13.01.2023 14:10:35
REPUBLIK MOLDAU
Von Frederik Wolf
EM – Am 27. August wird der moldauische Präsident Vladimir Voronin in Kishinev zum zwölften Mal die Feierlichkeiten des Unabhängigkeitstags der Republik Moldau (im folgenden gemäß dem offiziellen Sprachgebrauch Moldova genannt) eröffnen. Glückwunschschreiben sind jedoch weder von Seiten der westeuropäischen Staaten, noch von den unmittelbaren Nachbarn der kleinen Republik, wie Rumänien oder der Ukraine zu erwarten. Moldova, so scheint es, existiert auf der politischen Agenda nicht, oder wenn doch, dann nur als Problem, mit dessen Lösung man sich besser nicht beschäftigt, will man seinen Ruf als erfolgreicher Vermittler nicht gefährden.
Denn Moldauer zu sein bedeutet in der heutigen Zeit vor allem folgenden Problemen ausgesetzt zu sein: politische Instabilität, progressiver Ausbau einer totalitären Ordnung, ein möglicher neuer Krieg zwischen den drei Volksgruppen des Landes, komplettes wirtschaftliches Scheitern und obendrein das Fehlen auch nur einer winzigen integrativen Perspektive für die Gesellschaft.
Gleich nach der staatlichen Unabhängigkeit 1991 zerbrachen alle Träume eines friedlichen Zusammenlebens in Moldova. Östlich des Dnjestr im Gebiet Transnistrien konstituierte sich ein überwiegend aus ethnischen Russen bestehender Staat – die Pridnjestrovskaja Moldavskaja Respublika (PMR). Bis heute ist sie eine Kopie der ehemaligen Sowjetunion auf kleinstem Raum, eine rechtsstaatliche Ordnung fehlt völlig. Im Süden des Landes forderten die Gagausen, ein kleines christliches Turkvolk, weitreichende Autonomierechte. Überdies war die moldauische Bevölkerung tief gespalten über die Frage einer Wiedervereinigung mit Rumänien.
Der 1992 folgende Krieg zwischen Moldova und der PMR mit mehreren hundert Toten und 130.000 Flüchtlingen verschärfte die Lage zusätzlich und endete mit einem Status quo, der bis heute jede Entwicklung des Landes verhindert. Die PMR, unterstützt durch umfangreiche finanzielle Hilfe aus der GUS und geschützt von der 14. russischen Armee, hat durch diese Auseinandersetzung zu einer Art Identität gefunden, die von ihrer politischen Führung unter dem autokratischen Präsidenten Igor Smirnov immer wieder propagandistisch genutzt wird, um eine Lösung des Konflikts zu verhindern.
Moldova verfügt nur über wenige natürliche Bodenschätze. Die Ansiedlung von energieintensiver Schwer- und verarbeitender Industrie war und ist daher schwierig und nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten unrentabel. Als Moldova noch eine Teilrepublik der Sowjetunion war, mußten die für die Produktion benötigten Rohstoffe, sowie die für die Produktionsprozesse benötigte Energie aus anderen Teilen der Sowjetunion bezogen werden. Für die Industrieplanung in der Moldawischen SSR stellte dies jedoch kein Hindernis dar, die Versorgung mit Rohstoffen und Energie konnte gesichert werden. In erster Linie wurden somit aufwendige und energieintensive Betriebe in Moldova angesiedelt.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist Moldova diese Tatsache jedoch zum Verhängnis geworden. Rohstoffe und Energie waren nunmehr nur zu Weltmarktpreisen erhältlich, was die ohnehin selten rentable Produktion in den Betrieben und Kombinaten Moldovas gänzlich konkurrenzunfähig machte.
Schwerindustrie, sowie Kraftwerke wurden während der von der Sowjetunion forcierten Industrialisierung oftmals östlich des Dnjestr auf dem heutigen Territorium der PMR angesiedelt. Als Beispiele sind hier das moderne und konkurrenzfähige Stahlwerk in Rybniza oder das Kraftwerk „Pridnjestrove“ in Tiraspol zu nennen.
Von einer existierenden moldauischen Industrie kann heute faktisch nicht mehr gesprochen werden. Bis zu 650.000 Arbeiter suchen daher ihr Glück in westlichen Industriestaaten, was die Desintegration der Gesellschaft in einem Staat mit 4,7 Millionen Einwohnern weiter vorantreibt. Die im Land gebliebenen sind desillusioniert und ohne Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage. Das zeigt beispielsweise der von Prof. Steven White vom Forschungszentrum für staatliche Politik (Strathclyde Universität, Glasgow) veröffentlichte „Public Opinion Index“. Zwischen 60 und 70 Prozent der Befragten äußern hierin, daß sie dem Staatspräsidenten, dem Parlament und den Parteien ihres Landes nicht trauen. 39 Prozent der Umfrageteilnehmer halten es sogar für besser zum kommunistischen System zurückzukehren. Nicht minder besorgniserregend ist, daß die im Mai dieses Jahres abgehaltenen Kommunalwahlen erstmals seit 1991 von der ODIHR (Office for Democratic Institutions and Human Rights, eine Institution der OSZE) als nicht frei und fair eingestuft wurden. Mühsam erreichte Fortschritte auf dem Weg zu einer funktionierenden Demokratie werden damit gefährdet.
Ein sinnvolles Konzept, die genannten Probleme zu lösen, haben weder der moldauische Präsident Vladimir Voronin, noch sein transnistrischer Gegenspieler Igor Smirnov. Je länger der Niedergang des Landes andauert, um so mehr drängt sich der Eindruck auf, beide Seiten hätten sich in der verfahrenen Lage ganz gut eingerichtet. Bislang jedenfalls prangerte der Außenminister der PMR unerläßlich die „andauernde Genozidpolitik Moldovas“ an und vereitelte damit jeden Annäherungsversuch der beiden Landesteile. Voronins Politik beschränkte sich bisher im wesentlichen darauf, internationale Hilfsgelder einzuwerben.
Die Kosten dafür trägt auch im zwölften Jahr nach der Unabhängigkeit die Bevölkerung des Landes. Vielleicht ist das Vergessen, das über das Land hereingebrochen ist immer noch besser, als das Bewußtsein, daß sich trotz der Kenntnis der Lage niemand zum Handeln aufgefordert sieht. Ob der 27. August daher ein Grund zum Feiern ist, bleibt fraglich. Aber ein Anlaß, sich an die Vision, die zur Gründung der Republik Moldova geführt hatte, zu erinnern und daher nicht aufzugeben, ist er allemal.
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