Keine Demokratie durch TechnologieCHINA

Keine Demokratie durch Technologie

Keine Demokratie durch Technologie

Digitalen Informationstechnologien und mobilen Kommunikationsformen wird häufig ein demokratisierender Impuls zugeschrieben. Daß die technischen Möglichkeiten aber auch in ganz anderem Sinne genutzt werden können, demonstrieren aktuelle Entwicklungen in der Volksrepublik China.

Von Nico Lange

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Chinesische Jugendliche mit ihren Handys  
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ie ehemals „neuen“ Medien wie Internet und Mobiltelefone sind im Westen bereits seit längerem in die Alltagskultur integriert. Und auch in Asien werden die modernen Kommunikationsmittel und technischen Neuheiten immer populärer. Dies gilt neuerdings auch für China, wo sich insbesondere Mobiltelefone erfreuen zunehmend großer Beliebtheit erfreuen. Chinesen nutzen vor allem die Möglichkeiten zum Versenden von Kurznachrichten via Handy, hierzulande wohlbekannt als sogenanntes „SMS-en“. Die mittlerweile fast 300 Millionen chinesischen Handybesitzer versenden zur Zeit etwa 7.000 Kurznachrichten pro Sekunde, mehr als der Rest der Welt zusammengenommen. Vor allem aus zwei Gründen setzt sich SMS in China durch: Zum einen sind die Kurznachrichten wesentlich billiger als Telefonate und zum anderen ist das Versenden und Empfangen von Botschaften auf diese Weise geräuschlos möglich. Gerade der letzte Punkt ist im asiatischen Raum nicht zu unterschätzen, gilt doch eine Funktion wie geräuschloser Vibrationsalarm dort schon immer als entscheidendes Verkaufsargument für Mobiltelefone.

Mehr als nur Klatsch

Natürlich nutzen auch die Chinesen die Kurznachrichten sehr gern, um den neuesten Klatsch zu verbreiten, sich zu verabreden oder Einkaufsberichte auszutauschen. Als im letzten Jahr der SARS-Virus grassierte wurde jedoch deutlich, daß das Medium auch andere Funktionen erfüllen kann. Die staatlichen Medien hüllten sich bezüglich SARS lange in Schweigen, während die Bürger sich per SMS notdürftig informierten. Je bewußter den Menschen ihr Informationsmangel wurde, um so größer wurde der Druck auf die Regierung in Peking, bis diese schließlich mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit ging. Auch andere Themen, die in den staatlichen Medien kaum Aufmerksamkeit bekommen, wie etwa Fälle von Korruption und Amtsmißbrauch werden heimlich mittels Kurznachricht diskutiert.

Demokratie durch Technologie?

Anhänger der Idee eines in den Kommunikationstechnologien enthaltenen demokratischen Potentials sehen sich durch diese Entwicklungen bestätigt. Aus dieser Sicht ist es eine logische Folge, daß durch die Verbreitung von Mobiltelefonen und Internetanschlüssen auch die Ideen der Meinungsfreiheit und der Wahrnehmung demokratischer Rechte an Popularität hinzugewinnen. Man hofft darauf, daß die neuen Medien in China eine ähnliche Wirkung entfalten könnten wie zum Beispiel das Fernsehen während der Umgestaltungsprozesse in der DDR und Osteuropa.

Nach nur kurzer Zeit haben Staat und Partei in China jedoch auf die technischen Entwicklungen reagiert. Hoffnungen auf eine demokratische Öffentlichkeit im „Reich der Mitte“ verlieren deshalb zunehmend ihre Berechtigung. Seit Mitte Juni 2004 greift die Kommunistische Partei zu drastischen Mitteln, um eine Unterwanderung des Ein-Parteien-Regimes zu verhindern: die Milliarden von täglich versandten Kurznachrichten, werden nun von staatlichen Behörden gefiltert und überwacht.

