Wie man in die Türkei reist, sich dort zurechtfindet und heil an Körper und Geist zurückkommtAN DEN GESTADEN DER ÄGÄIS

Wie man in die Türkei reist, sich dort zurechtfindet und heil an Körper und Geist zurückkommt

Wie man in die Türkei reist, sich dort zurechtfindet und heil an Körper und Geist zurückkommt

Bericht von einer Reise an die türkische Westküste, von den Auswüchsen der „Lingua Engla“, vom alltäglichen Kampf ums Frühstück, von der Angst in einem schwarzen Müllsack zu verenden, vom Feilschen um Millionen und natürlich von der Meisterschaft der Türken im Cay-Trinken. – Eine semantische Wortklauberei.

Von Tobias Mindner

Für aus der Türkei Zurückkommende kulturschocktauglich: Kein Werks-Werbefoto von Bombardier, sondern die ganz normale Bahn  
Für aus der Türkei Zurückkommende kulturschocktauglich: Kein Werks-Werbefoto von Bombardier, sondern die ganz normale Bahn  
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rster Tag, beschreibend die selige Anreise nach dem Flugplatze Hannover mit dem zügigen Zottel, äh, zottligen Zug. Derselbige ist kostenlos für mich. Wer? Der Tag? Der auch. Aber ich meine den Zug. Und zwar deshalb, weil im Flugschein der Preis für die Zugfahrt schon inbegriffen ist. Das ist freilich auch dringend gerechtfertigt, kostet doch der Flug allein schon 90,- Euro, natürlich hin und zurück. Hätte ich hier noch mal was drauflegen müssen, um von Leipzig nach Hannover mit dem Zug zu fahren (80,20 Euro), wäre die Reise überhaupt nicht in Frage gekommen, und ich hätte statt dessen einen böswilligen Brief an die BUWUWA schreiben müssen, die Bundesaufsichtsbehörde für Wucherhandel und Warenüberteuerung, versteht sich!

Die Dame im Reisebüro hatte mir noch angeboten, die Sache doch andersrum zu sehen: eine Fahrt nach Hannover für unter 100 Euro, und mit Abstecher in die Türkei. Das sei ein Angebot, das es nicht mehr lange geben dürfte. Weil sich die Bahn das kaum leisten kann. Natürlich, Flüge könnten billiger werden. Aber ich solle auch bedenken, daß die Fluggesellschaften sich immerhin auf jeden Gast einzeln einstellen, etwas zu essen reichen und dann ja meist auch gleich noch ein Hotel mitvermitteln, also pauschale Angebote verkauften. Die Bahn hingegen stellt einfach den Zug zur Verfügung und nimmt im Zweifelsfall jeden mit! Also.

Mein Fluch ist damit quasi umsonst, und das dort gereichte Essen ein pures Extra. Aber wenn man was umsonst bekommt, argwöhnt man sofort Schlechtes. Prompt schmeckt das Essen dürftig. Ansonsten kann man nicht viele Worte darob verlieren, da weder Luftlöcher von besonderer Leere auftreten noch Triebwerksaussetzer oder Flügelbrüche; selbst der Pilot ist die ganze Zeit über angeschnallt und wird kein einziges Mal polizeilich rausgewunken.

In Antalya – wohin ich direkt geflogen bin, weil ich in Bodrum Quartier habe (das ist am anderen Ende der Türkei) – umfängt mich sofort ein warmfeuchtes Klima. Liegt wahrscheinlich an dem Brunnen, der sich inmitten der Empfangshalle dauernd übergibt. Überhaupt ist es unglaublich hell und rein hier, großzügig gebaut und von einiger Eleganz. Ein prächtiges Aushängeschild. Es heißt, Bahnhöfe und Flughäfen seien die Visitenkarten einer Stadt oder eines Landes. Nun, dann können die Türken wirklich prima Visitenkarten drucken. Alte Blender, die!

Erster Waffengang

Der freundliche und korrekte Zoll ist leicht passiert, leider nur muß ich einige Granaten und die Panzerfaust hinterlegen. Stellen sie hier selber her, und wollen deshalb keine einführen. (Bis vor wenigen Jahren sei man mit NVA-Panzern aber noch durchgekommen, wie mir Freunde erzählten.)

Da ich keine Ahnung habe, wie man vom Flughafen in die Stadt kommt, wo dieselbe überhaupt liegt und ob man unterwegs nicht weggefangen wird – wie in Deutschland überall gepredigt und von meinen Eltern zuletzt noch eingeflüstert – nehme ich sicherheitshalber ein Taxi. Leider gibt´s keines mit Panzerglas. Um nicht vom Taxifahrer in eine ferne Gegend kutschiert zu werden und dann hingerichtet, täusche ich Ortskenntnis und Entschlossenheit vor. Vor allem mein stahlharter Blick kommt mir zugute. Das Taschenmesser habe ich in der Tasche – logisch – griffbereit, mit offener Klinge. Und tatsächlich: bei erster Gelegenheit verübt der Soförs (türk.) einen Anschlag auf mich! An der zweiten Kreuzung nämlich bremst er dermaßen stark, nachdem ein Vorfahrtsberechtigter das Hupen ignoriert hat, daß mir meine Klinge ins Bein rutscht. Man arbeitet hier offenbar mit allen Tricks!

Geld habe ich schon am Flughafen getauscht. Für fünfzig Euro habe ich 28 Millionen türkische Lira erhalten; unglaublicherweise hat man mir 1,2 Millionen Lira als Gebühr abgeknöpft: Betrug im ganz großen Stil! Es ist ziemlich schwierig, mit diesen irren Summen und den tausenden Nullen auf den abgewetzten Scheinen klarzukommen. So werde ich vom Taxifahrer prompt übers Ohr gehauen (als Ausgleich für´s nicht über die Klinge springen). Sagenhafte zwölf Euro muß ich berappen für die etwa acht Kilometer lange Fahrt ins Stadtzentrum zu einer Pension, und das ist schon runtergehandelt! Vor Jahren bin ich in Istanbul für Pfennige kreuz und quer vom Bosporus zum Goldenen Horn geschaukelt worden. Jetzt also kostet das Millionen! Wollen sich wohl noch andere Hörnchen vergolden, die!

