Dem „Plastinator“ von der Schippe gesprungenRUSSLAND

Dem „Plastinator“ von der Schippe gesprungen

In einer St. Petersburger Gemeinschaftswohnung starb der mit 2,43 Metern größte Basketball-Profi der Welt. Eigentlich wollte der „Plastinator“ Gunther von Hagens aus Deutschland den Leichnam zur „Endverwertung“ aufkaufen. Doch daraus wurde nichts.

Von Ulrich Heyden

R ote und weiße Nelken, Tränen in vielen Gesichtern und ein Sarg in weiß-blaut-rot, den russischen Farben. Eine kleine Schar von Freunden und Anhängern des Sport-Clubs Spartak hatte sich Anfang Januar auf dem St. Petersburger Nord-Friedhof versammelt, um Aleksandr Sisonenko, dem größten Mann Russlands und größten Basketball-Profi der Welt die letzte Ehre zu erweisen.

Der graue Wintertag in St. Petersburg war nicht nur schmerzvoll für die Sport-Fans in Russland, sondern auch für den „Plastinator“ aus Heidelberg: Gunther von Hagens hatte dem an einer Wachstumskrankheit leidenden Ex-Sportler für das Verfügungsrecht über dessen Leichnam 2004 noch 100.000 Euro geboten, doch von Sisonenko eine Absage bekommen.

„Ich will keine Vogelscheuche sein“

Der erste Kontakt zwischen von Hagens und dem in großer Armut lebenden Basketball-Profi war Ende der 1990er Jahre zustande gekommen. Der „Plastinator“ hatten den wegen seiner Körpergröße bekannten Russen nach Deutschland eingeladen, angeblich um ihm bei seiner Heilung zu helfen. Doch bei einem Treffen in Hagens Heidelberger Institut ging es dann nur noch um die Frage, was mit Sisonenkos Körper nach dessen Tod passiert, erinnert sich der ehemalige Sportler in einem Interview mit der „Novaya Gazeta“. Der „Plastinator“ versprach dem Russen eine einmalige Zahlung von 25.000 Mark für das  Einverständnis, den Körper von Sisonenko nach dessen Tod konservieren zu dürfen. Doch der Russe erklärte, er sei als „gläubiger Mensch zu solchen Sachen nicht bereit“. Hagens steigerte sein Angebot dann auf 100.000 Euro doch aus St. Petersburg kam wieder eine Absage. Er wolle „keine Vogelscheuche sein, für kein Geld der Welt“, sagte Sisenko im Interview. 

Leistungssport trotz Hormonerkrankung

Russlands größter Basketball-Spieler musste sich nicht groß recken, um den Ball in den Korb zu stoßen. Fast bei jedem Spiel holte Sisonenko 30 Punkte. Die Halle durchschritt der „russische Gulliver“ – so nannte ihn die größte russische Fachzeitung „Sowjetski Sport“ - mit großen Schritten. Nur beim Tempo war Sisonenko wegen seiner Körpergröße nicht so gut. Trotzdem gehört er zur sowjetischen Basketball-Nationalauswahl, für die er jedoch kein einziges Mal spielte.
 
Eigentlich wollte Sisonenko Grundschullehrer werden. Doch er zeigte außergewöhnliche Leistungen im Sport. Mitte der 1970er Jahre wurde der große Junge, der in dem südukrainischen Dorf Saparoschje aufwuchs, von einem Trainer in das damalige Leningrad geholt. Dort spielte er von 1976 bis 1978 für den Verein „Spartak Leningrad“. Zu diesem Zeitpunkt maß der junge Mann aus der Süd-Ukraine „erst“ 2,18 Meter.
 
Aleksandr Sisonenko war schon als Kind Ärzten schon wegen seines  ungewöhnlichen Wachstums aufgefallen. In Kiew wurde ihm zweimal der Kopf aufgebohrt, um einen Tumor an der  Hirnanhangdrüse zu entfernen, doch ohne Erfolg. Der Tumor regte die Drüse zur vermehrten Produktion von Wachstumshormonen an. Der „russische Gulliver“ wuchs unaufhörlich, bis zu seinem Tod.

Scham wegen tropfender Nase

Sein ganzes Leben musste sich Sisonenko schämen. Erst für seine Größe, seine ungewöhnliche Kleidung, seine Schuhgröße 63 und schließlich für die Folgen seiner Krankheit. Nachdem es ihm als Kind nach der Gehirn-Operation aus der Nase tropfte, wagte er den Ärzten aus Scham erst nicht davon zu erzählen. Bei einer Untersuchung stellte sich dann heraus, dass es Rückenmarkflüssigkeit war, die ihm da aus der Nase tropfte. Sein Leben war in Gefahr. Die Ärzte meinten, er werde nur noch zwanzig Jahre leben. Doch es kam anders.

