13.01.2023 14:10:35
UKRAINE
Von André Eichhofer
er Frust hat sich in Mikolaew seit Jahren angestaut. Rund 500 Bürger ziehen daher in der Nacht vor eine Polizeiwache nahe der Industriestadt im Süden der Ukraine. Sie werfen Brandbomben, schlagen Fensterscheiben ein, versuchen die Wache zu stürmen. Die Polizei wehrt die Angreifer mit Tränengas ab, Dutzende werden verletzt.
Aufgebrachte Demonstranten fordern Gerechtigkeit für Irina Kraschkowa, eine 29 Jahre alte Frau, die von drei Männern vergewaltigt wurde. Zwei der Täter sollen Polizisten sein, hat Kraschkowa ausgesagt. Sie hätten sie auf dem Weg nach Hause überfallen, in ein Auto gezerrt und in einem Wald vergewaltigt. Als Kraschkowa die Männer bat, sie gehen zu lassen, schlugen sie sie, raubten ihr Brieftasche und Uhr, wie sie sagt. Im Morgengrauen schleppte sich die Frau in eine Siedlung, Anwohner brachten sie ins Krankenhaus.
Die Staatsanwaltschaft nahm eine Woche lang keine Ermittlungen auf. „Sie wollte ihre eigenen Leute schützen“, vermutet Elena Kabaschna, Leiterin der Helsinki-Gruppe, einer Menschenrechtsorganisation in Mikolaew. Denn einer der mutmaßlichen Täter, Polizeihauptmann Jewgen Drijschak, ist Patensohn des örtlichen Polizeichefs. Erst nach dem Sturm auf die Polizeiwache und Berichten in der Presse verhaftete die Polizei die Beamten sowie den Fahrer des Wagens.
Zeitungen und Fernsehsender zeigten am Mittwoch Bilder vom Krankenbett Irina Kraschkowas: Ihr Kopf steckt in einem Verband, Blutergüsse überziehen das Gesicht der Frau. Im Internet entlädt sich derweil Frust über die Justiz.
„Wer Geld und Einfluss hat, kommt immer straffrei davon“, schreibt Studentin Inna Lissitza auf Facebook. Sie erinnert daran, dass eine Justizbeamtin, die vor zwei Jahren mit ihrem Geländewagen ein vierjähriges Mädchen zu Tode fuhr, nie zur Rechenschaft gezogen wurde.
In Kiew demonstrierten nun empörte Bürger vor dem Präsidentenpalast. „Jagt die Polizei davon“, stand auf einem Plakat. Was viele Ukrainer besonders empört: Im vergangenen Jahr war in Mikolaew ein ähnliches Verbrechen geschehen, bei dem die Täter zunächst unbehelligt blieben. Drei Männer vergewaltigten die 18-jährige Oksana Makar, würgten sie, zündeten sie an und warfen sie in eine Mülltonne. Das Mädchen starb drei Wochen später im Krankenhaus. Die Mörder, darunter der Sohn eines Lokalpolitikers, wurden erst nach weltweitem Protest verhaftet und verurteilt.
„Die Fußball-EM stand vor der Tür und die Regierung konnte damals keine negativen Schlagzeilen gebrauchen“, glaubt Oleksandra Ossipenko, Journalistin in Kiew, die über beide Vergewaltigungsfälle berichtet hat. Sie sei froh, dass die Menschen jetzt auf die Straße gehen. „Sie wissen, dass die Justiz korrupt ist, aber sie lassen sich das nicht mehr gefallen.“
Polizist Jewgen Drijschak bestreitet, an der Vergewaltigung beteiligt gewesen zu sein. Der Generalstaatsanwalt entließ vorsorglich Drijschaks Patenonkel, den Polizeichef von Mikolaew. Elena Kabaschna von der Helsinki-Gruppe bleibt misstrauisch: Zwei weitere Frauenmorde in Mikolaew habe die Polizei nie verfolgt, sagt sie. Die Justiz decke auch in diesen Fällen die Mörder, vermutet die Aktivistin. Die Bürger von Mikolaew haben weitere Proteste angekündigt.
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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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