Mein Doppelzimmer in der Pension ist soweit sauber und mit Sitztoilette. Das nur auf Nachfrage gereichte Frühstück besteht erwartungsgemäß aus ein paar lausigen Tomatenscheiben, einem hartgekochten Ei sowie einer ungenießbaren, vormals weißen Scheibe, die wohl Schafskäse vorstellen soll; schweigen will ich lieber von der Butterkläglichkeit sowie der Marmeladentäuschung: selbst die winzige armenische Kirchenzwergmaus wäre jämmerlich daran verhungert oder hätte sich, bei etwas Adel, beschämt abgewendet.

Zur Nacht besorge ich mir noch ein Bier von einem der zahlreichen Kleineckenhändler, die scheinbar rund um die Uhr geöffnet haben. Eine sehr erfreuliche Tatsache. Allerdings muß man diese Dienstleistung formidabel bezahlen: ein normales Bier kostet etwa 90 Cent. Teuer für die Türkei. Zudem betrügt man mich noch ungeniert: ausnahmsweise sind die Produkte nämlich ausgepriesen – in diesem Fall mit 450.000 Lira – man verlangt aber einfach 500.000 von mir: irgendwelche Worte von "Extrabiera" fallen, und ich bin noch zu verschüchtert, um Einspruch zu erheben. Und dabei habe ich mich schon anständig und zurückhaltend, sogar mit einigen Brocken türkisch, benommen. Und werde trotzdem so dreist über den Tisch balbiert, wie es sonst nur die Tschechen fertigbringen! Das ist gemein. Kennt man hier die Genfer Konvention noch nicht? Außerdem steht das in krassem Gegensatz zu meinen Erlebnissen vor einigen Jahren in Konstantinopel, das seit kurzem Istanbul heißt, wo ich außerordentlich zuvorkommend, ehrlich und geradezu mit Liebreiz behandelt worden bin. Normalerweise ist es umgekehrt: in Großstädten wird härteres Beschiß-Quiz gespielt. Aber hier gibt es wohl mehr Deutsche, als Touristen getarnt, und sowas verdirbt meistens die Anwohner. Also nicht die Deutschen, sondern die haufenweisen Touristen. Kommt auch bei Engländern vor.

Kölnisch Wasser und ein Schlückchen Cay

Irgendwann nach dem Ausschlafen stehe ich auf, mit dem Gedanken, gemächlich zum Busbahnhof zu traben oder irgendwie dahinzukommen. Ein, zwei Stunden wird er wohl schon brauchen bis Bodrum, und vielleicht fahren nicht so viele? Glücklicherweise drücke ich dem Pensionsvater noch 200.000 Lira in die Hand, als Bakschisch – wozu in meinem Reiseführer dringend geraten wird. Prompt fragt er einen gerade mit seinem Skoda abfahrenden Menschen auf der Straße, ob der mich wohl zum Busbahnhof brächte? Prima, so bin ich drumrumgekommen, die sicherlich fünf Kilometer mit meinem schweren Rucksack erstmal zu erfragen und dann noch zu laufen oder etwa eins von den Schreckenstaxis zu nehmen. Als ich auch diesmal mein Bakschisch loswerden will, winkt der freundliche Arbeiter entschieden ab.

Der Bus nach Bodrum war acht Stunden unterwegs für 420 Kilometer. Wenig nach dem Start erhalte ich einige Spritzer Kölnisch Wasser in die Hände zur Erfrischung. Sicherlich hätte mir türkisches auch gereicht oder etwas „Fahrenheit“. Aber Köln ist ja nun mal die liebste Stadt der Türken. Darüberhinaus erhalte ich gelegentlich trotz mancher Pausen in anderen Städten und deren Busbahnhöfen oder an Raststätten kleine Gläschen Cay, also Tee, und auf meinen Wunsch auch einen Kaffee kostenlos; schließlich auch Brause. Von dieser Dienstleistung könnte sich freilich die Deutsche Bahn – neuerdings auch von sich selbst gern als „German Rail“ verspottet – ein paar Tropfen abfüllen.

Da es die Türken im Teetrinken zu großer Meisterschaft gebracht haben, haben sie auch überdiemaßen praktische Neuigkeiten eingeführt: das Wasser für den Tee ist so präpariert, daß es schon bei 61 Grad kocht. Nein, nicht Fahrenheit. Sondern Celsius. Das bedeutet, man kann den Tee aufbrühen und sofort genießen. Dieses Kunststückchen erlebe ich hier im Bus zum ersten Mal.

Auf den Stopschildern steht hier nicht etwa „Stop“, sondern „Dur“. Einerseits glaubte ich messerscharf kombinieren zu können, daß damit ein harter Halt gemeint ist, denn „Dur“ ist bekannt als hart – sowohl aus der Musik als auch vom Eierkochen mit modernem Eierkocher, auf dessen multilinguellen oder polyglotten Meßbecher unter dem deutschen „hart“ eben auch „Dur“ vermerkt ist. Nun bin ich aber im Zweifel, weil ein Freund von mir mit Nachnamen Durak heißt und genau dieses Wort mir deshalb aufgefallen ist im Türkischen, wo es laut meinem Sprachführer „Haltestelle“ heißt: mithin bezieht sich „dur“ also mehr auf den Halt statt die harte Bremsung, die ich als Entsprechung zum „Stop“ wähnte...

Freilich, dem gemeinen Türken sind diese Sprachspielchen und feinsinnigen Überlegungen zur Linguistik völlig wurscht, denn er versteht sie sowieso nicht. Das jedenfalls muß ich aus dem Verhalten der Wagenlenker entnehmen an jenem Schild.

Külögüzsszyllö am Aktivitäten Desk

´Apo´ erklärt Tugenden, Größen und Stärken Atatürks. Ohne den großen Führer geht nichts.  
´Apo´ erklärt Tugenden, Größen und Stärken Atatürks. Ohne den großen Führer geht nichts.  