Sisonenko spielte nur zwei Jahre in Leningrad, dem späteren St. Petersburg. Um den strengen Gesundheits-Kontrollen der Sport-Funktionäre an der Newa auszuweichen, delegierte man den Spitzensportler in die Wolga-Stadt Samara, wo Sisonenko für den Verein „Bauarbeiter“ spielte. 1986, als er sich bei einem Spiel den Knöchel brach und seine Hormone wegen der sportlichen Belastung verrücktspielten, musste der Basketball-Profi seine Karriere  beenden. Mit 27 Jahren wurde Sisonenko zum Schwerbehinderten.

Andere zockten ab

Doch das Leben ging weiter. 1987 heiratete der ehemalige Spitzen-Sportler. Sieben Jahre später brachte seine Frau Swetlana den Jungen „Sascha“ zur Welt. Ab und zu bekam Sisonenko noch kleine Jobs beim Fernsehen. Bei einer tschechischen Film-Produktion für  „Das tapfere Schneiderlein“ wurde er mit der Rolle des Riesen betraut. Von dem Honorar bekam er jedoch nur die Hälfte, wie die Zeitung „Sport – Tag für Tag“ berichtete. Der andere Teil landete in den Taschen von russischen Beamten.

Es kam noch öfters vor, dass sich andere an Sisonenko zu bereichern versuchten. So als die kleine Familie beschloss, von Samara nach St. Petersburg überzusiedeln. Man verkaufte die Wohnung in Samara. Doch das Geld für die neue Wohnung ging durch die Finanzmanipulationen der St. Petersburger Baufirma komplett verloren.

Langes Leiden in einer schmalen Kammer

Nachdem der Traum von der neuen Wohnung geplatzt war und die Krankheit des ehemaligen Sportlers immer schlimmer wurde, ging die Ehe mit Swetlana in die Brüche. Freunde hatten Sisonenko zwei Zimmer in einer der alten St. Petersburger Gemeinschaftswohnung besorgt, wo er dann bis zu seinem Tod lebte. Nur selten verließ  Sisonenko gestützt auf Krücken und tief gebeugt sein Haus. Manchmal schleppte er sich noch in einen Sportsaal, um einem Basketball-Spiel zuzugucken.

Der Ex-Sportler lebte von Spenden und der Hilfe von Freunden. Die Rente war kümmerlich. Die teuren Medikamente musste er selbst bezahlen.  Nachdem Sisonenko im Juli letzten Jahres stürzte, sich das Bein verletzte und ohne fremde Hilfe nicht wieder aufstehen konnte, wurde plötzlich die russische Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam. Der Sturz war offenbar Folge des fortschreitenden Knochenschwunds, an dem der ehemalige Basketballer ebenfalls litt. Mit finanzieller Unterstützung des St. Petersburger Sportclubs Spartak wurde Sisonenko nacheinander in drei verschiedenen Krankenhäusern behandelt. Es war eine Tortur für den früheren Sportler. Er bekam wegen falscher Medikamente – so eine Bekannte - Magenbluten. Schließlich bat der Leidgeprüfte, ihn wieder nach Hause zu bringen. 

Sei Sohn besuchte ihn nur selten

Doch dort war er oft einsam. Sein 17jähriger Sohn Sascha, der selbst herzkrank ist, besuchte ihn nur sehr selten. Trotz eines Spendenaufrufs in einer Fernsehsendung gab es bis zum Tod des „russischen Gulliver“ immer wieder Probleme bei der Finanzierung einer Krankenschwester, die ihn betreuen sollte.

Das Schicksal von Sisonenko wirft ein Schlaglicht auf die soziale Situation der russischen Sportler, die in der Regel nach ihrer Pensionierung sozial keinen besonderen Schutz genießen und sich mit ihren Berufskrankheiten mit Hilfe einer kleinen Rente oder Zuwendungen aus der Familie durchschlagen müssen. Wie der Fall Sisonenko zeigt, ist die Spendenbereitschaft in Russland nicht groß. Das liegt zum einen daran, dass viele Leute kein Geld übrig haben. Der Hauptgrund ist aber wohl, dass es in Russland nicht so wie in Europa eine Spendenkultur gibt. Besser gestellte Menschen fühlen sich von den Schicksalen der Armen nicht besonders angesprochen.

Für seine Freunde war Sisonenko in den letzten Jahren kein einfacher Fall. Ein Mann aus St. Petersburg, der ihn betreute, berichtete, er sei öfters angeschnauzt worden. Doch auf seine Sportler-Karriere war der inzwischen Bettlägerige bis zum Schluss stolz. Gegenüber Fernseh-Journalisten erklärte der „russische Gulliver“, wenige Monate vor seinem Tod, „ich bereue nichts. Wenn ich keinen Sport gemacht hätte, wäre ich auf der Welt nicht so viel herumgekommen. Vielleicht gäbe es mich dann schon gar nicht mehr.“

Medien Russland

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