„Unsere Generation wird den Start eines ersten bemannten Raumfahrzeuges der Europäer erleben!“EM-INTERVIEW

„Unsere Generation wird den Start eines ersten bemannten Raumfahrzeuges der Europäer erleben!“

„Unsere Generation wird den Start eines ersten bemannten Raumfahrzeuges der Europäer erleben!“

Seit Monaten steht das europäische Forschungslabor Columbus auf dem amerikanischen Weltraumflugplatz in Kalifornien herum. Die Technik der US-Weltraumbehörde NASA war bislang nicht in der Lage zu starten. Jetzt soll es am 7. Februar ins All gehen. Europa wünscht guten Flug für Columbus. Aber ein eigenes europäisches Raumschiff zu bauen, ist längst überfällig, sagt der Luft- und Raumfahrtexperte Peter Pletschacher im Gespräch mit dem Eurasischen Magazin. Die Technologie ist da. Mit Russland steht ein erfahrener Partner zur Verfügung. Und bei der ESA wächst ein neuer Ehrgeiz, wieder nach den Sternen zu greifen.

Von Hans Wagner

  Zur Person: Peter Pletschacher
  Peter Pletschacher ist Präsident des Luftfahrt Presseclubs e. V., des bedeutendsten Zusammenschlusses von Luft- und Raumfahrt-Journalisten und –Publizisten in Deutschland.

Außerdem ist er Inhaber des Aviatic Verlags in Oberhaching bei München, in dem die „Flugpost“, der  Informationsdienst für die Luftfahrt erscheint und darüber hinaus bedeutende Bücher zur Luft- und Raumfahrt. Brandaktuell: „Willy Messerschmitt. Zwölf Jahre Flugzeugbau im Führerstaat“ – ein Porträt des bekannten Flugzeugkonstrukteurs (Me109) und Unternehmers.

Pletschachers Verlag produziert außerdem für den Herausgeber DGLR (Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt) das gleichnamige Magazin „Luft und Raumfahrt“ und ab 2008 zum ersten Mal das „Reuss-Jahrbuch der Luft- und Raumfahrt“.
Peter Pletschacher  
Peter Pletschacher  

E urasisches Magazin: Im Dezember 2007 sollte das europäische Forschungslabor Columbus mit dem deutschen Astronauten Hans Schlegel auf dem amerikanischen Startgelände in Kalifornien abheben. Immer wieder wurde der Start mit der US-Raumfähre Atlantis wegen technischer Probleme verschoben. Nun soll am 07. Februar zur Internationalen Raumstation ISS aufgebrochen werden. Braucht Europa angesichts der Probleme mit der amerikanischen Technik ein eigenes Transportsystem für bemannte Weltraumflüge?

Peter Pletschacher: Ja natürlich, Europa braucht längst ein eigenes Transportsystem für bemannte Weltraumflüge. Die amerikanische Shuttleflotte wird ab 2010 ausgemustert und steht dann nicht mehr zur Verfügung. Das neue Orion-System der US-NASA ist für 2014/2015 angepeilt, aber ob das klappt, ist offen. In der Zeit bis dahin gibt es nur die Möglichkeit mit der russischen Sojuskapsel zur Raumstation zu fliegen. Das ist natürlich von der Kapazität her viel zu wenig, vor allem, da es ja dann auch die Amerikaner benutzen müssen, wenn sie ins All wollen. Deswegen ist in Europa eine inzwischen sehr, sehr heftige Diskussion darüber entstanden, ob nicht die europäische Weltraumbehörde ESA ein eigenes bemanntes System entwickeln sollte.

Die Russen streben eine enge Zusammenarbeit mit der europäischen Raumfahrt an

EM: Russland will als Nachfolger für seine Sojus-Raumschiffe ein neues Transportsystem für Flüge ins All bauen. An diesem CSTS - Crew Space Transportation System - genannten Raumschiff möchten sich die Europäer beteiligen. Europa hätte damit erstmals einen eigenen Zugang ins All. Und sowohl Russland als auch Europa wären damit unabhängig von den USA. Ist das die Zukunft?