Vom Busbahnhof bringt mich ein Sammeltaxi, ein Kleinbus, zu meinem Hotel, etwa sechs Kilometer weit außerhalb des Städtchens. Das Hotel ist fünfsternig und liegt auf dem Übergangspaß zu einer Halbinsel: damit zwischen zwei Buchten. Es gehört einer Schweizer Firma, die vorwiegend Deutsche, Österreicher und Schweizer zu ihren Gästen zählt. Demzufolge ist die Amtsprache hier natürlich Englisch, wie zur Zeit ja überall Mode. Der „Fairneß“ halber muß ich sagen, es werden auch viele deutsche Worte in den Sprachfluß eingebaut. Auf den schriftlichen Geboten, Hinweisen und Speisekarten unterscheidet sich die oben stehende deutsche Version von der darunter befindlichen englischen unmerklich, meist nur in den Beiwörtern; gelegentlich in den beschreibenden, selten in den Hauptwörtern. Es ist aber nicht immer unterscheidbar, ob Englisch unten steht und Deutsch darüber – Türkisch übrigens immer an letzter Stelle – wie zum Beispiel bei der Tafel an der Stelle, wo man Informationen einholen kann: oben „Information“, mittig „Information“, und unten „külögüzsszyllö“, oder so ähnlich. Ansonsten gibt es hier ein „Aktivitäten Desk“, einen "Polysportivplatz", einen „Village Pool“ und viele wunderliche Dinge mehr. Offensichtlich traut man dem Englisch der Besucher wohl doch nicht ganz über den Way, denn im Faltblatt über Sportangebote steht hinter „Mountainbike“ in Klammern „Radtouren“. Wie gesagt: das steht auf der deutschen Angebotsliste, eine englische gibt es auch. (Die identisch ist.) Aber was mache ich mich lustig? Hat jemals jemand behauptet, die Schweizer würden deutsch sprechen? Und außerdem sind sie die Mehrsprachigkeit gewöhnt, man denke nur an den englischsprachigen Teil der Schweiz.

Die sonstige Dienstbarkeit ist allerdings erste Klasse, freilich bei ebenfalls erster Kasse. Man hat sich beispielsweise lange bemüht, für mich ein Rechnerkabel aufzutreiben in den Schluchten der Techniktürme im Zimmer des EDV-Beauftragten (hier „Edp-Manager“, türkisch „Bilgi Islem Müdürü“), damit ich meine kostbaren Texte – unter anderem diesen hier – vorsichtshalber ins Weltnetz bringen könnte.

Weil die Bedingungen alles in allem hier also durchaus hinreichend dafür sind, will ich den Urlaub effektiv genießen. So viel wie möglich schlafen. Oder wenigstens immer dann, wenn ich leicht müde bin. (Es heißt, Katzen würden deshalb soviel schlafen, weil sie zu leben verstünden.) Ich will dem nächsten November zuvorkommen und vorschlafen. Doch Donnerlüttchen! Selbst die Müdigkeit, die im Alltag zu Hause so gerne steter Geselle ist, hat sich verkrümelt oder ist gar ihrerseits zu Hause geblieben! Eine ungekannte Unternehmungslust oder wenigstens Wachheit tückt mich listigerweise den ganzen Tag. Wo ich hier nun soviel ratzen könnte, wie ich wollte: niemand störte sich daran, nicht mal ich selber würde unruhig werden. Verdammt!

Spatzenfrühstück

So sitze ich, was das wenigste ist, auf der Terrasse beim Frühstück gegen zwölf und beobachte Hangspatzen. Später kann ich leider nicht frühstücken, weil jeden Tag ein Detail zum Frühstück fehlt, daß ich mir noch im zugehörigen Lädchen kaufen muß, und das schließt leider schon um 12.00 Uhr, um erst am Nachmittag wieder zu öffnen. Doch dazu später. Die Hangspatzen sitzen recht nah vor mir auf einem Bäumchen, ich glaube, einer Echten Zedernholzwurzelpalme (lat. cidre radix palmolive veritatis), und schauen mir beim Frühstück zu. Derweil ich ihnen beim Zuschauen zuschaue.

Gelegentlich fliegt einer zu mir herüber, um auf dem breiten Holzgeländer vor mir ein paar Krümel Weißbrot aufzupicken, die ich dahin gelegt habe. Es ist drollig, die lustigen kleinen Gesellen so nah, etwa in guter Armlänge, zu beobachten; freilich verkrümeln sie sich rasch wieder mit den Krümeln, denn sie können mit ihren ungleich langen Beinen kaum auf der Ebene stehen: rasch setzen sie sich wieder an einen steilen Ast.

Traditionelles Fischer-Abendessen: Bratbrasse, frische Krauthecksel, Weißbrot und Wein. Für die Touristen des 5-Sterne-Hotels  
Traditionelles Fischer-Abendessen: Bratbrasse, frische Krauthecksel, Weißbrot und Wein. Für die Touristen des 5-Sterne-Hotels
aufgehübscht.
 

Der angeführte Lebensmittelladen gehört mehr oder weniger mit zum Hotel. Er weist mehrere Seltsamkeiten auf. Unter anderem gibt es dort einen hellsehenden Strichcode-Leser – ein Gerät also, mit dem man als Kunde die zu den Waren gehörenden gefälschten Preise richtig überprüfen kann. Man hält also das Produkt mit seiner Strichkennung unter das an der Wand befestigte Gerät, wobei ein Laserstrahl das Streifenfeld abtastet und blitzschnell den überhöhten Preis preisgibt auf einer Anzeige. Ich probierte es als erstes mit französischer Butter und hatte den 200-Gramm-Würfel noch kaum in die Nähe gebracht, geschweige denn das Strichfeld nach oben gedreht, da stand auch schon der Preis auf der Anzeige! Das kann doch nicht sein! Wahrscheinlich ein Fehler, das Gerät hatte irgendwas falsch interpretiert. Ich probierte es noch mal – wieder der gleiche Effekt, wieder der gleiche Preis! Und tatsächlich: neben dem Preis steht der Name des Produkts: „beurre francais frais“. Es ist unglaublich. Vorsichtshalber nahm ich die merkwürdige Franzosenbutter nicht, sondern ehrliche türkische Magarine. Obwohl ich überzeugt bin, daß der Leser einen Laser locker hat. (Nein, nicht Sie! Der Streifenleser.)

Zum Thema Sprache fällt mir da noch was ein: warum sagt man zu einer Weltsprache „Lingua franca“, wo doch meistens damit Englisch gemeint ist und nicht französisch? Lingua Engla? Eben dieses Englisch wird erfreulicherweise von vielen Händlern in den türkischen Küstenstädtchen - also Touristengebieten – gesprochen: die deutschen Reisenden haben die Händler gut daran gewöhnt.

Tatsächlich kann man mit allen Händlern prima handeln. Was logisch ist, sonst wären es keine Händler. Mein Reiseführer hat völlig recht: man kann herrlich um Preise feilschen und kommt gelegentlich bis auf ein Fünftel des erstgenannten Preises herunter. Auf das, was man schließlich für die Ware bezahlt, hat das Feilschen freilich keinen Einfluß.

