteinzeit (ab etwa 7000 v. Chr.) bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. reicht.

Wo die Thraker siedelten

 Thrakien und die benachbarten Völker in Südosteuropa
 Thrakien und die benachbarten Völker in Südosteuropa

Der Balkan, das Hauptsiedlungsgebiet der Thraker, war in der Jungsteinzeit (6200 bis 2800 v. Chr.) eine der kulturell fortschrittlichsten Regionen Europas. Ab dem Ende des 7. Jahrtausends v. Chr. gab es hier große, planmäßig angelegte Siedlungen von Ackerbauern mit einer reichen Kultur. Sie gilt als der eigentliche kulturelle Kern Alteuropas.

Der ursprüngliche Lebensraum der thrakischen Stämme, von denen rund 90 namentlich bekannt sind, lag zwischen dem heutigen Istanbul und der bulgarisch-serbischen Grenze. Der Staat Bulgarien verbindet mit den Thrakern seinen Gründungsmythos. Das heutige Bulgarien war ihr Kernland. Sie siedelten in Südosteuropa und Kleinasien, vor allem in den fruchtbaren Gefilden unterhalb der hohen schneebedeckten Berge, die sich im Norden erstrecken, dem Schwarzen Meer im Osten, den Gebieten der Illyrer im Westen (Adria, Ost-Österreich, Serbien, Albanien). Ihr Gebiet lag südlich der Steppen, in denen die Skythen lebten und nördlich von Makedonien. Die Thraker gelten als eines der ältesten und größten indoeuropäischen Völker. Die thrakische Kultur ist von Beginn an geprägt durch einen regen kulturellen Austausch. Thrakien lag am Einfallstor von Asien nach Europa. Die Region wurde so nach Auffassung der Kulturwissenschaft zur Entstehungszone sämtlicher bedeutender Zivilisationen der Alten Welt. Die Kultur Thrakiens wuchs im Austausch mit den Griechen, den Persern, den Skythen und anderen eurasischen Steppenvölkern, den Kelten, den Römern und sogar mit dem ägyptischen Reich.

„Offensichtlich hat sich in den thrakischen Gebieten in Südosteuropa und Kleinasien ein Jahrtausende währender Prozeß der Indoeuropäisierung vollzogen, weswegen diese Gebiete als eine der sicheren indoeuropäischen ‚Urheimaten‘ gelten“. So heißt es bei Kalin Porozanov vom Institut für Thrakologie, Sofia, in seinem Beitrag „Indoeuropäer in Eurasien“ im Katalog der Ausstellung über die Thraker.

„Heimat schneller Rösser“ und „Mutter der Schafe“ nennt Homer Thrakien, wo kampfeslustige und gefürchtete Stämme lebten, „Lanzenträger“ und „Streitwagenkämpfer“. Dort war der rauhe Nordwind Boreas zu Hause. Die befestigten Residenzen im Zentrum des Gebiets zwischen dem Unterlauf der Donau und der Ägäis belegen, daß in der späten Bronzezeit die dort lebenden Fürsten den Herrschern mykenischer Burgen durchaus ebenbürtig waren an Macht und Reichtum.

Die Thraker besaßen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft keine eigene Schrift, standen aber in engem Kontakt zu den Griechen und ihrer Kultur. Die Sprache der Thraker ist bis heute so gut wie unbekannt. Aus einigen wenigen in griechischen Buchstaben verfaßten Inschriften hat man jedoch geschlossen, daß sie zur indogermanischen oder indoeuropäischen Sprachfamilie gehörte.

Was die Griechen über die Thraker berichten

Unter den Griechen waren die Thraker vor allem als tollkühne Meister im Nahkampf gefürchtet. Fast scheint es, als hätten sie ein heldenhaftes Sterben im Kampf geradezu gesucht, um danach einen Platz im Totenreich zu erhalten. Den aber wollten sie bis aufs Blut verteidigen. Nur so ist wohl zu erklären, warum in Bonn so viele Helme, Schwerter und Rüstungsteile aus Grabbeilagen zu sehen sind.

Zur Zeit der Hochkultur von Mykene (1400 bis 1200 v. Chr.), gegen Ende der Bronzezeit, traten die Thraker auf die historische Bildfläche. Sie wurden vom griechischen Dichter Homer als mächtige Verbündete Trojas geschildert. Homer war es im Grunde, der die Thraker durch seine Dichtung „Ilias“ ins Bewußtsein des Abendlandes befördert hat.

