Warmer Moskauer Atem für Londoner TraditionsblattMEDIEN

Warmer Moskauer Atem für Londoner Traditionsblatt

Mit dem Kauf des „Evening Standard“ will der russische Bankier und London-Fan, Aleksandr Lebedew, offenbar die unterkühlten britisch-russischen Beziehungen auflockern.

Von Ulrich Heyden

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iese Nachricht wühlte den britischen Blätterwald auf. Der russische Bankier und Ex-KGB-Spion Aleksandr Lebedew kaufte 75,1 Prozent des konservativen Traditionsblattes „Evening Standard“, der einzig noch verbliebenen Tageszeitung, die schwerpunktmäßig über London berichtet. Der Deal soll im Februar endgültig abgeschlossen werden. Auch den „Independent“ hat der Ex-Spion auf seinem Wunschzettel.

Der bisherige Besitzer des „Standard“, Lord Rothermere, wollte das jährlich 18  Millionen Euro Verluste einfahrende Blatt loswerden. Die Auflage ist unter anderem wegen zahlreicher kostenlos verteilter Reklame-Blätter von 500.000 auf 290.000 gesunken. Der Lord hat dem Moskauer Bankier, der von 1987 bis 1992 im Schutz der sowjetischen Botschaft in London bei der Aufklärung von Kapitalflucht-Verbrechen arbeitete, das Blatt für den symbolischen Preis von zwei Zeitungsausgaben – sprich einem Pfund Sterling – überlassen.

Lebedew, der nach seiner Arbeit für den KGB bei Banken in der Schweiz und London hospitierte, erwarb - Dank guter Beziehungen zur russischen Regierung - 1995 die National Reserve Bank. Die Bank ist Teil von Lebedews National Reserve Corporation (NRC), einer Finanzgruppe, der 28 Prozent der Fluggesellschaft Aeroflott, Aktienpakete bei Gazprom und anderen russischen Firmen gehören. Der Finanzgruppe gehören die Fluggesellschaft Blue Wings in Deutschland und Alpstream in der Schweiz. In der Forbes-Liste der reichsten Russen belegte Lebedew letztes Jahr mit 3,1 Mrd. Dollar Platz 39.

Michail Gorbatschow und Tony Blair im Beirat

Der Bankier aus Moskau bezeichnet sich in seinem Blog als „Kapitalist-Idealist“, der „sozial verantwortlich“ denkt. Lebedew ist bekennender London-Fan - seinen Sohn Jewgeni hat er an der Themse in die Schule geschickt - und er hält viel von den britischen Zeitungen. Sie seien ein gutes Mittel gegen Bürokratisierung, erklärte der Bankier. In die Berichterstattung des „Evening Standard“ wolle er sich nicht einmischen, hat Lebedew hoch und heilig versprochen, wohl aber möchte er seiner Neuerwerbung einen Beirat zur Seite stellen, dem sein Freund, Michail Gorbatschow und Tony Blair angehören sollen.

Dem 49 Jahre alten Milliardär, der aus einer Moskauer Professoren-Familie stammt und Außenwirtschaftsbeziehungen studiert hat, gehören zusammen mit Gorbatschow 49 Prozent der Kreml-kritischen Nowaja Gaseta, für die auch die 2006 ermordete Reporterin Anna Politkowskaja arbeitete. Lebedew kandidierte 2003 bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen gegen den selbstherrlichen Amtsinhaber Juri Luschkow. Dem Intellektuellen Lebedew fehlte jedoch das Volkstümliche. Deshalb erhielt er nur 12,3 Prozent. Immerhin ein Achtungserfolg.  

Lebedew plant die Gründung der „Unabhängige Demokratische Partei“

In der Finanzkrise hat der Bankier Geld verloren. Er ist jetzt aber immer noch 2,5 Mrd. Dollar schwer. Zusammen mit Michail Gorbatschow und dem liberalen Ex-Duma-Abgeordneten Wladimir Ryschkow plant Lebedew die Gründung der „Unabhängige Demokratische Partei“. Die neue Organisation, die bereits über das Internet Mitglieder sammelt, tritt ein für ein „ehrliches Wahlsystem“, „unabhängige Medien und Gerichte“ und „gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten.“ Auf Putin und Medwedew habe man „einen kritischen Blick“. Der Ton ist bewusst gemäßigt, auch in Abgrenzung zu Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, der „das Regime Putin“ mit Massendemonstrationen stürzen will.

Vor kurzem trat das neue Dreier-Gespann, Lebedew, Gorbatschow und Ryschkow mit einem Anti-Krisen-Programm an die Öffentlichkeit. In dem Programm, welches in der Moskauer Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ veröffentlicht wurde, sprechen sich die drei Politiker dagegen aus, dass „die Last der Krise von den Oligarchen auf die einfachen Leute abgewälzt wird“. Die russische Regierung habe es versäumt, die Wirtschaft strukturell umzubauen. Man gebe sich mit dem „erdichteten Modell“ einer „Energie-Supermacht“ zufrieden. Man spricht sich dafür aus, dass ausländische Firmen Aktienpakete von im Ausland verschuldeten russischen Unternehmen kaufen können.

Parteilpolitisch ist Lebedew nicht gerade sesshaft. 1997 gehörte er Zur Leitung von „Unser Haus Russland“, der Partei des damaligen Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin. Im gleichen Jahr wurde Lebedew zum stellvertretenden Vorsitzenden der ökologischen Partei „Kedr“ gewählt, die er auch finanziell unterstützte. Von 2004 bis 2007 war der Bankier Abgeordneter der Duma. Zunächst gehörte Lebedew der Fraktion der Kreml-Partei „Einiges Russland“ an, dann wechselte er zur Kreml-Partei „Gerechtes Russland“. Aus dieser Partei wurde er nach unbestätigten Angaben im letzten Jahr ausgeschlossen.

Das Einverständnis des Kremls liegt vor

Der Kauf des Evening Standard wäre eine Sensation. Denn nach der mysteriösen Vergiftung des ehemaligen KGB-Agenten Aleksandr Litwinenko im 2006 in London, ist das Verhältnis zwischen Großbritannien und Russland stark abgekühlt. Die Blair-Regierung verhinderte den Versuch von Gazprom, die britische Gasvertriebsgesellschaft Centrica zu kaufen.

Der Kauf der britischen Zeitung durch den russischen Milliardär könnte nun der Versuch sein, mehr Rationalität und etwas Wärme in die russisch-britischen Beziehungen zu bringen. Einem Bericht des Londoner Guardian zufolge, hat Lebedew sich vor seinen Kaufabsichten in Moskau abgesichert. Im Kreml sei ihm ein „ok“ signalisiert worden.

Russland

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