VW in Russland ohne ArbeitnehmervertreterWERKTÄTIGE

VW in Russland ohne Arbeitnehmervertreter

In ihren russischen Werken unterlaufen europäische Automobilfirmen EU-Standards. Bei Renault Moskau müssen die Arbeiter ihr Essbesteck von zuhause mitbringen. Volkswagen startet sein Werk in Kaluga mit Leiharbeitern.

Von Ulrich Heyden

T retet in die Gewerkschaft ein. Es ist die einzige Kraft, die Eure Interessen schützt, “ ruft Pjotr Podiwilow über eine selbstgebaute Lautsprecheranlage. Der 33jährige Qualitätskontrolleur steht vor dem Werk von Renault Moskau. Seit einem Jahr versucht er im Betrieb eine unabhängige Gewerkschaft aufzubauen. 200 Leute hat er schon zusammen. Doch die Unternehmensleitung lege ihm nur Steine in den Weg, schimpft er. Jetzt hat er sich Unterstützung geholt. Mitglieder linker Gruppen sind gekommen. Sie halten rote Fahnen hoch, Schilder für das Recht auf Streik und höhere Löhne. Arbeiter, die an einer Kundgebung vor dem Werk teilnehmen, riskieren allerdings die Kündigung, erzählt der Gewerkschaftsgründer.

Eingezogene Köpfe

Etwa 30 Leute haben sich vor der Fabrik „Aftoframos“ im Südosten Moskaus versammelt. Hier wurde früher der legendäre Kleinwagen „Moskwitsch“ gebaut. Heute gehört das Werk mit seinen 2.500 Mitarbeitern der französischen Firma Renault, die in den Riesen-Hallen eine Endmontage für den Kleinwagen „Logan“ aufgebaut hat. Die Stadt, die früher Eigentümerin der Autofabrik war, ist nur noch mit 5,9 Prozent an dem Unternehmen beteiligt. Gearbeitet wird im Drei-Schicht-Betrieb. Jährlich rollen 80.000 Kleinwagen vom Band.

Die jungen Flugblattverteiler mühen sich redlich, die Arbeiter, die zum Schichtende das Werk verlassen, in ein Gespräch zu verwickeln. Doch nur eine Handvoll Bandarbeiter bleibt stehen. Die meisten Malocher ziehen mit eingezogenem Kopf weiter. Man weiß nicht genau, ob es der Wind ist, der den Autowerkern die Schneeflocken ins Gesicht treibt oder die Angst aufzufallen, denn in Sichtweite der Gewerkschaftsaktivisten stehen zwei Autos mit heruntergelassenen Fensterscheiben. „Die filmen“, meint Dmitri (Name geändert), einer der jungen Gewerkschafter, der selbst am Band arbeitet.

Giftige Dämpfe

Dmitri geht im Monat mit 20.000 Rubel (555 Euro) nach Hause, 16.000 Rubel Grundlohn und 4.000 Rubel Prämie. Der 24jährige meint, für die schwere Bandarbeit sei das zu wenig. Moskau sei bekanntlich die teuerste Stadt der Welt. Aber es ist nicht nur der niedrige Lohn, über den sich Dmitri ärgert. In der Fabrik liege vieles im Argen. Die Unternehmensleitung habe die Info-Tafel der unabhängigen Gewerkschaft abgenommen. Die Arbeiter wurden zum Mittagessen aus der Kantine verbannt. Angeblich wollen die Angestellten nicht mit den Arbeitern zusammen essen. So müssen die Malocher in einem kahlen Raum, wo nur Tische, Stühle und eine Mikrowelle stehen, ihr von außerhalb angeliefertes Mittagessen einnehmen. Ihr Essbesteck müssen die Arbeiter von zuhause mitbringen.

Die Betriebsleitung vertusche Arbeitsunfälle. Als kürzlich ein Kanister mit giftigem Lösungsmittel ausgelaufen sei und sich Arbeiter mit Vergiftungserscheinungen beim Betriebsarzt gemeldet hätten, sei dieser angewiesen worden, keine Vergiftungsfälle zu registrieren, berichtet Dmitri. Renault-Sprecherin Oksana Nasarowa bestreitet den Vorwurf. Der Vorfall mit dem Lösungsmittel werde jetzt genau untersucht. Einige Arbeiter seien krankgeschrieben worden. Die unabhängige Gewerkschaft im Betrieb werde in keiner Weise behindert. Außerdem gäbe es im Unternehmen noch einen Betriebsrat.

VW-Fabrik ohne Gewerkschaft

Eigentlich sind die Bedingungen für die russischen Gewerkschaften nicht schlecht, denn der russische Automarkt boomt. Ausländische Firmen haben im Raum Moskau und St. Petersburg Produktionsstätten für die Endmontage aufgebaut. So wollen die westlichen Firmen die hohen Zölle für Import-Autos umgehen. Ford, Volkswagen, Renault, General Motors, Toyota und Nissan bauen die aus dem Ausland angelieferten Autoteile deshalb jetzt erst in Russland zum fertigen Produkt zusammen.

Renault-Gewerkschafter Podiwilow erzählt jedoch, die Unternehmensleitung wolle keine Gewerkschaften im Betrieb. „Die haben eine Anweisung aus Frankreich bekommen.“ Der russische Gewerkschaftsdachverband FNPR – die Nachfolgeorganisation der sowjetischen Gewerkschaften - scheiterte bereits bei dem Versuch, bei Renault Moskau eine Organisation aufzubauen, berichtet Viktor Gorenkow, stellvertretender Vorsitzender der russischen Automobilarbeitergewerkschaft, die dem Gewerkschafts-Dachverband FNPR angehört. „Unsere Aktivisten mussten auf Druck der Unternehmensleitung den Betrieb verlassen“. Renault-Sprecherin Oksana Nasarowa bestreitet, dass es irgendeinen Druck auf die Gewerkschafter gegeben hat. Dass der erste Versuch, eine Gewerkschaft im Betrieb zu gründen, gescheitert sei, hänge wohl mit den Gewerkschafts-Erfahrungen zusammen, die die Arbeiter in sozialistischen Zeiten gemacht hätten.