Pletschacher: Die Russen sind schon sehr weit. Sie streben unübersehbar nach einer Zusammenarbeit mit den Europäern. Sie wünschen sie sich und sie hoffen auch darauf. Die Entscheidung über eine solche Partnerschaft wird aber – wenn überhaupt - erst im November fallen, denn dann findet die Tagung des Ministerrats der ESA-Staaten statt. Dabei wird grundsätzlich über die Frage entschieden werden müssen, ob Europa einen autonomen, bemannten Zugang zum All will und ob dieser im Alleingang verwirklich werden soll oder in Zusammenarbeit mit den Russen. Mit den Amerikanern geht es jedenfalls nicht, denn die haben expressis verbis erklärt, an ihrem Orion-Programm werde keine andere Nation und keine international tätige Firma beteiligt. Das wollen die USA erklärtermaßen ganz alleine verwirklichen. Europa könnte also, selbst wenn es wollte, bei Orion nicht mitmachen, und ihm bleibt deshalb die Option Russland oder der Alleingang.

EM: Heißt das, dass die USA auf dem Gebiet der Raumfahrt wieder einmal in Isolationismus verfallen, nachdem sie doch die ISS als Gemeinschaftsprojekt mit Russland und den Europäern angestrebt haben?

Pletschacher: Das ist unverkennbar. Dieser Isolationismus kehrt in einer Art Wellenbewegung immer mal wieder. In der großen Politik und eben auch in der Raumfahrt von Zeit zu Zeit. Dann heißt es bei der NASA, das schaffen wir alles alleine, wir brauchen niemand dazu. Ich halte das für einen schwerwiegenden Fehler.

EM: Und wie ist das bei den Russen?

Pletschacher: Da sieht es genau umgekehrt aus. Sie sind wesentlich aufgeschlossener. Wenn man mit Russen über Raumfahrt redet, hört man immer wieder: wir arbeiten zwar mit den Amerikanern zusammen was Raumstation, Triebwerke etc. angeht – die Amerikaner benutzen ja russische Triebwerke -, aber eigentlich würden wir mit Deutschen und Europäern viel lieber zusammenarbeiten. Für eine solche Zusammenarbeit gibt es jedoch leider noch immer nicht die nötigen Entscheidungen auf europäischer Ebene. Dabei könnte diese ungeheuer fruchtbar sein, denn die Denkweisen, die Methoden und die Philosophien der Russen sind den europäischen viel näher als den amerikanischen. Und das sollte man von Seiten Europas unbedingt nutzen.

„In der ESA, in Deutschland sogar ganz besonders, hat man Pläne für neue Mond- und Marsmissionen und auch für die bemannte Raumfahrt“

EM: 2008 sei ein entscheidendes Jahr für die europäische Raumfahrt, sagte Lois Gallois, Chef des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS vor wenigen Tagen. Man werde sehen, ob es in Europa noch eine Zukunft für die Raumfahrt gäbe. China und Japan seien schneller als die Europäer. In Europa wurde einmal die Raumfahrt begründet – gibt es heute keinen Ehrgeiz mehr, nach den Sternen zu greifen?

Pletschacher: Der Ehrgeiz der Europäer nach den Sternen zu greifen wächst wieder. In der ESA, in Deutschland sogar ganz besonders, hat man Pläne für neue Mond- und Marsmissionen und auch für die bemannte Raumfahrt.

EM: Bislang ist von diesem Ehrgeiz noch wenig zu sehen. Fehlt es Europa an finanziellen Mitteln? Oder woran liegt es, dass alles so wahnsinnig zäh läuft, ob bei Airbus, bei Galileo oder jetzt bei den angedachten Gemeinschaftsprojekten mit der erfahrenen Weltraumnation Russland?

Pletschacher:  Sowohl bei Airbus als auch bei Galileo fehlt es nicht wirklich an finanziellen Mitteln, sondern hier wurden und werden immer wieder kaum vorstellbare Managementfehler gemacht. Und die Politik der EU mit ihrer oft schwerfälligen Entscheidungsfindung hat noch ein Übriges dazu getan. Das scheint sich jetzt zu ändern. Zumindest stehen die nötigen Entscheidungen schon mal auf der Tagesordnung.

„In den Schubladen von Wissenschaftlern, von Technikern und der Industrie schlummern die tollsten Pläne. Europa und speziell Deutschland haben in den vergangenen Jahren sehr viel geforscht und entwickelt“

EM: Reichen die technologischen Fähigkeiten der europäischen Länder noch aus, um mit den führenden Weltraumnationen Schritt zu halten? Oder spielt man schon zu lange in der zweiten Reihe, um in der bemannten Raumfahrt noch aufschließen zu können oder gar an die Spitze zu gelangen?