Ansonsten hat mich mein Reiseführer leider im Stich gelassen, dieses Mistvieh. Sicherlich erklärt er tausendundeine Sache zu Land und Leuten, zum Beispiel zur Sozialversicherung von türkischen Beamten. Ganz gewiß ein Muß für einen renommierten Reiseführer und zwingend für das Landesverständnis des dreiwöchigen Urlaubers. Ich werde in wenigen Tagen mehr über die Türkei wissen als über mein Vaterland, dazu ist mir nämlich leider noch kein so vernünftiger Reiseführer untergekommen. Jedoch über Sehenswürdigkeiten schweigt er sich aus. Zu diesen Themen gibt es sicherlich eine Menge Bücher, aber nun konnte ich schlecht in meinem Rucksack eine ganze Bücherei mitschleppen. Zudem ja auch ein Sprachführer noch nötig war. Kurz und gut, das nächste Mal verzichte ich ganz und kaufe mir gleich vor Ort einen sprachkundigen Einheimischen, allein schon als Träger. (Aus Anständigkeitsgründen verrate ich den Namen des Verlags des geschilderten Buches nicht; er klingt so ähnlich wie Soliflott.)

Alles in allem wird man hier als Deutscher sehr zuvorkommend behandelt. Habe ich gelesen. Und das habe historische Ursachen: erstens war Deutschland an der Zerlegung des altehrwürdigen Osmanischen Reiches am Ende des 1. Weltkriegs nicht beteiligt – vielmehr selbst Leidensgefährte eines ähnlichen Schicksals. Zweitens habe Preußen seinerzeit selbstlos beim Aufbau einer türkischen Armee geholfen. (Davon verstanden wir doch schon immer was.) Und schließlich gibt es ja mittlerweile noch die vielen Gastarbeiter in Deutschland, die ein gutes Bild vermitteln. Warum nur, warum nur lernen sie dann Englisch als erste Fremdsprache, wenn sie obendrein den Engländern aus gleichen Gründen mißtrauen? Es ist ein Jammer! Nun, wir trauen unserer Sprache ja selbst kaum und vermischen sie ständig über die Maßen mit... na ja, habe ich wohl schon gesagt.

Unterm Messer

Noch lebe ich ...  
Noch lebe ich ...  

In der nahegelegenen Stadt lasse ich es mir nicht entgehen, mich von einem der zahlreichen „Berber“, das heißt Friseur, berbern zu lassen. An jeder Straßenecke oder mittendrin befinden sich diese kleinen Lädchen, manchmal mit nur einem Waschbecken und einem Frisiersitz darinnen; in jedem Fall aber mit zwei bis vier Türken. Ich gehe also hinein, deute mit meinen sorgsam gelernten türkischen Sprachkenntnissen gestisch an, was ich will, und lasse mich nieder. Ich lehne mich zurück, worauf mir ein dickes braunes Handtuch eng um den Hals geschlungen wird, in den Kragen gesteckt und nach hinten über die Lehne geworfen. Der behäbige Barbierlehrling läßt den dicken Pinsel mit seinen wurstigen Fingern zunächst im Schaumschüsselchen kreisen, dann auf meinem Kinn. Nach dreimaliger Prozedur sind ganz tief hinten, im Schaum versteckt, noch irgendwo die Spuren meiner Augen zu erahnen. Er wartet eine Weile, tupft bald hier, bald da den Schaum noch mal mit dem Finger zurecht, streicht glatt, wischt. Nachdem der schneeweiße Schaum auch in die letzte meiner Poren gedrungen ist und ich allmählich ein seifiges Aroma im Blut habe, setzt er behutsam die Klinge an. Mir wird ganz plötzlich klar, daß ich einen großen Fehler gemacht habe! Hätte ich Bakschisch, das Trinkgeld, nicht lieber vorher schon geben sollen, und das reichlich? Hätte ich nicht wenigstens an der Rezeption Bescheid sagen können, wo ich bin? Neben mir, auf dem Nachbarsessel liegen der Fotoapparat und meine Tasche.

Bange Wange-Minuten später. Meine rechte Backe ist schon sauber, die rechte Halshälfte auch. Weiter geht es links, man will offensichtlich ganze Arbeit leisten, Ganovenehre. Und bezahlen tue ich ja dafür: ich bin überzeugt, nachdem man mir den Kehlkopf aufgeschlitzt hat, mich nach hinten in den Innenhof weggeschleift, der Geldbörse und der Uhr beraubt, halb ausgezogen und dann von dort über den Mittelsmann in einem schwarzen Sacke zur Müllhalde gebracht hat, wird der Barbiergeselle die Rasiergebühr aus meinem Portemonnaie nehmen und korrekt in die Kasse legen: Ordnung muß sein im Finanziellen. Vorerst scheinen die Details noch nicht geklärt, die linke Backe wird mit sanfter und geübter Handbewegung beschnitten; eigentlich ist es mehr ein Abkratzen der Bartstoppeln. Erstaunlich, wie zart und millimeterweise die kräftigen Finger des Schneiders den blanken Stahl über die Haut gleiten lassen können. Alles Tarnung, denke ich. Als der Schaum komplett verschwunden ist aus meinem Gesicht, will ich mich eilig nach vorne über das Becken beugen in einem Anflug von Hoffnung, um der mißlichen Haltung zu entfliehen. Doch die schwere Hand drückt mich zurück in die Lehne! Neuerlich wird eingeseift, die Prozedur beginnt von vorn. Feinschliff sozusagen.

Ich bin nicht um die Ecke gebracht worden. Entgegen meiner Erwartung ließ man mich gehen, sogar ungeschoren - nur tüchtig balbiert. Nach dem zweiten Schliff bekam ich duftendes Rasierwasser auf die Wangen geklatscht, anschließend eine Massage der Nasenwurzel und der Schläfen. Dazu braucht er also seine kräftigen Hände! Der Nacken wird einige Hände voll massiert, noch etwas Duftwasser ins Haar gesprüht und dieses gekämmt, und dann bin ich dran. Mit bezahlen. So einfach geht das.

