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UKRAINE
Von Simone Brunner | 27.02.2017
Eurasisches Magazin: Vor drei Jahren, nach dem Maidan, sind Sie in die Politik gegangen. Was ist heute ihr Resümee?
Switlana Salischtschuk: Einerseits haben wir Reformen gemacht, für die andere Länder Jahrzehnte gebraucht haben: die neue Polizei, das Anti-Korruptions-Büro, das elektronische Tender-System, über das alle Staatsaufträge ab einem gewissen Wert abgewickelt werden. Zudem haben rund eine Million Beamte ihre Vermögen transparent gemacht, diese Informationen sind öffentlich einsehbar. Seit dem Maidan hat sich auch das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und der Politik verändert. Die Macht wird nicht mehr als etwas Gottgegebenes wahrgenommen. Aber es gibt immer noch den Kampf zwischen den „alten Kräften“ und den „neuen Kräften“.
EM: Sie wurden auf der Liste des „Block Petro Poroschenko“ in das Parlament gewählt. Mittlerweile kritisieren Sie den Präsidenten scharf und sind vor einem Jahr auch der „Demokratischen Allianz“ beigetreten. Warum?
Salischtschuk: Der Präsident hat nicht die hohen Erwartungen erfüllt. Er hat zwar viele Reformen durchgebracht, aber das ist nicht genug. Wir Newcomer machen nur ungefähr zehn Prozent im Parlament und in der Regierung aus. Wir sind Trouble Maker, aber keine Decision Maker. Der Sieg wird erst erreicht, wenn diese junge Generation an den Schalthebeln sitzt.
EM: Warum ist das nach dem Maidan nicht gelungen?
Salischtschuk: Weil wir unsere Kräfte nach dem Maidan nicht in einer neuen politischen Bewegung bündeln konnten. Dazu muss man wissen, wie wir ins Parlament gekommen sind: Wir Aktivisten wollten gemeinsam zu den Wahlen antreten. Wir hatten aber nur wenig Zeit und Ressourcen. Und so haben wir uns für die Parlamentswahlen auf verschiedene Parteien aufgeteilt. Das war ein Fehler, denn all diese Parteien waren alte Parteien.
EM: Seither haben viele Reformer das Handtuch geworfen. Haben Sie das auch schon überlegt?
Salischtschuk: Jeden einzelnen Tag (lacht). Aber ich war mir bewusst, dass ich kämpfen muss. Wir haben versprochen, zu arbeiten und die Zivilgesellschaft zu vertreten. Also wäre es ein Betrug, die Politik einfach so zu verlassen. Aber man muss ehrlich sagen: Der Kreis der Reformer schrumpft. Wir werden nicht stärker, sondern schwächer.
EM: Zugleich gibt es viel Enttäuschung in der Bevölkerung. Ihr Kollege Serhij Leschtschenko hat immer wieder vor einem „dritten Maidan“ gewarnt, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden.
Salischtschuk: Die Zustimmung zur Politik ist sehr gering. Die Menschen verstehen nicht, was vor sich geht und warum die Korruption immer noch da ist. Sie stellen legitime Fragen. Also kann ich es nicht ausschließen, dass es einen dritten Maidan geben wird, wenn der Präsident weiterhin sein Machtmonopol aufbaut. Derzeit sieht es so aus, als würden die alten Mechanismen langsam, aber doch wieder zurückkommen.
EM: Was meinen Sie damit?
Salischtschuk: Wenn wichtige Entscheidungen in diesem Land zwischen fünf oder sechs Leuten gefällt werden. Wenn das Parlament nicht als Plattform der Entscheidungsfindung funktioniert. Wenn Aufträge und Posten nach Loyalität vergeben werden. Wir haben Richter im Verfassungsgericht, die noch unter Janukowitsch gearbeitet haben. Warum wechselt der Präsident sie nicht aus? Weil sie seinen Willen umsetzen.
EM: Auch gegen Sie selbst hat es Kritik gegeben. Zuletzt wurde Ihnen vorgeworfen, Sie hätten in Ihrer Deklaration falsche Angaben zu einer Eigentumswohnung in Kiew gemacht.
Salischtschuk: Ich habe die Wohnung angegeben. Sie können das in meiner Deklaration finden. Aber ich habe einen Fehler gemacht und den Preis nicht angegeben. Dafür entschuldige ich mich. Allerdings war es eine persönliche, koordinierte Attacke gegen mich und gegen andere Reformer – aufgrund unserer kompromisslosen Haltung zur Korruption.
EM: Frau Salischtschuk, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch
Zur Person Switlana Salischtschuk
Switlana Salischtschuk (34) ist seit 2014 Abgeordnete in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament. Salischtschuk hat in Kiew Journalismus studiert. Sie hat einige zivilgesellschaftliche Organisationen gegründet, unter anderem die Bewegung „Chesno“, die sich für demokratische Wahlen einsetzt. Gemeinsam mit anderen politischen Newcomern gehört sie der überfraktionellen Gruppe der „Euro-Optimisten“ an.
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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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