09.08.2023 13:11:56
EM-INTERVIEW
Von Hans Wagner
Dr. Hanne Seelmann-Holzmann |
Zur Person: Hanne Seelmann-Holzmann | |
Dr. Hanne Seelmann-Holzmann ist Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie hat eine Reihe von Forschungsprojekten zum Kulturvergleich Asien – Europa durchgeführt, u. a. finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die VW-Stiftung. Die Wissenschaftlerin bereiste mehrfach die südostasiatischen Länder Singapur, Malaysia, Thailand, Indonesien und Vietnam. Ihre Studien führten sie außerdem nach China, Indien, Japan und Südkorea. Seit 1994 ist Dr. Seelmann als selbständige Unternehmensberaterin tätig. Dr. Seelmann Consultants bietet Strategieberatung und Prozessbegleitung für das Asiengeschäft. Frau Dr. Seelmann ist Autorin mehrer Fachbücher und Gastdozentin an der International Business School in Nürnberg. www.Seelmann-consultants.de |
Eurasisches Magazin: Der amerikanische Kongress droht China mit Strafzöllen, um die Einfuhren aus der Volksrepublik in die USA zu erschweren. Wie passen solche Einschüchterungsversuche zur „Cultural Intelligence“?
Hanne Seelmann-Holzmann: Mir fällt dazu spontan ein: „You can't expect to meet the challenges of today with yesterday's tools and expect to be in business tomorrow.” Solche Reaktionen zeigen doch, dass in den USA noch nicht verstanden wird, dass ein angeschlagener Boxer seinem Kontrahenten nicht mehr drohen kann. Vielleicht sind ja solche Aussagen auch mehr für das eigene Volk, die eigene amerikanische Presse gedacht. Den Machtverhältnissen in der gegenwärtigen Weltwirtschaft entsprechen sie jedenfalls nicht mehr.
EM: Der republikanische Senator Sam Brownback wird in US-Medien mit dem Satz zitiert: „Wenn sie sich nicht bewegen, werden wir sie zwingen“. Gemeint ist, wenn sie nicht von sich aus ihre Währung aufwerten, um die Konkurrenzfähigkeit Chinas auf den Weltmärkten zu verschlechtern. Das ist also wieder diese Art, auf Herausforderungen mit alten Instrumenten zu reagieren, von der Sie sprachen. Wie fassen Asiaten derart martialische Sprüche auf? Wie empfinden speziell Chinesen diese Wortwahl?
Seelmann: Die Chinesen haben diese Wortwahl in der Vergangenheit von westlicher Seite oft erlebt und wissen deshalb, dass es leichter ist Sprüche zu klopfen als Steine. Man nimmt das zur Kenntnis und macht mit der eigenen globalen (Wirtschafts-)Politik weiter. Im Klartext heißt dies dann weiter weltweite Sicherung von Rohstoffmärkten, Unterstützung unterentwickelter Staaten mit Infrastruktur oder bezahlbaren Produkten und Stärkung der eigenen Binnennachfrage. Dieses wirtschaftliche Vorgehen sichert dann die Unterstützung vieler Staaten, z.B. in der UNO oder deren Organisationen. Und das alles geschieht ohne Gedöns, ohne verbale Dominanzansprüche. Die einen reden und die anderen handeln.
EM: Was würden Sie dem amerikanischen Präsidenten Obama und seinen Wirtschaftsfachleuten für den Umgang mit China raten?