In keinem der neuen westlichen Autowerke ist es der FNPR bisher gelungen, eine Organisation aufzubauen, klagt der Chef der russischen Automobil-Arbeiter, Viktor Gorenkow, auch nicht im neuen Werk von Volkswagen. Der deutsche Konzern baut in der Stadt Kaluga, südlich von Moskau, eine Endmontage auf. Täglich werden bereits im Vierschicht-Betrieb 160 Fahrzeuge montiert. Vom Band laufen die Modelle Passat, Jetta und Skoda Octavia.

Eingehende Prüfung neuer Mitarbeiter

Die Arbeiter bei VW gehen im Monat mit umgerechnet 416 Euro nach Hause. Das VW-Werk startete mit Leiharbeitern. Wer sich bewährt, wird nach sechs Monaten übernommen, muss aber nach Angaben der russischen Gewerkschaft dann noch einmal eine Probezeit von sechs Monaten bestehen. Das Unternehmen wollte sich zu den Details dieser Regelung nicht äußern. Zur Zeit arbeiten bei VW in Kaluga 450 Mitarbeiter, knapp die Hälfte sind Leiharbeiter.

„Wir arbeiten auf der Grundlage der Sozialpartnerschaft“, stand in einem Brief der Automobilarbeitergewerkschaft AFW an Friedrich-Wilhelm Lenz, den VW-Direktor von Kaluga. Man wolle als Gewerkschaft bei Volkswagen gute Beziehungen zur Unternehmensleitung aufbauen. „Doch der Brief blieb unbeantwortet“, sagt Anatoli Sawin, AFW-Gewerkschaftssekretär, der im Ort  Kaluga ein Büro hat. „Das Unternehmen lehnt den Kontakt mit uns ab.“ VW-Sprecher Christoph Adomat widerspricht dieser Darstellung. Von Seiten der Automobilarbeitergewerkschaft habe es „weder mündlich noch schriftlich“ den Versuch einer Kontaktaufnahme gegeben.

Kontakte mit Gewerkschaften „zu gegebener Zeit“

Den Verdacht, das Weltunternehmen VW halte die Gewerkschaften im Wild-Ost-Kapitalismus auf Distanz, weisen Unternehmenssprecher Christoph Adomat und der Generalsekretär des VW-Welt-Konzernbetriebsrates, Michael Riffel, zurück. Adomat: „VW legt großen Wert auf die Wahrung von Arbeitnehmerrechten. Aus diesem Grund wird VW zu gegebener Zeit mit den russischen Gewerkschaften Gespräche führen.“ Generalsekretär Riffel erklärte, man habe ein „großes Interesse“, dass es in Kaluga einen Betriebsrat gäbe. „Wir nehmen diese Sache sehr ernst“. Die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Betriebsräten sei auch in anderen ausländischen VW-Werken, wie beispielsweise in Südafrika und Brasilien, eine Selbstverständlichkeit.

Zu dem Zeitpunkt, wo in Kaluga nur Leiharbeiter beschäftigt waren, hätte man – so Riffel - noch keinen Betriebsrat gründen können. Nun soll es aber bald losgehen. Ende Mai will der Konzernbetriebsrat in Kaluga eine Expertenkonferenz veranstalten, auf der die VW-Sozialcharta und die Mitbestimmungsvereinbarungen des Konzerns vorgestellt werden. Zu der Veranstaltung will man Gewerkschafter und Kommunalpolitiker einladen.

VW hat Großes vor. Von Kaluga aus will man den russischen Markt erobern. Arbeitsplätze in Deutschland sind angeblich nicht bedroht. Im Gegenteil: Durch die Lieferung von Einzelteilen aus dem sächsischen Zwickau, Puebla (Mexico) und Mlada Boleslav (Tschechien) in das russische Werk werden in den Herstellerländern Arbeitsplätze geschaffen, heißt es von Seiten des Konzernbetriebsrates. Doch die Zulieferung wird nur bis 2010 von Bedeutung sein. Bis dahin soll es in Kaluga die komplette Fertigungskette geben, mit Presswerk, Karrosserie-Bau und Lackiererei. Dann will man mit 3.000 Mitarbeitern 150.000 Autos im Jahr ausschließlich für den russischen Markt produzieren.

Streik der Ford-Arbeiter

Ob die Unternehmerstrategie, den Gewerkschaftsdachverband FNPR aus den neuen Autowerken rauszuhalten, klug ist, muss man bezweifeln. Denn die Lücke füllen jetzt unabhängige Gewerkschaften, die radikaler sind, als der konfliktscheue Dachverband FNPR. Bei Ford in St. Petersburg, wo jährlich 75.000 Autos der Marke Focus  vom Band laufen, machte die unabhängige Gewerkschaft landesweit von sich reden. Ende letzten Jahres setzten die Arbeiter in einem vierwöchigen Streik Lohnerhöhungen zwischen 16 und 21 Prozent und einen monatlichen Durchschnittslohn von umgerechnet 710 Euro durch. Es war tatsächlich der längste Streik seit dem Zerfall der Sowjetunion. Die Medien berichteten ausführlich. Streikführer Aleksei Etmanow wurde sogar zu einem landesweit bekannten Arbeiterhelden. Ein Grund mehr, warum Renault-Arbeiter Dmitri unerschütterlich sein Schild weiter hoch hält: „Für ein richtiges Mittagessen.“

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