Pletschacher: In den Schubladen von Wissenschaftlern, von Technikern und der Industrie schlummern die tollsten Pläne. Europa und speziell Deutschland haben in den vergangenen Jahren sehr viel geforscht und entwickelt. Da gab es die Vorarbeiten für die Hyperschall-Raumfahrzeuge von Prof. Eugen Sänger. Ein von der Idee her bestechendes Transportsystem, dessen Entwicklung 1995 leider eingestellt wurde. Es gab Vorarbeiten auf den Gebieten Triebwerke und Werkstoffe, Wiedereintrittstechnologien usw. Es liegen auch Vorarbeiten in der Schublade von MAN-Technologie für die Entwicklung des Raumgleiters X38, einem Rettungssystem für die Raumstation. Da haben sich MAN-Technologie und DLR außerordentlich angestrengt, neue Konzepte zu entwickeln, damals noch in Zusammenarbeit mit der NASA, die das Projekt dann leider abgebrochen hat. Die Amerikaner haben das gesamte Programm X38 von heute auf morgen gestoppt. Aber die Technologie liegt ja vor.

Europa wird ein bemanntes, rückkehrfähiges System entwickeln

EM: Um den 22. Februar herum soll das unbemannte europäische Raumfahrzeug „Jules Verne“ zu seiner ersten Mission starten und völlig selbstständig, computergesteuert an die ISS andocken.  Dieses bisher komplexeste Transportraumschiff der Europäer zeigt doch eigentlich, dass Europa immer noch die Köpfe und das Wissen hat, um international mitzuhalten. Traut man sich nicht, vor allem den USA gegenüber, das auch offen auszuspielen?

Pletschacher: Dieses Automated Transfer Vehicle (ATV) mit dem Namen „Jules Verne“ ist noch nicht rückkehrfähig. Aber in der Langfristplanung war und ist schon immer vorgesehen, daraus erstens ein rückkehrfähiges unbemanntes Raumschiff zu entwickeln, das auch in der Lage ist, Gerät von der Raumstation wieder zurückzutransportieren. Und zweitens stand auch auf der Agenda, daraus ein bemanntes rückkehrfähiges System zu entwickeln. Das heißt, dass man das ATV mit den Wiedereintrittstechnologien, die es in Deutschland und Europa gibt, in wenigen Jahren zu einem bemannten, rückkehrfähigen Raumschiff ausbauen könnte., das man dann mit der Ariane ins All schießen kann.

EM: Im Herbst 2008 soll auch die Entscheidung fallen, ob es ein europäisch-russisches Gegenprojekt zur geplanten neuen Orion-Flotte der USA geben wird. Wie ist Ihre Einschätzung – werden die Europäer den Schritt wagen?

Pletschacher: Hier kann man nur hoffen. Erstens, dass ATV funktioniert, aber davon ist wohl auszugehen. Und wenn das der Fall ist, kann man zweitens auch damit rechnen, dass Europa den USA gegenüber mehr Selbstbewusstsein entwickelt. Die Amerikaner werden das ATV dann ja auch bestimmt nutzen. Auf diese Weise wird das Selbstwertgefühl der Europäer gegenüber dem großen Bruder jenseits des Atlantiks weiter zunehmen. 

EM:. Glauben Sie daran,  dass die jetzige Generation den Start eines ersten bemannten Raumfahrzeuges der Europäer noch erlebt?

Pletschacher: Das glaube ich tatsächlich. Die Kräfte in der ESA und auch in Deutschland, die wollen, sind in den letzten zwei, drei Jahren sehr stark geworden. Wenn die Entscheidungen im Herbst auf der Ministerratssitzung der ESA-Länder dafür fallen, ist ein rückkehrfähiges System wie gesagt sehr schnell möglich.

Wo die Raumfahrt begann, droht bei einem Rückschlag die technologische Vergreisung

EM: Was würde es für den Standort Europa, für die Raumfahrt der EU bedeuten, wenn die Länder, in denen einmal das Raumfahrtzeitalter begann, ihr Geld sparen und es lieber zur Verbesserung sozialer Leistungen zur Verfügung stellen würden – wäre das der Anfang vom Ende auch einer technologischen Vergreisung?

Pletschacher: Das wäre ein gravierender Rückschlag für Forschung und Technologie in Deutschland und in Europa. Und was man da immer wieder vorbringt, dass die Mittel statt für die Raumfahrt für soziale Zwecke eingesetzt werden müssten, ist völlig verfehlt. Das eine hat mit dem andern nichts zu tun. Höchstens insofern, als dass Mittel, die nicht mehr für Bildung und Wissenschaft und Technologie zur Verfügung stehen, ein Land tatsächlich zurückwerfen. Das könnte dann schon zu einer Art technologischer Vergreisung führen mit unausdenkbaren Folgen für Wohlstand und soziale Sicherheit.

EM: Herr Pletschacher, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Europa Interview Wirtschaft

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