Seelmann: Zunächst einmal finde ich es sehr schmeichelhaft, die amerikanischen Spitzenpolitiker beraten zu dürfen. Ernsthaft: Präsident Obama und auch die Außenministerin Clinton haben begriffen und sich dementsprechend geäußert, dass die USA eine Soft Power sein möchte, die den Dialog mit anderen Weltmächten anstrebt. Dass eine solche Haltung von vielen inneramerikanischen Gruppen nicht geteilt oder geschätzt wird, ist deutlich zu sehen. Die USA sollten einfach prüfen, wie eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China in den nächsten Jahren aussehen könnte. Sprich: welche Stärken haben die US-Unternehmen? Welche Produkte benötigen die Chinesen nach wie vor? Welche Produkte oder Dienstleistungen werden zum Vorteil beider Seiten in China produziert? Das sollte man abstimmen. Natürlich würden bei so einer Strategie die Lobbyisten bestimmter Branchen in den USA protestieren. Dies wiederum muss einen demokratisch gewählten Präsidenten interessieren, der ja auf Wählerstimmen angewiesen ist. Kein leichter Spagat also, aber den sehe ich bei allen westlichen Industrienationen als gegeben an.
EM: Die Weltbank hat China für 2010 ein Wachstum von 9,5 Prozent prognostiziert. Ist das verwerflich? Wenn Frankreich den deutschen Exporterfolg geißelt, sagen Vertreter der deutschen Wirtschaft, es könne doch nicht sein, dass die Bundesrepublik künftig weniger erfolgreich in der Exportwirtschaft ist und damit auch weniger zur Weltwirtschaft beiträgt, nur damit die weniger erfolgreichen Nationen es zufrieden sind. Ist das im Falle China anders?
Seelmann: Es ist sicher nicht anders. Was man sich jedoch genau ansehen muss, ist die Frage, wie solche Wachstumszahlen des Bruttosozialproduktes (BSP) eigentlich zustande kommen. In China wetteifern ja die Provinzgouverneure um die erfolgreichsten Wirtschaftszahlen, weil ihnen das auch eine Steigerung ihrer politischen Macht innerhalb der KP bringt. Und dann kommt es schon einmal zu Aktionen wie der folgenden: mit Geldern aus dem staatlichen Konjunkturprogramm wird eine Brücke gebaut, wo sie nicht erforderlich ist. Dann reißt man sie wieder ab und baut sie andernorts – hoffentlich mit mehr Sinn – wieder auf. Alle drei Maßnahmen fließen natürlich in die Berechnung des BSP ein. Das quantitative Wachstum muss also nicht immer auch ein qualitatives sein. Ungeachtet dessen wird es in China weiter Wachstum geben, weil bisher erst die Ostküste und wenige Inlandsprovinzen von marktwirtschaftlicher Politik profitieren. Und die aktuelle Wirtschaftspolitik fokussiert ja die Entwicklung des ländlichen Raumes, auch, um die zunehmende Schere in der Einkommenssituation in China zu verringern. China wird wachsen, ob uns das passt oder nicht.
EM: Der chinesische Regierungschef Wen Jiabao argumentiert ähnlich wie die Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft. Schuld sei nicht, wer besser ist. China sei das einzige Land, dessen Volkswirtschaft noch wächst. Man könne froh sein über diese Konjunkturlokomotive. Wen warf seinerseits den USA vor, den US-Dollar absichtlich schwach zu halten, um amerikanische Exporte weltweit zu fördern. Damit drehte er den Spieß um. Wer sitzt da am längeren Hebel?
Seelmann: Wenn sich Rahmenbedingungen verändern, hat immer derjenige einen strategischen Vorteil, der sich schnell an die neuen Verhältnisse anpasst. Nach der Finanzkrise haben sich die Koordinaten der Weltwirtschaft verändert. Eine hohe und sensible Interdependenz, also die wechselseitige Abhängigkeit von nationalen Volkswirtschaften, ist die neue Realität. China braucht die USA, die USA und die anderen westlichen Industriestaaten brauchen China. Chinesische Wirtschaftspolitiker möchten natürlich die Interessen Chinas durchsetzen. Aber sie wissen vielleicht besser als westliche Vertreter, dass sie dazu auch starke Partner benötigen. Chinesische Wirtschaftsexperten zeigen in vielen Beispielen, dass sie sich westliche Modelle und Lösungen ansehen. Dann prüfen sie, was sie davon für ihre Zwecke nutzen können. Wie schon gesagt: zukünftige Lösungen kann man nicht mehr mit den Instrumenten von gestern erzielen. Währungspolitische Spielchen nationaler Regierungen zeigen vielleicht kurzfristigen Erfolg. Gut, das ist für die Wählerstimmen in westlichen Demokratien erforderlich. Langfristig muss es aber um die gemeinsame Entwicklung von wirtschaftlichen Lösungen gehen, die nicht nur die Interessen eines Landes bedienen. Dazu wird uns die neue, multipolare Weltwirtschaft einfach zwingen – wenn wir weiterhin auf den vorderen Plätzen mitspielen wollen.
