09.08.2023 13:11:56
GELESEN
Von Julia Schatte
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„Trolleybus nach Osten“, Erzählungen von Ildar Abusjarow, aus dem Russischen von Hannelore Umbreit |
n Russland hat sich der Ildar Abusjarow bereits als eigenwilliger Erzähler, kontroverser Romanschriftsteller und politischer Autor einen Namen gemacht. In Nischni Nowgorod geboren, studierte er Geschichte und veröffentlichte Ende der 1990 er Jahre seine ersten Erzählungen, die inzwischen in allen wichtigen russischen Literaturzeitschriften erschienen sind. Er lebt nun - als Tatar muslimischen Glaubens – in der Nähe von Moskau und fand lebhaften Anklang in den hauptstädtischen Literaturkreisen. Dieses Jahr wurde er für die „innovative Entwicklung der Kulturtraditionen Russlands“ mit dem Neuen Puschkin-Preis ausgezeichnet.
In diesem Jahr erschien auch sein erster Erzählband im Weissbooks Verlag, in einer sehr gelungenen Übersetzung der Literaturwissenschaftlerin Hannelore Umbreit.
Im „Trolleybus nach Osten“ begegnen einander eine junge Frau und ein junger Mann in einem solchen Gefährt, das für Russland so typisch ist. Beide sind sichtbar betrunken. Beim gemeinsamen Spaziergang durch die Stadt entwickeln sie als Kontrast zu einem banalen, unästhetischen Alltag Zuneigung, vor der Wände und Mauern scheinbar auseinander weichen.
„Die Kehrseite des Dunkels“ ist die Geschichte eines blinden Musikers, der reale Sinneseindrücke durch die seine Vorstellungskraft ergänzt. Ein Stock dient ihm als Orakel. Durch morgendliche Geräusche versucht er den Ablauf des ganzen Tages zu erraten. Nach und nach entwirft er einen eigenen Mikrokosmos, der ganzheitlich und doch sehr verletzlich zugleich ist.
Im „Dschingis-Roman“ stellt sich der Erzähler als Schichi-Chutuchu vor, einem Krieger des Khans, den es nach Moskau verschlägt, in eine für ihn komplett fremde Welt. Bei deren Eroberung, der Überquerung der Flusses Itil, ragt nur der Kopf des Kriegers heraus und im erotischen Kontext – „die Zündschnur einer Bombe“. Im Bücherschrank wird das männliche Kraftelixier aufbewahrt - die getrockneten Pferdepenisse. Bei der pragmatischen Zahnärztin, die durch verzweifelte Gedankenspielerei zur geheimnisvollen „Beduinin“ wird, und dem wütenden „Berber“ fühlt sich der Erzähler gleichermaßen hilflos ausgeliefert.
Der Trolleybus, das vertraute Verkehrsmittel, taucht als Motiv in mehreren Erzählungen auf. Je nach Situation ist das Hydroelektromobil ein „ganz und gar herzloses Ding“, ein Monster, ein Pferd oder ein Schiff mit geschnitztem Kopf von Drachen oder Schlangen. Mal wird es von einem Betrunkenen, vom Blinden oder einem Verliebten betreten.
Manchmal tritt der Ich-Erzähler auch als Schriftsteller in seinen eigenen Geschichten auf. Er rezitiert Gedichte, erzählt Märchen, reale und erfundene Liebesabenteuer. Er sinniert über sein Schreiben, beschreibt die Angst vor dem leeren Blatt. Opponiert auch mal voller Idealismus gegen die Etablierten der Literaturszene, denn er sei keiner von den Barbaren, die einander auf intelligente Weise vom Buffet abdrängen.
Abusjarow spielt mit verschiedenen Realitäten, indem er sie verbindet. Diese Verflechtung hat eine kulturelle Dimension. Er beschreibt russische und eurasische, orientalische Lebensart, in die immer wieder postsowjetische Realia eingeflochten sind. So etwa das Freikaufen von Prüfungen in der Universität oder das Verhältnis der Literaturszene der Hauptstadt zu den „Prinzen der poetischen Provinz“ oder der Vergleich einer Plattenbausiedlung mit einem „Friedhof für gestrandete Schiffe“.
Für die Orte der Handlungen wählt er verschiedene Länder und Städte, vergibt an seine Protagonisten exotische Namen. Ob Mexiko, Finnland, Beirut oder Berlin - alle sind fiktiv. Immer wieder taucht die Prolomnaja-Straße auf, vielleicht ein optimistisches Sinnbild, denn „prolom“ heißt auf Russisch soviel wie „Durchbruch“.
Die verschiedenen Orte dienen nur als Kulisse der alltäglichen Gedanken und Sorgen. Sie illustrieren die Phantasie, in der Vorstellung des Lesers entsteht aber die Illusion einer Reise.
Meist ist nicht zu erahnen, wie sich die Handlung entwickeln wird. Durch unerwartete und unlogische Wendungen entsteht der Überraschungseffekt.
Fast schämt er sich über die eigene blumige Rhetorik, wundert sich über seine „Fußfälligkeit vor dem Firlefanz“. Oder er stattet dem Literaturzirkel der „Universitäts-Karawanserei“ einen Besuch ab. In seiner distanziert- ironischen Rolle als Krieger des Khans sind die Professoren für ihn Schamanen, die Mantren über Tolstoi, Dostojewskij und Pasternak anstimmen. Als Krieger des Khans kennt er diese Namen nicht, vermutet aber, dass es Götter sind.
Abusjarows Erzählungen leben von der bunten und wilden Metaphorik. Seine großzügigen und überschwänglichen Vergleiche sind eigenwillig, manchmal pathetisch- schwülstig, mal ironisch- respektlos und dann wieder romantisch- poetisch.
Die Reflexion über die Widersprüchlichkeiten der Liebe und des Schreibens verbinden die Erzählungen thematisch.
In „Trolleybus nach Osten“ ist die Liebe für den jungen, desorientierten Mann eine höhere Lebensstufe, die es zu erreichen gilt. In der Erzählung „Segelschiff des Ulyss“ ist sie die Mönchszelle des Leibes. Im „Dschingis-Roman“ lenkt die Liebe den Krieger ab, ist ein Indiz einer fremden Kultur und eine Schwäche, die es zu töten gilt. Den gequälten Patienten, der die Poliklinik als die erbarmungslose Wüste Sahara und seine Zahnärztin als zauberhafte „Beduinin“ sieht, macht sie dagegen unerwartet frei und glücklich.
Ob tatsächlich eine Annäherung passiert oder ob die Schwärmerei nur in der Phantasie lebt - die Gedanken an die Liebe leuchten in Abusjarows Erzählungen optimistisch. Nicht weil er die Liebe verklärt, sondern weil sie stets eine Überraschung ist. Seine Erkenntnis scheint nicht neu zu sein, doch der Weg dazu originell. Die Eroberung der Literatur als auch der Frauen sei nämlich nach wie vor ein Geheimnis.
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Rezension zu: „Trolleybus nach Osten“, Erzählungen von Ildar Abusjarow, aus dem Russischen von Hannelore Umbreit, Weissbooks Verlag, Frankfurt 2011, 213 Seiten, 19,80 Euro, ISBN-13: 978-3940888112.
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