Heiße Debatten um Zustände an den SchulenRUSSLAND

Heiße Debatten um Zustände an den Schulen

Das russische Staatsfernsehen wagt sich an die Realität. Eine TV-Serie über die Zustände an Russlands Bildungsstätten sorgt für Aufregung und hitzige Diskussionen.

Von Ulrich Heyden

D ie Fernsehserie „Schkola“ (Schule- http://www.1tv.ru/dp/sv=5785) war auf 60 Folgen über die Zustände an Russlands Schulen angelegt. 20 Folgen, produziert von der Nachwuchsregisseurin Waleria Germanika waren schon zu sehen. Vor kurzem gab die Pressestelle des „Ersten Kanals“ jedoch bekannt, die Sendung werde zum 15. Februar abgesetzt. Eine Begründung wurde zunächst nicht genannt. Die Regisseurin zeigte sich verwundert. Kurz darauf wurde dann mitgeteilt, man brauche den Sendeplatz für Berichte von der Olympiade in Vancouver. Die Serie werde fortgesetzt. Doch  Beobachter haben Zweifel, ob die Serie weiter läuft, denn einzelne Beamte aus dem Bildungsbereich, Kirchenvertreter und die KP-Fraktion in der Duma hatten die Absetzung der Serie gefordert, da sie die Nation und die Würde der Lehrer verletze.

Verdrängte Probleme werden zum Thema

Bei der Fernsehserie handelt es sich um einen Spielfilm, der einen hohen Realitäts-Anspruch hat.  Gezeigt wird die Serie wochentags um 18.20 und um 23.30. Gefilmt wird mit einer Handkamera, aus allen nur möglichen Blickwinkeln. Schauspiel-Studenten und Laien-Schauspieler zeigen den Zuschauern den Alltag von 16jährigen Schülern. Die Kamera zwängt sich in den Klassenzimmern durch Stuhlreihen, sie ist dabei, wenn in engen Wohnungen Partys gefeiert werden und wenn in Kellereingängen gekifft wird. Erstmals wird im russischen Fernsehen über die Autoritätsprobleme der Lehrer, den veralteten Frontalunterricht und die Probleme in den engen Wohnungen berichtet. Man hat den Eindruck da passt etwas nicht zusammen. Jugendliche, die außer Rand und Band geraten sind und Erwachsene, die mit Zwang oder Desinteresse reagieren.

Die Probleme an den Schulen, Mobbing, Alkohol und Gewalt, sind den Russen im Grunde bekannt, neu ist, dass über die Probleme jetzt - angestoßen durch die TV-Serie - öffentlich debattiert wird. Putin hatte die Serie bei einem Treffen mit Studenten überraschend befürwortet. „Mit Hysterie“ auf die Fernseh-Serie darauf zu reagieren, sei falsch, erklärte der Kreml-Chef.

Ein heiliger Ort

Der Film wirkt auf einen Teil der Öffentlichkeit wie ein Schock. Denn die Schule galt in Russland bisher immer als so etwas wie ein heiliger Ort, wo die Schüler im Geist von russischen Schriftstellern, wie Aleksandr Puschkin und Lew Tolstoi, erzogen werden. Doch die Fernsehserie, zeigt, wie es wirklich ist. Da flirtet ein 15jähriger mit der Physiklehrerin Natalja. Die attraktive 25jährige kommt sogar zum Schüler nach Hause, „für Nachhilfe“. Die Mutter ist begeistert von der jungen Lehrerin. Dass sich ihr Sohn in die attraktive Dame verknallt hat und der Vater des Sohnes sogar schon ein Verhältnis mit der Physik-Lehrerin hat, scheint die Mutter nicht zu bemerken. Aber der Sohn hat es bemerkt. Vom Vater bekommt er Geld für neue Schuhe, doch eigentlich handelt es sich um ein „Schweigegeld“. Überhaupt scheint Geld an russischen Schulen eine enorme Rolle zu spielen. Da versucht eine Mutter eine Lehrerin mit einem Geld-Umschlag zu bestechen, damit die Tochter in eine andere Klasse versetzt wird. Da leiht sich eine Klassenlehrerin Geld von einer Mutter. Und die macht dann direkt im Lehrerzimmer Stunk, weil sie das Geld nicht zurückbekommt.  

Dass die Serie, wie von konservativen Kritikern geargwöhnt, die Verrohung unter Jugendlichen fördert, kann man aber getrost bezweifeln. Eher ist es so, dass der Film die Schüler dort „abholt“, wo sie sind. Und es wird der Blick geöffnet für ungewohnte Sichtweisen. Da ist zum Beispiel die Szene mit Fedja, dem verschwundenen jüngeren Bruder von Wadim, einem Skinhead. Wadim, ein Russe, der in die neunte Klasse geht und seine Hosenträger bis zu den Kniekehlen hängen hat, verdächtigt seinen Mitschüler Timur, einen Kaukasier, er habe Fedja mit einer Bande entführt. Doch dann stellt sich heraus, dass der kleine Bruder von zuhause abgehauen ist, weil sein alkoholabhängiger Vater, ein Russe, ihn verprügelt hat.

Das Internet ist interessanter

Die erst 25 Jahre alte „Schkola“-Regisseurin, Waleria Germanika, bekam 2008 in Cannes einen Sonderpreis für ihren Film „Alle sterben, nur ich bleibe“. Der Film zeigt die Probleme der Jugendlichen in der russischen Provinz. Wegen der schonungslosen Darstellung sorgte der Film für Furore. Dass der Direktor des Ersten Kanals, Konstantin Ernst, der Nachwuchsregisseurin Germanika nun viel Sendeplatz für die „Schkola“-Serie freiräumte, hängt offenbar damit zusammen, dass der staatliche Kanal sich stärker mit Jugendproblemen beschäftigten will, um Jungendliche, die zum Internet und privaten Musik-Kanälen abgewandert sind, zurückzuholen. Die „Schkola“-Serie sei ein Schritt in die neue Richtung, erklärte der Direktor des Ersten Kanals in einem Interview mit „Radio Echo Moskau“. Die bisherigen Fernseh-Formate hätten sich „überlebt“ und müssten geändert werden.

Das staatliche Fernsehen ist in Russland immer noch das wichtigste Machtinstrument in der Hand des Kremls und wird auch bei den Präsidentschaftswahlen 2012 wieder eine wichtige Rolle spielen. Etwas mehr Liberalität kann da nicht schaden.

Medien Russland

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