Vom Vater der Türken

Atatürk, Atatürk. Überall Atatürk. Der türkische Staatsgründer, wie der Name schon sagt, hängt überall rum und zwar in Bildern an der Wand. Ich kenne das aus meiner Jugendzeit von zu Hause auch. Da hieß der Mann auf dem Bild allerdings Erich und war immer korrekt gekleidet, hatte einen zukunftsfrohen, freundlichen Blick und wirkte eher sachlich. Er sah auf allen Bildern gleich aus. Der hier, der Atatürk aber, sieht von Bild zu Bild heroischer aus. Mit je nach Geschmack des Bildretuscheurs mal mehr, mal weniger stahlblauen Augen blickt er heroisch – also entschlossen und intelligent – nach links oben: da ist die bessere Zukunft. (Die Zukunft ist immer oben, fast immer links.) Mal sieht er auch volkstümlich aus, hat eine Schiebermütze wie Thälmann auf dem Haupte (bei so einem großen Mann darf man nicht einfach Kopf dafür sagen!) und ein weißes Hemd an unter einem lässig geöffnetem Jackett. Meistens sind seine Augenbrauen am äußeren Ende ein wenig nach oben gezirpselt, luftig abstehend: das verleiht ihm ein besonders pfiffiges und vor allem entschiedenes Aussehen.

Am nächsten Tag gehe ich in das dem Hotel zugehörige Reisebüro, um mir meinen Bus von Bodrum nach Antalya zu besorgen. Es geht wieder heimwärts. Man ruft an bei einer der Busgesellschaften, worauf ich die Abfahrtszeit, 9.45 Uhr, mitgeteilt bekomme. Also gut! Gnadenlos werde ich morgen um sieben Uhr aufstehen, Held sein, und mich mit meinem ganzen Gepäck die unendlichen Weiten bis zur Rezeption durcharbeiten...

Das Sammeltaxi, dessen Abfahrtsplatz ich mit Müh und Not (wie einst der Erlkönig!) und im Laufschritt erreiche, fällt aus; eine halbe Stunde später, um Neun, fährt das nächste, und wirklich. Als ich in Bodrum eine Viertelstunde vor Abfahrt des Reisebusses nach Antalya ins Büro der Gesellschaft schlendere, dort „Einmal Antalya“ sage, heißt es lapidar: „Heute? Heute voll!“ Im gleichen Moment aber packt mich ein herumstehender Türke (was eine Tautologie ist, denn die Türken stehen dauernd irgendwo rum, namentlich in Büros) von hinten und zieht mich eilig zu einem der Busse, die gerade ein- oder ausparken. Blitzschnell wird mein Gepäck unten verstaut, ich kann gerade noch um Bestätigung für „7 Millionen?“ als Fahrpreis ersuchen, und schon sitze ich in den Polstern eines mir zugewiesenen Sitzes, der Bus fährt ab. Höchstens zu einem Drittel gefüllt. Die ersten 30 Kilometer fährt er mit höllischer Geschwindigkeit, sicherlich an die 26 km pro Stunde. Dann erhöht der offensichtlich das Risiko liebende Fahrer waghalsig auf das Doppelte. Unterwegs werden Gäste aufgenommen, die an geheimen Stellen an der Straße warten. Diese Stellen sind nur dem Fahrer bekannt. Und gelegentlich den Leuten, die da warten. Aber nicht immer: Manchmal werden auch ahnungslos am Straßenrand Wartende in den Bus gezerrt.

Nach einer Pause in einem Busbahnhof einer kleineren Stadt sitzt trotz mehrerer weiterer Freiplätze plötzlich ein Mann neben mir – Typ Schwerverbrecher – und macht freundliche Miene. Der muß schwul sein, denke ich bei mir. (Dummerweise hatte ich mich vorher mehrmals nach ihm umgedreht, aber lediglich, um nach anderen freien Plätzen Ausschau zu halten.) Mit dem Schwulsein seinerseits bin ich mir aber nicht mehr so sicher, als er nach fünf Minuten keinerlei Anstalten macht, seine Hand in meiner Hose kreisen zu lassen... ach, es ist schwer mit der Menschenkenntnis. Später wache ich auf, und er sitzt immer noch ganz friedlich neben mir.

„Folgen Sie dem Bus da vorn!“

Fehlt uns in Thüringen etwas: Ein paar schöne Badeteiche.  
Fehlt uns in Thüringen etwas: Ein paar schöne Badeteiche.  

An einem der Busbahnhöfe steigt die Mehrheit aus, und ich vermute, daß hier die größere Pause stattfindet. Frohgemut sause ich zu einem der zahlreichen Kioske am Rande des Busbahnhofs, um mir eine Keksrolle zu holen und auch eine kühle Bierdose. Als ich nach 1,22 Minuten zurückkehre, ist mein Bus weg. Unglaublich! DER BUS IST WEG! (Bitte laut aussprechen. Oder bei alleinigem Lesen, laut denken!) MIT ALL MEINEM GEPÄCK! Mitten allein stehe ich irgendwo in der Türkei... Ich habe lediglich noch meine Geldbörse einstecken! Ich flitze zum Büro der Busgesellschaft, mache ein paar hektische Bewegungen, und der Beamte fragt mich nach meinem Fahrschein. Da haben wir den Salat! Denn ich habe keinen – hat doch der Busbegleiter mein Geld direkt in die rechte Hosentasche gleiten lassen, und mir natürlich keinen von den kostbaren Fahrschnipseln von seinem kostbaren Fahrscheinblock abgerissen. Braucht er doch bestimmt noch. Also, ich habe keinen Fahrschein. Wie kann ich beweisen, bis Antalya bezahlt zu haben? Wie komme ich wieder zu meinem Gepäck? Gibt es mich überhaupt noch?

Der Beamte greift zum Mobiltelefon. Doch sein Fahrer im Bus hat anscheinend kein solches... oder es ausgeschaltet. So flitzt er mit mir zu einem der bereitstehenden Taxis, gibt kurze Anweisung an den hineinspringenden Fahrer, und los geht die Verfolgungsfahrt! Wie in einem amerikanischen Film! „Folgen Sie dem Bus da vorn!“ Doch da vorn ist kein Bus. Denn es wird offensichtlich eine Abkürzung gefahren. Unterwegs erreicht der Beamte doch noch per Telefon den Fahrer, schwatzt aufgeregt mit ihm, ich verstehe natürlich kein Wort. Aber ich merke, daß Vorwürfe gemacht werden. Jeden Moment wird die Miene des Beamten wechseln, denke ich, wenn der Busbegleiter durchgibt, daß ich ein Lügner bin – hätte ich denn einen Fahrschein? Und dann fliege ich in hohem Bogen aus dem Taxi!