Homer bezeichnet das Volk im Norden, jenseits des Rhodopen-Gebirges, als erster mit dem Namen Thraker. Im 10. Gesang der Ilias schildert er, wie Odysseus den thrakischen König Rhesus erlebte:

„So sind dort eben die Thraker gesondert gekommen und liegen fern von den andern. Ihr König ist Rhesus, Eioneus Erbe. Rosse sah ich noch nie so schön und so groß wie die seinen. Weißer als Schnee und im Lauf so schnell wie eilende Winde. Kunstreich ist sein Wagen aus Gold und Silber gefertigt. Und mit gewaltigen Waffen aus Gold, man sieht sie mit Staunen, rückte er an. Fürwahr, nicht sterblichem Manne gebührt es, solche zu tragen, sie sind bestimmt für ewige Götter.“

Von den thrakischen Stämmen

Aus der Vielzahl der thrakischen Stämme ragen nur wenige besonders hervor. Zu ihnen gehören die Geten, die ab dem 6. Jahrtausend v. Chr. in den Gebieten zu beiden Seiten der unteren Donau lebten. Gegen Mitte des 1. Jahrhunderts tragen sie dann den Namen Daker. Die Bewohner der Ebene zwischen der Donau und dem Balkan sind als Myser bekannt. Die altgriechischen Autoren schildern besonders sie als legendäre Meister des Nahkampfs. Für die Römer wurden sie zu den zähesten Gegnern bei der Unterwerfung unter ihre Herrschaft.

Im westlichen Teil der Gebiete südlich der Donau, im heutigen Nordwestbulgarien und Nordostserbien lebten die Triballer. Als mächtigste Thraker südlich des Balkangebirges werden die Odrysen genannt. Sie gründeten Ende des 6., Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. zwischen den Flüssen Tundza, Mariza und dem Ägäischen Meer einen Staat. Außerdem kontrollierten sie die östlichen Rhodopen und das Stranz-Gebirge bis zur Schwarzmeerküste sowie die Ebene oberhalb des Marmarameeres.

In den inneren Gebieten der Rhodopen lebten die Bessen, die auch das zentrale Heiligtum der Thraker beherrschten, das dem Gott Dionysos geweiht war. Im Raum zwischen dem unteren Lauf von Vardar und Struma hatten sich die Edonen angesiedelt, die zu den hartnäckigsten Gegnern Athens im 5. Jahrhundert wurden.

In Anatolien errichteten die Bithynier ein unabhängiges Königreich. In den Gebieten dieser Stämme wurden die unglaublichen Schätze der thrakischen Aristokratie gefunden, die in Grabkammern und Grabhügeln den Verstorbenen mitgegeben wurden. Diese Stätten stellen den Archäologen zufolge auch gleichzeitig die hauptsächlichen Orte der thrakischen Macht dar bis zum Beginn der römischen Herrschaft.

Für die Bildung einer solchen Macht der Thraker auf dem Balkan waren die von Norden aus der Steppe eingewanderten Nomaden vor allem verantwortlich. Sie brachten neue Ideen, Produkte und handwerkliches Können mit. Diese Völkerschaften aus dem Norden vermischten sich bald mit der einheimischen Bevölkerung. So entstanden die Thraker aus der Vereinigung indoeuropäischer Reitervölker mit der bodenständigen Bevölkerung.

Die thrakische Religion vereinte nach der Einwanderung der Steppenreiter die alteuropäische Verehrung der Großen Muttergöttin mit einem Sonnenkult, der in der Person des Zagreus oder Zeus als Sohn dieser Muttergöttin personifiziert wurde. Auf dem Jagdfries von Aleksandrovo trat er besonders eindrucksvoll in Erscheinung.

Die thrakische Religion war in Geheimbünden mit strengen Riten organisiert. Sie wurde in Felsenheiligtümern, in Höhlen und auf Bergen, besonders im Rhodopen-Gebirge zwischen dem heutigen Bulgarien und Griechenland, ausgeübt.

Solche Felsdenkmäler „finden sich in Eurasien von Indien über den Kaukasus bis zum Atlantik nach Britannien, ebenso im gesamten Mittelmeerraum“, schreibt Valeria Fol vom Institut für Thrakologie in Sophia im Bonner Ausstellungskatalog.

Die reichsten Grabbeigaben finden sich im „Tal der thrakischen Könige“.

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Eindrucksvoller Grabhügel von Goljama Arsenalka Bulgarien im Thrakischen Tal der Könige 

„Die goldene Epoche Thrakiens beginnt im 7. Jahrhundert v. Chr. Thrakien wird zu einem festen Bestandteil der antiken Welt“, berichtet Kay Heymer in dem sehr schön gemachten Magazin „Vernissage“. Da es aber „nie zur Bildung eines zusammenhängenden Reiches kommt, bleibt der politische Einfluß der Thraker begrenzt“, heißt es in dem Text. Der Reichtum thrakischer Fürsten habe sich besonders in den großen Nekropolen des „Tals der thrakischen Könige“ gezeigt.

