Tod auf dem Prager WenzelsplatzTSCHECHIEN

Tod auf dem Prager Wenzelsplatz

Tod auf dem Prager Wenzelsplatz

Vor 40 Jahren, am 16. Januar 1969, verbrannte sich der Student Jan Palach in der tschechischen Hauptstadt um gegen die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings zu protestieren. 1989 löste die Palach-Woche die bis dahin größten Proteste gegen das kommunistische Regime aus und wurde zum Vorboten des Umsturzes, der dann im November erfolgte.

Von Andreas Wiedemann

Gedenktafel für Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz  
Gedenktafel für Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz
(Foto: Aldo Ardetti, Wikipedia)
 

A m Nachmittag des 16. Januar 1969 stand der junge Student Jan Palach auf den Stufen des Nationalmuseums in Prag, übergoss sich mit Benzin, zündete sich an und rannte brennend auf den Wenzelsplatz. Ein Mann versuchte, mit seinem Mantel die Flammen zu ersticken. Palach erlag drei Tage später im Krankenhaus seinen schweren Verbrennungen. Mit dieser Tat wollte er gegen die Entwicklung in der Tschechoslowakei nach der Niederschlagung des Prager Frühlings protestieren. In seinem Abschiedsbrief forderte er u. a. die Beseitigung der Zensur in den Medien.

Jan Palach wollte mit seiner Selbstverbrennung ein Zeichen setzen gegen die Lethargie und Hoffnungslosigkeit, die sich in der tschechoslowakischen Bevölkerung nach der Niederschlagung des Prager Frühlings verbreitet hatte. Am 21. August 1968 waren Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei einmarschiert und hatten die Reformbewegung im sozialistischen Bruderstaat niedergeschlagen. Nach anfänglichem Widerstand, Protesten und Demonstrationen gaben viele Menschen auf und passten sich den neuen Verhältnissen an. Es war der Beginn der sog. „Normalisierung“, wie die Kommunisten die Zeit nach der Niederschlagung der Reformbewegung zynisch nannten.

Jan Palach fand mehrere Nachahmer – sein Grab wurde zum Symbol

An der Beerdigung Palachs am 24. Januar 1969 in Prag nahmen fast 200.000 Menschen teil. Sie wurde zu einer riesigen stillen Demonstration. Palach fand bald darauf Nachahmer. Im Februar verbrannte sich der Student Jan Zajic, ebenfalls auf dem Wenzelsplatz. Am 4. April 1969 folgte der junge Arbeiter Evzen Plocek in Jilhava (Iglau). Diese beiden Taten riefen aber nicht mehr die Reaktion hervor, wie kurz zuvor.

Die kommunistische Parteiführung bemühte sich, Palach als einen psychisch kranken oder einen nicht aus freien Stücken handelnden Menschen darzustellen. Sie fürchtete aber, Jan Palach könnte zu einem Märtyrer für eine freie Tschechoslowakei werden. Viele Menschen besuchten in den folgenden Jahren sein Grab auf dem Olsany-Friedof in Prag, das zu einem Symbol für Freiheit und Demokratie wurde. 1973 wurde Palach deshalb auf den Friedhof der mittelböhmischen Stadt Vsetaty, dem Geburtsort von Palach, umgebettet. Dieser Friedhof stand jedes Jahr am 16. Januar unter strenger Beobachtung des Sicherheitsdienstes.

Die Erinnerung verblasste – bis sie vor 20 Jahren wieder erwachte

In den darauf folgenden Jahren wurde es aber stiller um Palach. Zwar legten jedes Jahr Menschen Blumen am Palachs Grab nieder und an der St.-Wenzels-Statue auf dem Prager Wenzelsplatz trafen sich zum Todestag Jan Palachs Regimegegner. In der Öffentlichkeit verblasste die Erinnerung an Palach aber allmählich.