Nach einem Kilometer tritt der Fahrer beherzt auf die Bremse, um am Rand Wartende aufzunehmen. Wieder an einer solchen Geheimstelle. Meine Bierbüchse rutscht mir aus der Hand, schmettert gegen den Fahrersitz und platzt auf, durchgeschüttelt, wie sie ist: eine Gischtwelle aus Bier macht sich auf den Rücksitzen breit. Ich kurbele die Scheibe zum Straßenrand blitzartig herunter und werfe die schäumende Büchse wie eine Granate aus dem Fenster! (Sie liegt heute noch dort, halbvoll.) Der Fahrer tut meine Entschuldigung ab, hetzt weiter, um mit den neuen Gästen und mir an einer der nächsten Kreuzungen, schon fernab der Stadt, zu halten. Der Beamte von der Reisegesellschaft stoppt ein entgegenkommendes Fahrzeug und läßt sich mit zurücknehmen – oder was auch immer, jedenfalls ist er plötzlich verschwunden. Der Taxifahrer wischt das Bier auf, die anderen Fahrgäste, zwei Frauen mit einem Kind, hantieren im Freien mit irgendwas rum, und ich stehe auf der Straße – und frage mich, was passieren wird; entweder kommt gleich der Bus, wir steigen ein, und alles ist gut. Oder... in einigen Jahren strolchen zwei finstere Halbwüchsige durch die Schluchten der öden Berge hier, um irgendwo geschmuggeltes Falschgeld aus einem Loch hinter einer modrigen Holzhütte zu holen; als einer mal etwas abseits vom kaum erkennbaren Sandpfad zum Pinkeln geht, entdeckt er eine schwarze Plastiktüte; er macht sie auf, und heraus kullert ein männlicher, verblichener Schädel samt einigen Knochen. Er wirft alles beiseite, trinkt hernach einen Schluck Raki mit seinem Kumpan, dann noch einen, und dann ist die Sache vergessen, und ich bin vergessen... Da kommt der Bus angerollt.

Der Truchseß im Bus schaut mich flüchtig und verkniffen an, als ich einsteige. Manche Fahrgäste schmunzeln. Der schwule Schwerverbrecher stellt sich nach einer Weile als Fast-Deutscher heraus. Fast heißt, daß er zwar in der Türkei geboren ist, aber seit seinem zweiten Lebensjahr in Köln wohnt – ich sehe ihm das an der Nasenspitze an. Und der Mundschenk hat ihn neben mich plaziert, weil er ebenso wie ich keinen offiziellen Fahrschein hat (sondern eben nur direkt in die Fahrertasche bezahlt hatte) und demnach auch kein festes Sitzanrecht. Trotz solcher Mauscheleien hat fast über die gesamte Zeit jeder einen Platz, es wird nur mehrmals umgeschichtet.

Eine halbe Stunde später hält der Bus an einer Hazienda oder einem Motorest, wie die gemeinen Tschechen sagen würden, und jetzt ist wirklich große Pause. Alle strömen in den Gasthof und futtern. Selbst ich traue mich schließlich heraus... und schiele beim Essen die ganze Zeit nach dem schmausenden Fahrer, und als der eine Viertelstunde später gemächlich nach seiner Geldbörse greift, spritze ich hoch und flitze in den Bus. Ich bin diesmal der Erste.

Stunden später, gegen halb acht, stehe ich auf dem Busbahnhof in Antalya. Ein Kleinbus bringt die Fernreisenden von hier in die Innenstadt – man muß nur seinen Fahrschein zur Legitimation bereithalten... Nach einer Rückfrage bei einem der anderen Mitgereisten werde ich doch mitgenommen. Der kleine Bus hält offensichtlich ganz nach Wunsch der Gäste, oder besser noch, fährt sogar nach deren Wunsch. Bloß, was ist mein Wunsch? Wohin will ich? Als Letzter schließlich lasse ich vermittels weniger gemeinsamer Englischbrocken und etwas Türkisch das Zentrum ansteuern. An einer Pension lasse ich halten. Man bietet mir ein fensterloses Zimmer gleich neben der Rezeption an, wo auf einem der drei Betten schon einer ratzt. Doch, das dritte Bett bliebe frei, die ganze Nacht sogar, das könnte ich haben! Würde auch nur, na, 10 Euro kosten. Mir kommt das irgendwie zu billig vor, ich meine, vom Preis her. Sonst ist das schon ein prima Angebot; brauche ich mir nicht erst noch umständlich Kontakte zu suchen...

In einer anderen Pangsjon hat man schließlich noch ein 4-Betten-Zimmer übrig, bei dem die restlichen drei Betten auch wirklich die Nacht über frei bleiben; das heißt, ich bin der einzige Gast mit Schlüssel für diesen Raum, und das scheint mir doch schon vortrefflich. Ich nehme es, und nehme dafür auch den Preis von 13 Euro in Kauf. Allerdings soll das mit Frühstück sein, so handele ich aus. Gut.

Neunschwänzige Peitschen und ein Bierchen mit Görhahn

Nachdem ich geduscht und meine Sachen sorgfältig verstaut habe, das heißt auf dem Bett verteilt, durchstreife ich die Stadt. In einem kleinen Restaurant, zu dem einige Stufen hinabführen, will ich mich nach einiger Zeit ausruhen, bestelle aber notwendigerweise etwas zu essen – um nicht als unhöflich zu gelten: eine Speise, die durch ein Bildchen an der Wand gekennzeichnet ist. Der Name dazu hätte wohl auch eingeborenen Türken nichts genutzt, soll es doch eine kaukasische Spezialität sein, wie ich später vom Koch erfahre. Jedenfalls ist mein Hunger mittelmäßig; ich will in erster Linie ein wenig sitzen, den Lärm der Hauptstraße genießen und mich auf den Imbiß in geraumer Zeit freuen. Doch kaum ist die Bestellung richtig ausgesprochen, steht das Mahl auch schon auf meinem Tisch! Genaugenommen sitze ich noch nicht mal richtig. Dazu lächelt der junge Kellner so charmant und stolz – es ist gewiß sein Lädchen –, daß ich nicht anders kann, als ebenfalls zu lächeln. Der junge Mann, gutaussehend, gepflegt, höflich, von athletischem Körperbau und intelligentem Blick, scheint mir so ähnlich zu sein, daß wir uns wohl recht gut verstehen könnten...