EM: Sie hatten in einem vielbeachteten Interview im Dezember 2004 gesagt: „Was unsere Unternehmer in China machen, ist Harakiri“. Wie kann man das Verhalten der deutschen und der europäischen Firmen in China heute bezeichnen?
Seelmann: Ich möchte da zwischen Großkonzernen und mittelständischen Unternehmen unterscheiden. Bei den Großkonzernen geht es oft darum, auf dem chinesischen Markt präsent und aktiv zu sein, egal, was es kostet. Die verantwortlichen Manager werden an kurzfristigen Erfolgen gemessen. Und da hat man dann keine Zeit, über kulturangepasste Unternehmensführung oder Produktschutz nachzudenken. Man vertraut der Stärke des Namens, glaubt, die führe automatisch auch zu einem erfolgreichen Chinaengagement. Mittelständische Unternehmen müssen da anders, vorsichtiger vorgehen. Natürlich kenne ich auch genügend klein- und mittelständige Unternehmen, welche die Tücken des Chinageschäftes unterschätzen und viel Geld in China verloren haben. Aber ich kenne eben auch mittelständische Unternehmen, die sich sehr genau ansehen, welches Risiko ein Chinaengagement z.B. für ihre Technologie birgt. Weil solche Weltmarktführer eben nur mit Hilfe ihrer hoch entwickelten Produkte überleben können, machen sie sich mittlerweile mehr Gedanken um die Schutzmöglichkeiten geistigen Eigentums. Ich meine damit nicht den juristischen Schutz, sondern den praktischen. Und sie suchen häufig auch Bündnisse mit anderen westlichen Unternehmen, um sich nicht gegenseitig von den chinesischen Partnern ausspielen zu lassen. Besonders bitter ist es dann, wenn solche Bündnisse europäischer mittelständischer Unternehmen von Entscheidungen der Großkonzerne torpediert werden.
EM: Was sind die größten Fehler, die gemacht werden?
Seelmann: An erster Stelle steht für mich, dass sich westliche Unternehmen zu wenig Informationen darüber aneignen, was eigentlich diese historisch einmalige Melange aus einer kommunistischen, politischen Ordnung und Marktwirtschaft für ihre Firmenaktivitäten bedeutet. Man macht sich keine Gedanken über die chinesischen Menschen, die auf der einen Seite noch sehr traditionell erzogen sind, gleichzeitig die historisch einmaligen Chancen nutzen wollen, um ihre materielle Situation zu verbessern. Man schätzt diese Menschen oft fälschlich als „westlich“ ein. Wenn man dann enttäuscht wird, sich angelogen und ausgenutzt fühlt, folgt eine pauschale Verurteilung. Ich muss dann den frustrierten westlichen Firmenvertretern sagen, dass sie unzulässig vom äußeren Schein auf das Sein schlossen, sich zu wenig Informationen über kulturelle Prägungen, aktuelle gesellschaftliche Bedingungen etc. besorgten. Wenn ich weiß, dass jemand jahrelang Hunger litt, dann muss ich mich nicht wundern, wenn er gierig nach jedem Bissen greift, der sich ihm bietet. Des Weiteren überträgt man sowohl westliche Organisations- oder Mitarbeiterführungsmodelle auf die chinesische Niederlassung, ohne zu bedenken, dass die vor dem Hintergrund anderskultureller Überzeugungen scheitern werden. Mit einem Satz: man vergibt Chancen, weil man die Werkzeuge nicht an die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpasst.