Zum Charakter und der Wildheit der Thraker wird in „Vernissage“ der griechische Dichter Archilochos zitiert, der 680 v. Chr auf der ionischen Marmorinsel Paros geboren wurde. Er sei über einen Freund, der ihn verraten hatte, so enttäuscht gewesen, daß er ihm buchstäblich die Thraker an den Hals gewünscht habe: „Schiffbruch soll er erleiden und in Salmydessa sollen ihn die Thraker holen – die mit den Haaren am Arsch. Nackt soll er vor ihnen am Boden kriechen und das Brot der Sklaven fressen...“

Herodot über die Bedeutung der Thraker

Zur Bedeutung und zur Größe des Volkes der Thraker schrieb der griechische Historiker Herodot: „Das thrakische Volk ist nach dem indischen das größte der Erde. Wäre es einig und hätte es nur einen Herrscher, so wäre es unbesiegbar und meiner Meinung nach bei weitem das mächtigste Volk, das es gibt. Aber da das unmöglich ist und gewiß niemals von ihnen erreicht werden wird, so sind sie schwach. In jeder Landschaft haben sie einen besonderen Namen, doch sind die Sitten des ganzen Volkes durchweg dieselben.“

Zu den Grabhügeln, die nun der Nachwelt so viel über die Thraker erzählen schrieb der Grieche: „Was ihre Begräbnisse betrifft, so wird der Leichnam, wenn der Tote ein reicher Mann war, drei Tage ausgestellt. Allerhand Opfertiere werden geschlachtet, und nachdem die Totenklage gehalten worden ist, wird ein Schmaus veranstaltet. Dann wird die Leiche verbrannt oder beerdigt, ein Grabhügel aufgeschüttet und ein Kampfspiel mit Kämpfen jeder Art abgehalten. Die höchsten Preise werden für den Einzelkampf je nach seiner Bedeutung ausgesetzt. Das sind die Begräbnissitten der Thraker.“

Die Thraker entwickelten für ihre Kämpfe eine besondere Form von Schild und Schwert. Das Schild war klein und rund, das Schwert wies eine gebogene Klinge auf. Pferde hatten bei ihnen einen besonders hohen Stellenwert – siehe Homer über die Rösser des Königs Rhesus - was bei der Abstammung weiter Teile des Volkes von Steppenreitern nicht verwunderlich ist. In thrakischen Fürstengräbern fand man immer wieder mitbestattete Pferde. Sie waren oft mit luxuriösem Zaumzeug aus Gold und Silber geschmückt.

Geschichtliche Daten über Kämpfe, Könige, Reiche und den Untergang der Thraker

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 Pegasos-Protom genannter Oberteil eines goldenen Pferdekörpers ausm bulgarischen Vazovo

Aus vielen unvollständigen Bruchstücken setzt sich die Geschichte der Thraker zusammen.

Sie werden zwar in dieser und jener Charaktereigenschaft vom griechischen Geschichtsschreiber Herodot beschrieben und sie tauchen in den Epen Homers auf. Doch letztlich bleibt die Historie der Thraker schemenhaft. Eine Art Hauptstadt soll Perinthos an der nördlichen Küste des Marmarameers gewesen sein, das zur heutigen Türkei gehört.

Die Thraker waren aus dem Dunkel der Geschichte aufgetaucht, um tausend Jahre später als tributpflichtige Vasallen der Römer und schließlich als römische Provinz zu enden. Von großen Reichen der Thraker ist nicht zu berichten. Sie kämpften – wie Spartakus – furchtlos, aber letztlich fruchtlos. Es fehlte ihnen das Zeug dazu, mächtige Staaten zu gründen und ihrer Zeit den Stempel aufzudrücken. Das taten andere – ihre griechischen Nachbarn zum Beispiel.

Um 1230 v. Chr. traten die Thraker als Seevolk in Erscheinung. Sie kämpften u.a. weit vom Stammland entfernt gegen ägyptische Verbände. Zwischen dem 11. und dem 10. Jahrhundert v. Chr. gab es sogar so etwas wie eine Seeherrschaft der Thraker in verschiedenen kleinasiatischen und europäischen Gewässern. Die Kykladeninsel Naxos wurde beispielsweise zuerst von den Thrakern beherrscht. 200 Jahre lang sollen sie von hier aus Piraterie betrieben haben.