Um die Verständigung anzukurbeln, bedarf es freilich noch einer Beschwerde von mir. Denn bei der Bestellung habe ich mir zum Essenspreis noch ein Bier mit ausgehandelt; nachdem man es mir dann doch gesondert berechnen will, nörgele ich tüchtig rum. Immerhin kenne ich den Trick jetzt schon: erst allem zustimmen, später jedoch trotzdem den vollen Preis abknüpfen! Ich beharre stur, der junge Geschäftsinhaber kommt mir entgegen, und wir kommen ins weitere Gespräch. Er sei hauptberuflich Journalist mit Vorliebe für die deutsche Sprache. Na also – Gesprächsstoff genug! Entgegen meiner Erkenntnisse besteht Görhahn allerdings darauf, daß die meisten meiner Landsleute ungern Englisch sprächen... Wir einigen uns am Ende auf „egal“, weil in einer künftigen, befreiten Welt sowieso Russisch wichtigste Sprache sein wird.

Anschließend stiefeln wir zu dritt – sein Geschäftspartner und Freund noch dabei – in die Altstadt; man will mich in die wahre Szene Antalyas Einblick nehmen lassen. Ich bin diesmal auf wüste Fliegenpilzorgien und neunschwänzige Peitschen schwingende Lederdominas oder -dominanten im flammenden Schein brennender Pechfackeln eingestellt, mindestens. Es bleibt beim Bier in einer kleinen Kneipe mit angeschlossener Disko. Zu deutsch also Scheiblette. Anschließend mühe ich mich mitternächtlich noch eine Stunde durch das Wirrwarr der Gassen den Weg zu meiner Pension zu finden; eine Stunde brauche ich für die 600 Meter. Immerhin: selbst in der Nacht um zwei herrscht rege Geschäftigkeit, nicht nur in den Lokalen. Viele Lädchen sind geöffnet, zum Teil wird irgendwo in Geschäftsräumen gehobelt und gebohrt, auf der Straße werden Melonen angeboten, Wasser, Schokolade, CDs, Postkarten.

Reisomelett oder doch Dinkelbrätling?

Am nächsten Morgen klopft es bereits gegen elf barsch an der Tür: „Gölzüküsz mösülemidelü orhüny, orhüny!“ (So verstehe ich es jedenfalls.) Ich vermute, daß sich dahinter die Aufforderung verbirgt, das Zimmer zu räumen. Dafür, daß ich also gegen elf rausgeschmissen werde, erhalte ich aber wenigstens kein üppiges Frühstück – auch kein karges. Entgegen der Absprache. Bockig setze ich mich in den Hof, wo eine Russin Wäsche aufhängt, in der Hoffnung, daß man meine Meckereien ernstnimmt und mir doch etwas bereiten werde. Als ich allerdings nebenher einen Blick in das Kabuff werfen kann, das hier die Küche vorstellt, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das wirklich will. Nach einer Stunde verlasse ich dann nach nochmaligem Disput das noble Etablissement mit erhöhtem Komfort und gönne mir im benachbarten Lokal undefinierbare Maisfladen auf Empfehlung eines Deutschtürken. Können auch Reisomeletts oder Weizenkuchen oder Hafercrepes oder Dinkelbrätlinge gewesen sein. Vielleicht auch Buchweizenschnitzel oder Hirsebuletten. Es mundet jedenfalls vorzüglich. Das ist aber auch gar nicht entscheidend, denn ich erfahre weiterhin, daß dieses Lokal einem ganz berühmten Manne gehört. Zwar ist mir der Name entfallen (kann sein, daß er Öcalan hieß oder Arafat oder Jelzin, jedenfalls ein Türke), aber er ist ganz, ganz doll bekannt und beliebt. Alle sind deshalb gerne hier. Und ich bin auch hier! Ich speise hier, und zwar höchstselbst! Jawohl!

Mein freundlicher Freund seit gestern, Görhan, bringt mich dann mit Hilfe seines ebenso freundlichen Bruders und dessen Taxi zum Flughafen, nachdem wir vorher noch mal haltgemacht haben in einem Großmarkt am Rande der Stadt. Ich will hier etwas für die Lieben daheim kaufen, ein paar exotische Sachen, die man zu Hause nicht bekommt. Ich nehme also vorwiegend Bier, Kaffee und Tee mit, soweit die Füllfähigkeit des Rucksacks reicht. (Die woanders entdeckte Rosenmarmelade gibt´s hier leider nicht.) Im Ernst: der türkische Kaffee ist deutlich feiner gemahlen und schmeckt auch anders als der in Deutschland; der türkische Tee ist viel billiger als zu Hause und schmeckt ebenfalls aromatischer als der, welcher bei uns im kalten Ostfriesland angebaut wird. Und das Bier, na, das Bier ist sowieso ganz anders. Was allerdings den Tee betrifft, muß ich anmerken, daß es leider keiner von der eingangs erwähnten Sorte des bei 60 Grad siedenden und damit sofort genießbaren ist. Ach nein, das lag ja doch am Wasser? Auf der Packung dieses Tees steht sogar – wie ich später nach mühsamer Übersetzung herausfinde –, daß man ihn sogar 12 bis 15 Minuten sieden lassen müsse! Ist schon ein wundersames Land, diese Türkei! Ziemlich schleierhaft, das alles.

In aller Freundschaft

Görhan und ich versichern uns feierlich – nachdem ich das Taxi seines Bruders ordnungsgemäß bezahlt habe (also nicht das ganze Auto, sondern nur die Fahrt) – in Kürze elektronisch zu schreiben oder postalisch, anzurufen oder sonstwie unbedingt in Verbindung zu bleiben. Ich werde also Weihnachten eine Postkarte hinschicken. Vielleicht sogar schon dieses Jahr.

