Unglücksschiff „Bulgaria“ wird zerlegtSCHIFFSKATASTROPHE

Unglücksschiff „Bulgaria“ wird zerlegt

Die mit 201 Menschen an Bord gesunkene „Bulgaria“ ist ein exemplarisches Beispiel für den Zustand der russischen Verkehrsinfrastruktur. Nicht einmal SOS konnte das marode Schiff noch senden.

Von Ulrich Heyden

D as am 10. Juli 2011 mit 201 Menschen an Bord auf der Wolga gesunkene Flusskreuzfahrtschiff  „Bulgaria“  wurde gehoben und auf eine Sandbank geschleppt. Zwei Wochen nachdem das Motorschiff  gekentert und untergegangen war.

Schwerlastkräne  hatten das Wrack vom Grund der Wolga an die Wasseroberfläche gehievt.  Taucher schweißten die Bullaugen zu. Das Wasser wurde aus dem Schiff gepumpt und die staatlichen Ermittler untersuchten die Unglücksursache.

Die „Bulgaria“ war bei einem Wendemanöver nahe Kasan gesunken. 79 Passagiere und Besatzungsmitglieder wurden unmittelbar nach dem Unglück von dem vorbeifahrenden Passagierschiff Arabella gerettet. 117 Menschen sind bei dem  Unglück ertrunken.

Es wurden keine Schäden gefunden

Der Sprecher des russischen Notstandsministeriums, Igor Panyschin, erklärte, Taucher hätten keine Schäden am Schiff gefunden. Unmittelbar nach der Tragödie auf dem Kujbyschewski Stausee hatten Experten die Meinung geäußert, dass der schlechte technische Zustand sowie die Überladung des Schiffes vermutlich die Ursache für das Unglück waren.

Das Schiff war nur für etwa 100 Passagiere zugelassen. An Bord befanden sich jedoch 201 Passagiere. Die Klimaanlagen unter Deck funktionierten nicht, weshalb die Bullaugen geöffnet wurden. Als dann Wind aufkam und die Besatzung zu einem Wendemanöver ansetzte, schwappte offenbar Wasser ins Schiff. Die „Bulgaria“ sank innerhalb von drei Minuten. Ein Großteil der Passagiere, unter ihnen auch viele Kinder, schafften es nicht mehr aufs Oberdeck zu kommen. Sie ertranken in den Räumen unter Deck, „wie in einer Konservenbüchse“, berichtete der Taucher Maxim Mochowikow. Am schlimmsten sei die Bergung der ertrunkenen Kinder gewesen berichteten die Taucher.

Eigentlich hatte die „Bulgaria“ schon in der Woche nach dem Untergang gehoben werden sollen. Doch die Operation wurde immer wieder verschoben. Denn man stellte fest, dass das Schiff zwei Meter tief im Schlamm lag. Dieser musste zuerst abgetragen werden. Es gab noch weitere Probleme. Bei einem ersten Hebeversuch waren die Trossen gerissen, weitere Hebeversuche scheiterten, weil Schlechtwetter aufkam.

Besatzung wartete auf Löhne

Die Betreiber der „Bulgaria“ hatten das Schiff buchstäblich zugrunde gewirtschaftet. Es wurde gespart wo es nur ging. Monatelang wurden keine Löhne bezahlt, berichteten Besatzungsmitglieder. Die letzte Generalüberholung des Schiffes lag 30 Jahre zurück. Als die „Bulgaria“ am 9. Juli zu ihrer letzten Fahrt auslief, hatte sie bereits Schlagseite und einen Motorschaden. Die Passagiere ahnten jedoch nicht, in welch schlimmem Zustand sich das Schiff tatsächlich befand. Weil die Stromversorgung ausgefallen war, konnte der Kapitän noch nicht einmal ein SOS-Signal senden. Wie sich nach dem Unglück herausstellte, hatte die „Bulgaria“ auch keine Genehmigung für die Beförderung von Passagieren.

Strafverfahren und Verhaftungen

Wie die russische Staatsanwaltschaft mitteilte, wurde gegen drei Personen Strafverfahren eingeleitet, gegen Jakow Iwaschow, einen Beamten des russischen Schiffsregisters, der die Betriebsgenehmigung für die „Bulgaria“ erteilt hatte, gegen Waleri Nesnakin, den Geschäftsführer des Eigners, der „Schiffahrtsgesellschaft Kamsk“, sowie gegen die Direktorin des Reisunternehmens ArgoRetschTur, Swetlana Injakina, welche das Schiff für die letzte Tour gemietet hatte. Außerdem wurden Strafverfahren gegen die Kapitäne von zwei Frachtschiffen eingeleitet, welche den Unglücksort passierten, ohne den Schiffbrüchigen zu helfen.

Keine neuen Schiffe seit zwanzig Jahren

Das Unglück der „Bulgaria“ hat in Russland erneut erregte Diskussionen über den Zustand von Schiffen und Flugzeugen ausgelöst. Präsident Medwedew gestand ein, dass in Russland seit zwanzig Jahren kein einziges neues Passagierschiff mehr gekauft wurde. Der Präsident forderte  betriebsuntaugliche Schiffe und Flugzeuge stillzulegen oder zu modernisieren. Die Verkehrsunternehmen in den russischen Regionen befinden sich jedoch in einem Dilemma. Sie haben kein Geld für die Erneuerung von Schiffen und Flugzeugen und wenn sie das Geld einmal hatten, wurde es schon anderweitig ausgegeben. 

„Fröhlich und mit einem großen Lächeln“

In der russischen Öffentlichkeit hat sich wegen des Zustands der Verkehrsinfrastruktur eine fatalistische Stimmung breit gemacht. Der Blogger „Maaddi“ kommentierte im LiveJournal sarkastisch. „Heute verzehrt Russland das Material und die technischen Restbestände der Sowjetunion. Die Schifffahrtsflotte wird alt, Flugzeuge fallen vom Himmel und Kabel rosten. Währenddessen bauen wir enthusiastisch, fröhlich und mit einem großen Lächeln Skolkowo“. Das Technologiezentrum Skolkowo bei Moskau soll nach den Plänen von Präsident Medwedew Russlands Silicon Valley werden.

Russland

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