Die Stadt Byzantion, gegründet um 660 v. Chr. von griechischen Einwanderern aus Megara am Saronischen Golf (40 Kilometer westlich von Athen), geht auf eine alte Siedlung der Thraker zurück. Auf thrakischem Boden also begann vor fast 2.500 Jahren die Geschichte der als Byzanz und später Konstantinopel berühmt gewordenen Residenzstadt des oströmischen Reiches.

Ein Teil der Stämme der Thraker stellte sich dem persischen Großkönig Dareios I. in den Weg, als dieser ab 519 v. Chr. gegen die Skythen zog. Sie haben ihm im Lauf der Jahre viele Schlachten geliefert und dabei nicht selten auch erhebliche Verluste unter den persischen Heeren verursacht. Im Jahre 492 aber gelang es Dareios I., die nordägäische Küste, Thrakien und Makedonien zu erobern. Die Perser nahmen auch die Kykladeninseln in Besitz.

König Sitalkes begründet ein thrakisches Reich

Zur Bildung eines eigenen thrakischen Reiches kam es nach heutiger Kenntnis nur einmal, und zwar 450 v. Chr., als der König der Odrysen, Sitalkes, einen Großteil der Thrakerstämme einigte. Insofern hatte Herodot mit seiner Beobachtung über die Uneinigkeit dieser vielen Stämme recht behalten.

Seine größte Ausdehnung fand dieses Reich um etwa 440 v. Chr., als es im Norden bis an die Donau heranreichte. Zu dieser Zeit kam es mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen Thrakern und den nördlichen Nachbarn in Skythien. Sie wurden aber bald vom Odrysen-König Sitalkes und dem skythischen König Oktamasades beigelegt. Der Fluß Istros (heutiger Name: Donau) wurde als Grenze zwischen dem Reich der Odrysen und dem der Skythen festgelegt.

Zu Beginn des Peleponnesischen Krieges zwischen dem ersten Attischen Seebund unter Athener Führung und dem Peleponnesichen Bund unter der Führung Spartas ging der odrysische König Sitalkes ein Bündnis mit Athen ein. 429 v. Chr. führte er aus dieser Bündnisverpflichtung heraus einen Feldzug gegen Makedonien und fand fünf Jahre später unter nicht vollständig geklärten Umständen den Tod. Sein Nachfolger wurde Seuthes I. Kurze Zeit später wurde das odrysische Reich bereits wieder aufgeteilt. Erst der Odrysenkönig Kotys I. konnte es im Jahr 383 v. Chr. wiederherstellen. Er wurde allerdings nach knapp dreißigjähriger Herrschaft ermordet, das Reich erneut aufgeteilt und danach nie mehr wiederhergestellt.

Etwa hundert Jahre später kam Thrakien unter die Herrschaft des makedonischen Königs Philipps II., des Vaters Alexanders des Großen. Doch weder er noch sein Sohn erlangten jemals die vollständige Kontrolle über die Thraker. Erst eine Welle von Kelteneinfällen im 2. Jahrhundert vor Christus, sowie Kämpfe mit römischen Verbänden haben der thrakischen Kultur ein Ende gemacht.

Die Kelten drangen 279 v. Chr. auf die Balkanhalbinsel vor und gründeten ein Reich in Thrakien. Hauptstadt war Tylis in der Nähe von Byzantion. Dieses Keltenreich bestand nur rund 60 Jahre. Um 213 v. Chr. wurde es von thrakischen Stämmen wieder zerstört.

Im Jahr 228 v. Chr. begann die römische Expansion nach Südosteuropa. 188 v. Chr. wurde erstmals ein römisches Heer in Kämpfe mit den thrakischen Truppen verwickelt. Weit über hundert Jahre dauerte die endgültige Niederwerfung des alten Kulturvolkes der Thraker durch Rom. Ab etwa 150 v. Chr. machten die Römer Thrakien zum tributpflichtigen Vasallenstaat. Im Jahr 45 n. Chr. wurde es dann von Kaiser Claudius endgültig zur römischen Provinz erklärt. - Später wurde Thrakien bulgarisch, dann türkisch und seit 1923 ist es zwischen Griechenland und der Türkei geteilt.

Literatur: Die Thraker, das goldene Reich des Orpheus, die Zeitschrift zur Ausstellung. Heft 15/04 der Zeitschrift VERNISSAGE (www.vernissageverlag.de)

Die Thraker, das goldene Reich des Orpheus, Ausstellungskatalog, 384 Seiten, 737 Farbabbildungen, 17 Schwarzweißabbildungen, 13 Karten. Preis der Museumsausgabe 25 EUR. Buchhandelsausgabe beim Verlag Philipp von Zabern, Mainz.

Infos zur Ausstellung hier.

Balkan Geschichte

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