09.08.2023 13:11:56
MEDIEN
Von Ulrich Heyden
Ex-Präsident als Zeitungsverleger: Michail Gorbatschow steigt bei Nowaja Gaseta ein. (Foto: Ulrich Heyden) |
u den wenigen in Russland noch verbliebenen kritischen Zeitungen gehört die „Novaja Gaseta“. Das Blatt hat es zunehmend schwer, sich gegenüber den anderen Medien, die mit staatlichen Geldern und Zuwendungen Kreml naher Unternehmer finanziert werden, zu behaupten. Deshalb holte man nun zwei private Investoren ins Boot. Für zwei Millionen Dollar kauften sich der moderate Putin-Kritiker Michail Gorbatschow sowie der mit dem Ex-Präsidenten befreundete Milliardär Aleksandr Lebedew bei dem Blatt ein.
Der Banker Lebedew, der seine Karriere Ende der 80er Jahre als zweiter Sekretär der sowjetischen Botschaft in Großbritannien begann und später die Nationale Reserve Bank leitete übernahm 39 Prozent der Zeitungs-Aktien. Gorbatschow kaufte „von seinem privaten Kapital“ - wie man in der Zeitung betont - zehn Prozent der Aktien von „Novaia-Gaseta“. Die Belegschaft - bisher Alleinbesitzer der Zeitung - behält ein Kontrollpaket von 51 Prozent.
Lebedew war 2003 für die linksnationale Partei „Heimat“ in die Duma gewählt worden, wechselte dann aber zur Kreml nahen Partei „Einiges Russland“, die er häufig für ihren Präsidenten-freundlichen Kurs kritisierte.
Für das Blatt welches in Moskau mit einer Auflage von 170.000 Exemplaren erscheint, aber keine großen Werbeaufträge erhält, sind die neuen Finanziers eine wichtige Unterstützung. Der stellvertretende Chefredakteur Sergej Sokolow erklärte gegenüber dieser Zeitung, man werde die Qualität des Blatts verbessern und ab Anfang nächsten Jahres von der zwei- auf die dreiwöchentliche Erscheinungsweise umsteigen.
Das gegenüber dem Kreml stets kritisch eingestellte Blatt konzentriert sich in der Berichterstattung auf Themen, die vom staatlichen Fernsehen totgeschwiegen werden. Die Journalisten decken Korruptionsfälle auf, berichten über Soldatenschinderei und Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Zwei Journalisten, die an der Aufdeckung von Korruptionsfällen arbeiteten, mussten für ihre Arbeit mit dem Leben bezahlen. Der Journalist Igor Domnikow und der stellvertretende Chefredakteur Juri Tschekotschichin wurden bei Anschlägen getötet.
Gorbatschow ist für die Nowaja Gaseta kein Unbekannter. Der ehemalige Präsident der Sowjetunion gab dem Blatt das Geld für die ersten Computer, berichtete der Stellvertretende Chefredakteur Sergej Sokolow. Gorbatschow sei ein Garant für „Glasnost“(Offenheit), einem Schlüsselbegriff aus der Perestroika-Zeit.
Der Ex-Präsident ist im Unterschied zu vielen Autoren der Nowaja Gaseta in seiner Kritik an der Kreml-Politik immer moderat aufgetreten. Man könne nicht sagen, „dass es in Russland keine Pressefreiheit gibt“, erklärte Gorbatschow im Rahmen des internationalen Zeitungs-Kongresses, der Anfang Juni in Moskau stattfand. Die Situation vor 20 Jahren sei verglichen mit heute so unterschiedlich wie „Himmel und Erde“. Einen Rückfall in die Vergangenheit „wird es nicht geben.“ Gleichzeitig sieht „Gorbi“, wie er ob seiner Beliebtheit im Westen tituliert wird, aber auch Gefahren. „Die Presse muss frei und verantwortungsvoll sein, aber wie ist das zu machen, wenn sie sich in den Händen von Oligarchen befindet oder unter Kontrolle des Staates steht?“, so Gorbatschow in einem Artikel für „Rossiskaja Gaseta“. Während es bei den Printmedien Pluralismus gäbe, klammere das Fernsehen „viele prinzipielle Fragen des Lebens“ aus.
Chefredakteur Dmitri Muratow, der die „Nowaja Gaseta“ zusammen mit Kollegen vom Massenblatt „Komsomolskaja Prawda“ 1993 gründete, hat keine Sorgen, dass sein Blatt mit den neuen Eigentümern zahm wird. „Wir werden unsere Politik fortführen, die Hauptlinie sind Enthüllungen. Wir wollen alles über die Korruption wissen.“ Die Mitarbeiter des Blattes „sagen, was sie denken“. Für Gorbatschow werde es da einige „Kopfschmerzen“ geben. Den neuen Eigentümer Lebedew lobte Muratow als „zivilisierten Unternehmer“, der in keinen einzigen Korruptionsfall verwickelt sei. Etwas anders sieht das der Zeitungs-Mitarbeiter Wladimir Kara-Murza. Lebedew – so der Journalist - werde versuchen, die Zeitung auf die Linie der Kreml nahen Partei „Einiges Russland“ zu bringen.
Ob die Sorgen berechtigt sind, muss sich zeigen. Mit neuer finanzieller und politischer Unterstützung könnte die Nowaja Gaseta eine wichtige Rolle im Duma- und Präsidentschaftswahlkampf spielen. Die russische Opposition ist heillos zersplittert und die Zeitung sorgte für gemeinsame Diskussionen. In dem Blatt kommt das ganze kritische Spektrum des Landes zu Wort, Menschenrechtler, Personen des öffentlichen Lebens, liberale und linke Kritiker des Kreml-Chefs. Dieser Pluralismus war bisher ein Markenzeichen des Blattes und Gorbatschow hat erklärt, man müsse ihn erhalten.
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