09.08.2023 13:11:56
EURASISCHE FORSCHUNG
Von Hartmut Wagner
EM – Das Institut für Höhere Studien in Wien präsentierte am 9. Januar die Hauptergebnisse eines breit angelegten Forschungsprogrammes. Ziel der Studie ist es, den eklatanten Rückgang der Lebenserwartung von Männern in der GUS, insbesondere in der Russischen Föderation zu erforschen. Hierfür wurden in acht Mitgliedsstaaten der GUS (Armenien, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Moldawien, Rußland, Ukraine, Weißrußland) insgesamt 18.428 Personen im Alter von über 18 Jahren in persönlichen Interviews befragt. Die Strichprobe der Befragten sind repräsentativ für die erwachsene Bevölkerung des jeweiligen Landes. Auftraggeber des Forschungsprogramms sind die Europäische Kommission, sowie Forschungsinstitute in Österreich, Großbritannien und der acht GUS-Staaten. Das Wiener Institut für Höhere Studien koordiniert das dreijährige Projekt.
Nach Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 ging die Lebenserwartung der Männer in allen acht untersuchten GUS-Ländern zurück. Am schlimmsten traf es Rußland. Im Jahr 2000 starb hier die männliche Bevölkerung durchschnittlich bereits im Alter von 59 Jahren. Ein Jahrzehnt zuvor lebte ein Russe noch knapp fünf Jahre länger.
Während Kirgisien, Moldawien, die Ukraine, Weißrußland und vor allem Kasachstan sich nur langsam und unstetig dem Stand von 1991 annähern, wurde dieser von Armenien und Georgien bereits weit übertroffen. In beiden kaukasischen Staaten stieg die Lebensdauer der Männer seit 1994 wieder stark an. Im Jahr 2000 erreichte sie einen Durchschnittswert von gut 71 Jahren.
Auch in der GUS sterben Männer erheblich früher als Frauen. So lebten beispielsweise russische Frauen im Jahr 2000 durchschnittlich 72 Jahre, also 13 Jahre länger als die Männer. Zwar sank auch die Lebenserwartung der Frauen in den GUS-Ländern, allerdings um nur etwa 1-2 Jahre seit Beginn der 90er Jahre. Nur in Georgien und Armenien sieht es wiederum anders aus. Zur Jahrtausendwende lebten Frauen in Georgien durchschnittlich ebenso lang wie 1991, in Armenien sogar noch um zwei Jahre länger.
Die überdurchschnittlich possitive Entwicklung der Lebenserwartung in Armenien und Georgien, die sich aus den Forschungsergebnissen ablesen läßt, wird indes von Dr. Christian Haerpfer angezweifelt. Der Koordinator des Forschungsprojekts und Mitarbeiter des Wiener Instituts für Höhere Studien erklärte gegenüber dem Eurasischen Magazin, beide Staaten hätten große Bevölkerungsverluste durch Migration und Krieg hinnehmen müssen. Um den Rückgang der Population und deren Lebenserwartung zu verschleiern, seien in Armenien und Georgien seit langer Zeit keine Volkszählungen mehr durchgeführt worden. Daher könne die Lebenserwartung in diesen Ländern gar nicht exakt bestimmt werden.
In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union lag im Jahr 2000 die Lebenserwartung für Männer bei 75 Jahren, für Frauen bei fast 82 Jahren. Tendenz für beide Geschlechter steigend.
Fast drei Viertel (73,4 %) der im Zuge des Forschungsprogramms erfaßten GUS-Bürger gaben an, die Auflösung der Sowjetunion habe sich negativ auf ihren Lebensstandard ausgewirkt. Mit knapp 90 Prozent (89,8) sind in Armenien die meisten Menschen dieser Ansicht. Am wenigsten negativ wird der Zusammenbruch der UdSSR in Kasachstan beurteilt. Aber auch gut 60 Prozent (60,8) der Kasachen beurteilen ihre Lebensumstände heute schlechter als zu kommunistischen Zeiten.
Trotz dieses eindeutigen Meinungsbildes sind die Befragten hinsichtlich einer Wiedereinführung des kommunistischen Staatssystems geteilter Meinung. Die These, „Wir könnten besser leben, wenn das kommunistische System restauriert würde“, verneinten 42,8 Prozent der Interviewten „teilweise“ oder „völlig“. Zugleich aber stimmten ihr nur gut drei Prozent weniger (39,5) „völlig“ oder „teilweise“ zu. In Armenien und Kirgisien fand die genannte These den größten Zuspruch. Hier stimmten ihr 45,1 bzw. 43,2 Prozent der Befragten vorbehaltlos zu.
Dem berühmten Ausspruch des ehemaligen britischen Premierminister Winston Churchill (1874-1965), „Demokratie ist eine schlechte Staatsform, aber sie ist besser als alle anderen“ stimmten 29,5 Prozent der Bevölkerung aus den acht Staaten „völlig“ zu. 27, 2 Prozent hielten die Behauptung für „teilweise“ richtig.
Aus westlicher Sichtweise befremdend ist die geringe Wertschätzung, die Justizwesen, Polizei und Politische Parteien in der Bevölkerung der acht GUS-Staaten genießen. 56, 4 Prozent aller Befragten mißtrauen den Justitzanstalten ihres Landes „eher“ oder „sehr“. Die staatliche Polizei ruft gar bei 59,3 Prozent der Interviewten „eher“ oder „großes“ Mißtrauen hervor. Im Ansehen noch schlechter stehen Politische Parteien dar. Weit über zwei Drittel (70,4 %) der Interviewpartner mißtrauen diesen „eher“ oder „sehr“.
Das starke Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber Polizei und Justitz resultiert nach Ansicht von Dr. Haerpfer aus der alltäglichen Erfahrung von Korruption und Befangenheit beider Institutionen. Parteien hätten in den GUS-Staaten einen schweren Stand. „Nach der jahrzehntelangen Einparteienherrschaft der Kommunisten hat sich in den Nachfolgestaaten der UdSSR noch immer kein stabiles Mehrparteiensystem herausbilden können. Es entstehen ständig neue Parteien mit rasch wechselnden Programmatiken und Spitzenpolitikern, während andere Parteien spurlos aus der politischen Landschaft verschwinden,“ erläutert der Wissenschaftler.
Relativ großes Vertrauen wird dem Staatspräsidenten und der Armee entgegengebracht. Ihnen wird von 54,9 respektive 59,1 Prozent der Befragten „eher“ oder „sehr“ vertraut. Von einer Militärregierung versprechen sich dennoch nur 10 Prozent aller Interviewten eine Verbesserung ihrer Lebensumstände.
Die restlichen Forschungsergebnisse werden ab Ende Februar kontinuierlich veröffentlicht. Und zwar sowohl auf der Netzseite des Forschungsprojekts als auch als Arbeitspapier des Wiener Instituts für Höhere Studien.
Im Netz:
Institut für Höhere Studien in Wien: www.ihs.ac.at
Forschungsprojekt: www.llh.at
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