Der große Bruder liest mit

Unter dem Vorwand, den Kampf gegen Pornographie und illegale Werbung forcieren zu wollen, zwang die Partei alle Anbieter von Mobilfunknetzen dazu, den Versand der Kurznachrichten staatlich kontrollieren zu lassen. Mittlerweile wurden bereits zehn der Anbieter mit hohen Strafen belegt und mehr als 20 Mobilfunkbetreiber sogar ganz geschlossen, weil sie die staatlichen Auflagen nicht einhielten. Die übrigen Unternehmen mußten Filter installieren, die die Nachrichten überwachen und gegebenenfalls einfach löschen, falls verbotene Worte oder Sätze in ihnen gefunden werden. Die noch zugelassenen Mobilfunkanbieter sind gezwungen, ständigen Kontakt zur Informationsabteilung der Kommunistischen Partei zu halten, um stets die aktuellen Listen der gebannten Themen und Wörter zu bekommen.

Die Filter selbst funktionieren nur sehr grob. Die Schwierigkeiten bei der technischen Auswertung von Textinhalten mit Filtern ist auch hierzulande durch den überbordenden E-Post-Versand von Werbemüll hinlänglich bekannt. Das primitive herausfiltern bestimmter Worte und Wortgruppen führt in China beispielsweise dazu, daß Nachrichten, die lediglich die Zahlen „04“ und „06“ in geringem Abstand zueinander enthalten, rigoros gelöscht werden. Die bloße Erwähnung des Datums 04.06. gilt als Anspielung auf die Ereignisse auf dem Platz des himmlischen Friedens im Jahr 1989 und damit bereits als oppositionelle Handlung. Die Konsequenzen der staatlichen SMS-Zensur sind fatal: Kurznachrichten kommen, wenn überhaupt, nur schleppend an und die Texte sind häufig bis zur Unverständlichkeit verstümmelt.

Chipkarten als Kontrollinstrumente

Im Internet werden ähnliche Verfahren in China schon seit längerem angewendet. Private Internetanschlüsse müssen staatlich angemeldet werden und auch hier sind die Anbieter dazu verpflichtet, bestimmte Inhalte zu filtern oder den Zugriff ganz zu sperren.

Eine sehr bedenkliche Entwicklung zeichnet sich auch mit der Einführung der neuen Personalausweise bis 2006 ab. Diese Ausweise, die von jedem Chinesen ab einem Alter von 11 Jahren mitgeführt werden müssen, enthalten zukünftig einen Chip mit einer digitalen Signatur. Welche Daten sonst noch darauf gespeichert werden sollen, läßt sich nur vermuten. Durchaus wahrscheinlich ist, daß die Partei die Chipkarten nutzen will, um das kürzlich abgeschaffte Registrierungssystem der Meldebehörden durch effizientere Überwachungsinstrumente zu ersetzen. Bisher waren die chinesischen Bürger dazu verpflichtet, zeitlebens im Ort ihrer Geburt registriert zu bleiben, ein Mittel das vor allem gegen die enorme Landflucht wirken sollte. Durch die auf dem kleinen Datenträger gespeicherten – und vom Ausweisinhaber selbst nicht einzusehenden – Informationen wäre eine Überwachung von Wohn- und Aufenthaltsorten problemlos zu bewerkstelligen. Und auch zahlreiche andere Anwendungen sind nicht unwahrscheinlich: Die Ausweise könnten zukünftig sowohl das eventuelle Vorstrafenregister als auch Informationen über die Mitgliedschaft in Falun Gong oder konfessionelle Bindungen enthalten.

Auch die effiziente Kontrolle politischer Wahlen wäre möglich. Die Chipkarten sollen in Zukunft nämlich auch zum elektronischen Wählen eingesetzt werden, eine Idee die übrigens ebenso in Ländern wie Deutschland und den USA diskutiert wird. In Estland wurden im Vorfeld einer geplanten Internetwahl bereits vergleichbare Personalausweise mit Chipkarten eingeführt (siehe auch EM 04-02). Die Kommunistische Partei in China könnte mit den neuen Ausweisen natürlich sehr leicht überprüfen, ob, wann und wo welcher Bürger gewählt hat und natürlich auch für wen er seine Stimme abgab. Die Technologie gäbe der chinesischen Regierung die Möglichkeiten, scheinbar demokratische Wahlen abzuhalten und dabei das Ergebnis bequem aus dem Hintergrund zu steuern.

China Internet Medien

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