Die Zukunft im Untergrund – Fiktion und RealitätMOSKAU

Die Zukunft im Untergrund – Fiktion und Realität

Die Zukunft im Untergrund – Fiktion und Realität

Wie viele andere Megastädte sieht sich die russische Hauptstadt wachsenden Verkehrsproblemen, hoher Luftverschmutzung und einem Platzdefizit ausgesetzt. Architekten und Stadtplaner stellten nun das Baukonzept einer unterirdischen Idealstadt der Zukunft vor.

Von Julia Schatte

Julia Schatte  
Julia Schatte  
  Zur Person: Julia Schatte
  Julia Schatte ist gebürtige Moskauerin. Sie studierte von 1996-2002 Ostslawistik, Politik- und Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig. Danach war sie freie Korrespondentin für den „Kommersant daily“ und wissenschaftliche Autorin für die „Zeitschrift für Kultursoziologie und die Enzyklopädie des Europäischen Ostens“.

Seit 2006 promoviert Julia Schatte über das Thema „Demokratiediskurse und politische Rhetorik in Russland“ im Fachbereich Politikwissenschaften an der Universität Frankfurt/Main.

M oskau soll unter der Erde weiter wachsen. „Im Rahmen der bautechnischen Erschließung unterirdischer Räume“ wird im Moskauer Untergrund eine ganze neue Stadt entstehen. Das verkündete der Leiter des für die Stadtplanung und Bebauungsprojekte zuständigen Forschungsinstituts (NIiPI) Sergej Tkatschenko bei einer Pressekonferenz am 30. September. Diese Vorhaben seien nicht nur eine Ausweitung bereits laufender Bauprojekte wie des Ausbaus des U-Bahnnetzes, neuer Tunnel sowie weiterer Parkhäuser und Einkaufstempel. In Zukunft soll es möglich werden, die Stadt auf schnellstem Wege zu durchqueren, und zwar ohne eine oberirdische Straße zu benutzen. Das Projekt zielt hauptsächlich auf die Lösung der von Jahr zu Jahr wachsenden Verkehrsprobleme, die nicht nur durch die 3,5Millionen Autos verursacht werden, die täglich durch Moskau rollen.

Unpraktische Verkehrsführung aus dem Mittelalter

Das ringförmige Straßensystem Moskaus beginnt mit dem Ring um den Kreml. Von innen nach außen setzt es sich mit dem Gartenring, dem dritten Ring und dem Autobahnring (MKAD) fort. Vom Kreml aus führen die Radialstraßen in alle Richtungen. Sie entstanden im späten Mittelalter und wurden früher als Handelswege genutzt.

Dieses historische Straßensystem sei jedoch unpraktisch und unbequem und nicht an die aktuelle Verkehrslage angepasst. Riesige Staus werden ein Durchqueren der Stadt schon in Kürze unmöglich machen, so die Stadtplaner. Die wachsende Einwohnerzahl, die für das Jahr 2025 auf ca. 25 Millionen geschätzt wird, verschlimmere die Lage noch weiter. Unterirdische Straßen und Wege dagegen könnten ein Idealsystem bilden, das von irdischen Transportproblemen unbelastet bliebe. Auch die hauptstädtische Luftverschmutzung hoffe man durch die Verlagerung des Verkehrs in die „Unterwelt“ zu verringern.

Für Moskaus leidenschaftliche Autofahrer klingen solche Zukunftspläne schon realistischer als alle Versuche, den Autoverkehr in der Hauptstadt einfach zu verringern. So kamen am 22. September, der zum autofreien Tag werden sollte, zwar die Verkehrsmilizen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Die üblichen Staus konnte das jedoch nicht verhindern, da die Aufrufe zur Einschränkung des Autoverkehrs von den meisten Autofahrern unbeachtet blieben.