EM: Wo haben westliche Unternehmen inzwischen dazugelernt?
Seelmann: Wie ich bereits erwähnt habe, ist das Problembewusstsein in Bezug auf den Produktschutz wohl gestiegen. Man hat inzwischen gemerkt, dass ein chinesisches Gesetz mit der Realität nichts zu tun haben muss. Die Die Mittelständler reagieren darauf, die Großkonzerne vertrauen weiterhin auf ihre technologische Überlegenheit aus Gründen, die sich mir nicht erschließen. Ich bin dankbar für jeden Hinweis, falls dies jemand anders sieht.
EM: Sind Chinesen eigentlich nachtragend oder eher berechnend? Vergessen sie, wenn es nutzt, oder gehen Gesten wie zum Beispiel die Hofierung des Dalai Lama tiefer und wirken wer weiß wie lange nach?
Seelmann: Chinesen denken pragmatisch nach dem Motto: Wenn mir etwas nützt, dann schere ich mich nicht um Befindlichkeiten. Der Dalai Lama ist ein Nebenkriegsschauplatz, angesiedelt im politischen Selbstbewusstsein der chinesischen Regierung. Die Masse der Bevölkerung hat über Tibet weder Informationen noch ein Interesse daran. Im Geschäftsleben werden solche Themen allenfalls dann bemüht, wenn man sich eine Verbesserung der Verhandlungsposition erhofft. Man verweist dann darauf, dass China wieder groß und mächtig ist, sich selbst in die innenpolitischen Fragen anderer Länder weder einmischt noch sie bewertet. Dementsprechende Zurückhaltung fordert man dann auch vom Ausland. Und in wirtschaftlicher Hinsicht werden die ausländischen Investoren oder Exporteure schon unmissverständlich darauf hingewiesen: „Die Tochter des Kaisers braucht sich um Heiratskandidaten keine Sorgen zu machen!“ Das heißt: alle Welt braucht China, will dort ein- oder verkaufen oder produzieren. Wir bestimmen, wer das sein wird!
EM: Wie schätzen die Chinesen eigentlich ihre Unternehmerkollegen im Westen ein? Fühlen sie sich den Langnasen inzwischen überlegen?
Seelmann: Die Chinesen haben die Stärken und Schwächen ihrer westlichen Partner genau studiert. Deshalb wissen sie, dass sie noch viel lernen können. Das betrifft vor allem technologische oder wissenschaftliche Entwicklungen. Aber sie erleben auch, dass sie den Westlern oft in Verhandlungskunst, Taktik oder Strategie überlegen sind. Das nutzen sie auch entsprechend. Aufgrund ihrer Erziehung sind sie besser fähig, die Interessen und Motive anderer Menschen zu erkennen. Auch das ist hilfreich zur Erreichung von Zielen: ich realisiere meine Absichten, indem ich meinem Gegenüber die Vorteile für ihn darstelle. In ihrer Selbstbezogenheit merken Westler das oft gar nicht. In der Bejing Universität hing vor Jahren ein Schriftband mit dem Satz „Geht in den Westen, holt ihr Wissen und schlagt sie mit ihren Waffen!“ Oder man kann sich auch daran erinnern, wie Deng Xiaoping einst die wirtschaftliche Öffnung legitimierte: „Lasst die westlichen Kühe ruhig auf unseren Weiden grasen. Die Milch werden wir ernten.“
EM: Frau Seelmann-Holzmann, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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Lesen Sie dazu auch die Rezension des neuen Buches von Hanne Seelmann-Holzmann „Cultural Intelligence – die Erfolgsformel für Wachstum in einer multipolaren Wirtschaftswelt“.
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