Vor zwanzig Jahren wurde Palach erneut zum Symbol des Protests. Anfang Januar 1989, kündigten fünf unabhängige Bürgerinitiativen, darunter die Charta 77, für den 20. Todestag von Jan Palach einen Gedenkakt auf dem Prager Wenzelsplatz an. Die Staatsmacht reagierte mit aller Gewalt. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstranten vor. Zahlreiche Menschen wurden verhaftet, unter ihnen auch Vaclav Havel und der heutige Vizepremier für Europafragen Alexandr Vondra.

Die Menschen ließen sich nicht mehr einschüchtern

Der harte Polizeieinsatz hatte jedoch unerwartete Folgen für das Regime. Die Menschen ließen sich nicht einschüchtern. Auch an den kommenden Tagen versammelten sich Tausende auf dem Wenzelsplatz. Während der Palach-Woche, zwischen dem 15. und 20. Januar 1989, kamen täglich bis zu zehntausend Menschen auf den Prager Wenzelsplatz, um gegen die herrschenden Zustände zu demonstrieren. Auch in anderen Städten kam es zu Protesten. Sowohl die Staatsmacht als auch die Organisatoren des ursprünglich nur für einige Minuten gedachten Pietätsaktes wurden von den Ereignissen und der wachsenden Anzahl der Demonstranten überrascht. Der Direktor des Instituts zum Studium totalitärer Regime, Pavel Žaček, meint, die Palach-Woche sei eine entscheidende Wende für die Gesellschaft und das Regime gewesen. Die Palach-Woche war das Vorspiel für die Samtene Revolution im November 1989.

1990 wurde Palach wieder auf den Olsany-Friedhof in Prag gebracht, wo er heute noch liegt. Ein Jahr später erhielt er in memoriam die höchste tschechoslowakische Staatsauszeichnung, den T. G. Masaryk-Orden. Der Platz vor dem Gebäude der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität heißt heute Jan-Palach-Platz. Auf dem oberen Teil des Wenzelsplatzs findet sich eine Gedenktafel.

Die erste seriöse Buchveröffentlichung über Palach ist erschienen

40. Jahre nach seinem Tod ist die Debatte über Jan Palach, seine Tat und seine Bedeutung so intensiv wie nie zuvor. Eine Gruppe von Studenten und jungen Historikern hat gerade ein Sammelband über Jan Palach veröffentlicht. Es ist die erste seriöse Publikation über Palach überhaupt. Die Essays des Sammelbandes zeigen, dass die Sichtweisen auf Palachs Tat bei den Studenten sehr unterschiedlich sind. Einer der Mitautoren, Jakub Jares, meinte in der Wochenzeitschrift Respekt, die Gesellschaft tue sich vielleicht schwer mit Palach, weil Selbstmord meistens als eine vertane Chance gesehen wird. Jares betont, dass er Palach nicht als Vorbild oder Held betrachte. Palach sei für ihn ein einfacher Junge, mit einem außergewöhnlichen Sinn für Gerechtigkeit. Für andere ist Palachs Tat respekteinflössend aber kompliziert. Patrik Eichler, einer der Mitherausgeber, betont, dass sich alle darin einig seien, dass Palach ein Symbol für das Nicht-Resignieren ist. Im Prager Karolinum wird in dieser Woche außerdem eine Jan Palach gewidmete Ausstellung eröffnet und die Philosophische Fakultät veranstaltet ein Seminar zur Bedeutung von Palachs Tat,

Historiker haben vor kurzem zudem einen Brief Palachs gefunden. Aus dem geht hervor, dass Palach wenige Tage vor seinem Tod im Januar 1969 offenbar die Gebäude des Tschechoslowakischen Rundfunks in Prag besetzen und von dort einen Streik ausrufen wollte. In seinem Brief bat er bei den Studenten um Unterstützung für diese Aktion. Für die Historiker kam der Fund überraschend. Das Dokument zeige, dass Palachs Selbstmord keine Affekthandlung war, sondern, dass er zuvor noch andere Formen des Protestes erwogen hatte, so der Tenor.

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