Parkplätze und Lagerräume unter der Erde

Unterirdische Baupläne wurden in den letzten Jahren bereits mehrfach vorgestellt. Erst letztes Jahr hatte die Moskauer Stadtregierung ähnliche Vorhaben befürwortet und zum strategischen Ziel in der Entwicklung des Städtebaus ausgerufen. Jährlich sollte die Erschließung unterirdischer Räume um 150.000 Quadratmeter ausgeweitet werden und bis zum Jahr 2010 um die 15 Prozent, später bis zu 20 Prozent der gesamten Bautätigkeit betragen. Nach Aussage des Vizebürgermeisters Wladimir Resin könnten bis zu 80 Prozent aller Lagerräume, 70 Prozent aller Parkplätze und 30 Prozent der Dienstleistungsunternehmen unter der Erde Platz finden. Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und Parkanlagen sollten weiterhin über der Erde gelegen sein.

Der Baubeginn war damals nach Klärung rechtlicher Fragen für 2011 anvisiert, ist aber aufgrund der allgegenwärtigen Finanzkrise aber verschoben worden. Im Rahmen der Restaurierungsarbeiten historischer Gebäude im Stadtzentrum sowie der Errichtung neuer Wohnviertel hatte sich Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow bereits im Herbst 2006 für unterirdische Parkmöglichkeiten eingesetzt. Ein Jahr später folgte ein Dreijahrsplan für die Zeit von 2008-2010.

Neben dem wachsenden Verkehrschaos, der steigenden Einwohnerzahl und der starken Luftverschmutzung (die zu 80 Prozent durch Autoabgase verursacht sein soll), sieht sich die russische Hauptstadt mit ihren Modernisierungsbestrebungen auch in Konkurrenz zu europäischen, nordamerikanischen und asiatischen Metropolen wie Paris, Las-Vegas, Montreal und Tokio. Der Anteil unterirdischer Bebauung liege in diesen Städten bei 20 bis 25 Prozent heißt es.

Auch Radfahrer bekommen ein unterirdisches Wege-System

Neueste Entwicklungen und Zukunftspläne präsentiert das jährlich im Allrussischen Ausstellungszentrum stattfindende Projekt „Unterirdische Stadt“. Mit Architekturwettbewerben, Diskussionsrunden und Exkursionen zu den wichtigsten unterirdischen Bauobjekten sollen Investoren gewoben, kreative Konzepte gefördert und vorgestellt werden. Fachexpertisen sollen Bedenken hinsichtlich der Umsetzbarkeit der Baupläne bei instabilem Untergrund und Befürchtungen vor Einbrüchen zerstreuen.

Neu an den aktuell vorgestellten Plänen ist daher nicht der Ausbau unterirdischer Infrastruktur  an sich. Neu ist die Vorstellung eines detaillierten Gesamtkonzepts, die Vision eines optimierten, subterranen Hauptstadtzwillings. Nicht umsonst wird von einer „neuen Stadt“ gesprochen, denn die unterirdische Bebauung soll auch weitere Einkaufs- und Kulturzentren, gastronomische Einrichtungen, Museen, Boulevards mit künstlicher Beleuchtung umfassen. Um auch das Fahrrad als Verkehrsmittel nutzen zu können, werde man ein „Velopoliten“  schaffen – ein Netz von Fahrradwegen. Die zeitliche Umsetzung steht zwar noch nicht fest, das Projekt wird aber bereits als Tatsache präsentiert.

Anklänge an einen Science-Fiction-Bestseller

Die Detailbeschreibungen der ambitionierten Bauprojekte erinnern spontan an Science- Fiction- Literatur, und aktuell an den quasi zeitgleich mit den Bauvorhaben entstandenen Roman „Metro 2033“ des Autors Dmitry Glukhovsky. Inzwischen ist bereits eine Fortsetzung erschienen unter dem Titel „Metro 2034“. Stadtplaner und Autor suchen und finden Problemlösungen im Moskauer Untergrund. Verschiedene Gründe, unterschiedliche Ziele – aber vielleicht hat man sich gegenseitig doch inspiriert?

Stadtplaner und Architekten in Kooperation mit der Moskauer Stadtregierung gehen nun den Fragen unterirdischer Lebensqualität nach. Katastrophenszenarien bleiben dabei allerdings der Science-Fiction- Literatur überlassen. Die geplante unterirdische Stadt der Realität steht für eine praktische Lösung aktueller Großstadtprobleme und für phantasievollen, urbanen Futurismus. Auf ihre Verwirklichung seien wir gespannt.

Siehe dazu Gelesen: „Metro 2033 und 2034“ von Dmitry Glukhovsky

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