Am Flughafen kann ich meine Panzerfäuste wieder mitnehmen. Für meine letzten Moneten würde ich mir gerne noch in den besonders preiswerten Geschäften am Flughafen das mitnehmen, worauf ich schon lange lauere, nachdem ich es neulich in einem Laden erspäht habe: Honigmilch und Blütenpollen. Das soll jung halten, die Potenz steigern (von dieser Warte her muß ich stark aufpassen, nicht überzudosieren), dem Körper alles zuführen, was er braucht, dazu Vitamineralien und Spurenelementesoterik enthalten, leicht verdaulich sein, den Blutdruck heben oder senken je nach Bedarf, und überhaupt! Jedenfalls ganz, ganz gesund. Auf dem Beischlafzettel steht: Während eine normale Arbeitsbiene, die als Jungtier nur drei Tage mit dieser Bienenmilch, Gelee Royale, gefüttert wird, nur etwa drei Monate lebte, würde die Königin bis zu neun Monaten leben. Weil sie solange mit Bienenmilch gefüttert wird. Umgerechnet heißt das: würde ich mich dauernd nur von Bienenmilch ernähren, würde ich 210 Jahre alt werden, mindestens. Wenn ich es mir leisten könnte! Doch obschon die Geschäfte hier, wie gesagt, spottbillig sind – eine kleine Flasche Bier ist etwa zum Schnäppchenpreis von 4 Euro zu erhalten – reicht die Knete leider nicht. Ich nehme mir deshalb vor, die verbliebenen Millionenscheine dem Piloten nachher als Trinkgeld kurz vor der Landung in die Hand zu drücken, wenn er´s gut macht.

Vorerst bleibt aber das Flugzeug am Boden. Etwa zwei Stunden lang passiert nichts. Dann regt sich ein Türke mächtig auf und bezichtigt das allmählich eintrudelnde Personal an der Abfertigung der Schlamperei. Nach wildem Disput in Türkisch übersetzt er seine Worte für das deutsche Publikum und merkt an, daß es dergleichen in Deutschland nicht gäbe. Es sei kein Wunder, wenn es nicht bergauf ginge in der Türkei! Ein Wunder hingegen sei, daß sich die überwiegend deutschen Passagiere so brav verhielten und anständig und still warteten. Er jedenfalls wolle diesen Vorfall in Deutschland publik machen, um den türkischen Behörden einzuheizen. Nun, ich unterstütze hiermit sein Anliegen.

In Deutschland passieren dafür andere ungeheuerliche Dinge, die ich gleich schildern werde. Doch zunächst zum Flug. Selbiger ist ruhig und angenehm, vor allem, weil man sich in der dreireihigen und viel zu großen Maschine nach Beineslust ausstrecken kann. Am Ende teile ich mir die ganze vordere Abteilung mit zwei Flugbegleiterinnen. Leider sind die dienstlich unterwegs. Zeitweilig schaue ich auch mal nach vorne aus der Leitkabine; 2 Piloten und ein Bordingenieur sitzen hier gelangweilt herum und spielen von Zeit zu Zeit bißchen an den Hebeln und Skat. Es sieht genauso aus wie bei „Powersoft Pilot 3.08“, nur nicht ganz so echt. Angesichts dieser hohen Zahl von Fluglenkern verzichte ich darauf, das Trinkgeld loswerden zu wollen. Statt dessen hinterlasse ich meine Visitenkarte: Falls mal einer bei mir vorbeischauen will oder in der Nähe runterkommt.

Meinen Zug in Hannover verpasse ich natürlich, denn der ist pünktlich abgefahren. Genauso pünktlich, wie die S-Bahn vom Flugzeughafen zum Hauptbahnhof: 22.54 Uhr stand an der elektronischen Abfahrtsanzeige, und 22.54 Uhr fährt sie ab. Da ein Sekundenzeiger fehlt, kann ich nicht kontrollieren, ob auch hier Übereinstimmung herrscht, vermute es aber dringend. Im übrigen bin ich fast der einzige Gast in dem schätzungsweise 80 Meter langen Nahzug. Das sind so die Vergleiche, die man als erstes anstellt.

Geisterzüge auf deutschen Geleisen

Nun zu den Merkwürdigen. Es gibt bei der Deutschen Bundesbahn Geisterzüge! Züge, die auf dem bahneigenen Gleisnetz nächtlich durch Deutschland jagen, aber in keinem Fahrplan angezeigt sind! Dem Personal des Bahnhofs Hannover glückt es allerdings in dieser Nacht, eines dieser ungeheuerlichen Gefährte aufzuspüren und für Augenblicke sicht- und greifbar zu machen. Auf Gleis drei steht es! Nur vier Waggons, vorwiegend dunkelblaue Schlafwagen, eine E-Lok vornan. Drei kungelnde Schaffner vor einer Tür. Der hochgeheime Zug steht zwar nicht auf der Abfahrtstafel; auch die Auskunft weiß nicht von ihm; wohl aber der gelbe Abfahrtsplan weist ihn aus! Doch selbst hier kann man lediglich das Ziel, Prag nämlich, ablesen, aber keineswegs irgendwelche weiteren Informationen.

Meinen Berechnungen zufolge müßte der Zug jedoch über Leipzig fahren (denn er hält jedenfalls in Dresden); wenn er das tut, muß er auch in Leipzig halten, denn dort ist ja ein Kopfbahnhof. Also versuche ich, Zutritt zu erschleichen. Doch die Rechnung ist ohne die Schaffner gemacht! Drei Stück springen auf mich zu, verwehren mir das Einsteigen, niesen mich an: was mir einfallen würde? Der Zug sei von einer tschechischen Ausflugsgesellschaft gemietet; wo er langfahre, dürfe man aus Geheimhaltungsgründen nicht sagen – wenn man es denn überhaupt wüßte, außerdem ginge das so nicht - und sowieso!

Es geht nichts. Auch andere vereinzelte Menschen, etwa eine Tschechin, werden brüsk abgewiesen. So, Ordnung muß also sein in Deutschland. Mangels dieser Zugverbindung kann ich erst morgen nach Hause weiterreisen. So setze ich mich in einen Vorortzug, fahre zwei Stationen, und steige dann in einem kleinen Nest mit meinem Pamirsturmgepäck aus, gerade so, als könnte ich hier einen 8000er besteigen. Unweit der Gleise ist ein kleiner See – wie ich mir von Eingeborenen im Zug habe sagen lassen – und zu dem stolpere ich mich im Dunkeln hin; letzte Stolperschwelle ist das rechte Schienenbein eines Anglers... Dann lasse ich mich nieder, trinke ein Schlücklein, und beschließe in dusliger Stimmung, den Reisebericht hier enden zu lassen. Ohne weitere Ankündigung oder bombastisches Final. Na, ´tschuldigung!

Reise Türkei

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