09.08.2023 13:11:56
GELESEN
Von Hans Wagner
„Vom Zarenadler zum Sternen-banner“ von Peter Littke |
ie kann ein so riesiges Land wie Alaska es ist, mit allen seinen Bewohnern so mir nichts, dir nichts für eine Handvoll Dollar den Besitzer wechseln? Und das nicht in finsterer Vorzeit, sondern im aufgeklärten 19. Jahrhundert. Einfach verscherbelt. Ein Land, das mit 1,5 Millionen Quadratkilometern viermal so groß ist wie Deutschland, oder wie Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien zusammen. Wem gehörte es? Wer war in der Lage, ein derart riesenhaftes Territorium zum Verkauf anzubieten – und wer konnte als Käufer auftreten?
Der Vorgang erscheint bis heute unbegreiflich. Die Fakten sind zwar bekannt, aber sie haben trotz ihrer Ungeheuerlichkeit in der Geschichtsschreibung bislang nur eine marginale Erwähnung gefunden: Am 30. März 1867 unterzeichneten der russische Botschafter Baron Eduard von Stoeckl und US-Außenminister William H. Seward in Washington einen Vertrag, dem Zar Alexander II. von Rußland bereits zugestimmt hatte. Danach verkaufte das Russische Reich das in seinem Besitz befindliche Territorium Alaska für 7,2 Millionen Dollar an die Vereinigten Staaten von Amerika. Das ergibt bei 1, 5 Millionen Quadratkilometern Land gerade mal knapp fünf Dollar für einen.
Die Übergabe wurde laut Peter Littke von dem russischen Kapitän A.A. Peschtschurow und dem US-General Lovell Rousseau vorgenommen. Der amerikanische Brigadegeneral Jefferson Davis habe mit einer Truppe von 250 Mann sofort eine provisorische Militärregierung für Alaska errichtet. Man schrieb den 18. Oktober 1867 – wenigstens nach westlicher Datierung. Rußland benutzte damals noch den Julianischen Kalender und so lautet für die Russen das schicksalhafte Datum 6. Oktober 1867.
„Auf die russische Bevölkerung, die sich von einer Minute auf die andere auf ausländischem Boden befand, wurde keinerlei Rücksicht genommen. Alaska war amerikanisch“, schreibt Littke. Donnernde Salutschüsse und das Brüllen englischsprachiger Befehle hätten die Zeremonie begleitet. Der Zarenadler wurde eingeholt und über Alaska wehte hinfort das Sternenbanner.
Die Russen waren die ersten, die nach Alaska vordrangen und es in Besitz nahmen. Rußland „hatte sich zu diesem Zeitpunkt einen kleinen Vorsprung in der Geschichte geschaffen“, wie Littke schreibt. Durch die Eroberung Sibiriens waren die Russen in der Lage, im benachbarten Alaska Fuß zu fassen, bis nach Kalifornien vorzustoßen, bis kurz vor San Francisco. 1776 war die Stadt von den Spaniern gegründet worden als Reaktion auf die vordringenden Russen. Diese erbauten 23 Jahre später Fort Ross – abgeleitet von dem russischen Wort für Rußland: Rossija - nur 80 Kilometer nördlich von San Francisco.
Die dazugehörige Siedlung nannten sie Novo-Archangelsk nach dem Erzengel Michael. Es war der Hauptsitz der Russischen Kolonie in Amerika. Dort lebten zum Zeitpunkt des Verkaufs etwa 2.500 Menschen. Die Amerikaner bezeichneten nach der Übernahme Fort und Siedlung als „Sitka“. So heißt die Stadt auch heute noch.
Die Russen hatten schon 1639 zum ersten Mal den Pazifik erreicht, wie Littke schildert. Entlang der Inselkette der Aleuten waren sie nach Alaska vorgedrungen. Zu diesem Zeitpunkt interessierte sich keine andere Nation ernsthaft für diese Region. Rußland betrachtete Alaska vor allem als riesiges Jagdgebiet für den im 18. und 19. Jahrhundert äußerst lukrativen Handel mit den Fellen von Pelztieren.
Generationen von Geopolitikern muß sich der Magen umgedreht haben, bei dem Gedenken an die Verschleuderung Alaskas. Zwar hatte sich Rußland im Krimkrieg (1853 bis 1856 zwischen dem Zarenreich auf der einen, dem Osmanischen Reich, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite) finanziell verausgabt. Aber den Verkauf eines solch riesenhaften Landes rechtfertigte diese Situation niemals. Zu diesem Schluß kommt auch Littke. Es war eine „Schmierengeschichte“, die der Autor rekonstruiert hat. Wenn man sieht, wie Rußland in anderen Fällen keinen Krümel „heiliger russischer Erde“ preiszugeben bereit war – und ist! –, erscheint dies um so unverständlicher.
Treibende Kraft für den Verkauf war nach Littkes Recherchen Großherzog Konstantin, der neun Jahre jüngere Bruder des 1855 in Rußland auf den Thron gekommenen Zaren Alexander II. Er und sein Berater Nikolai Murarew, der Eroberer des Amurgebietes, betrieben den Verkauf. „Murarew war ein großer Bewunderer Amerikas“, schreibt Littke..
Auch im russischen Finanz- und im Außenministerium habe es Verbündete für die Verkaufspläne gegeben. Dort sei die These vertreten worden, Rußland werde auf Dauer das Gebiet Alaska, das jenseits der Beringstraße auf dem amerikanischen Kontinent liegt, auf Dauer nicht halten können.
Dieser Hang zum vorauseilenden Verzicht war verhängnisvoll. Denn, daß es sehr wohl auch anders ging, bewiesen, worauf Littke hinweist, die französischen Kolonisten in Kanada. Das Land blieb bis heute ein selbständiges Territorium auf dem Kontinent Amerika.
Auf amerikanischer Seite war es vor allem Außenminister William H. Seward, der Alaska unbedingt für die USA gewinnen wollte. Nach dem Goldrausch von 1848 in San Francisco, war auch in Alaska schon etwas Gold gefunden worden. Etwa zu dieser Zeit fragte der US-Außenminister erstmals beiläufig beim russischen Botschafter Stoeckl an, ob vielleicht wegen der prekären Kassenlage des russischen Staates ein Verkauf Alaskas in Frage käme, was damals – natürlich ist man geneigt zu sagen – gar nicht zur Erörterung stand.
Die Amerikaner glaubten auch nicht mehr daran. Aber auf russischer Seite wurden die Kreise um Murarew und Konstantin nicht müde, den Verkauf voranzutreiben. Am 16. Dezember 1866 gab es in St. Petersburg ein geheimes Treffen, an dem neben dem Zaren u.a. Großherzog Konstantin, der russische Botschafter in Washington, sowie der Außen- und der Finanzminister Rußlands teilnahmen. Zar Alexander II. erklärte sich bei dieser geheimen Sitzung mit dem Verkauf einverstanden.
Die amerikanische Seite war höchst überrascht, als plötzlich am Freitag abend des 29. März 1867 Botschafter Stoeckl mit dem Angebot in Washington vorsprach, Alaska zu veräußern. Es ging dann alles ganz schnell. US-Außenminister Seward versäumte keine Sekunde, um sein lange angestrebtes und kaum mehr für realisierbar gehaltenes Ziel zu verwirklichen. Er hatte es so eilig, daß er noch in der Nacht sein Ministerium öffnen ließ um das Geschäft zu besiegeln. Um 4.00 Uhr morgens am Samstag, den 30. März war der Vertrag ausgefertigt, besiegelt und lag bereit, um dem Präsidenten vorgelegt zu werden. Um 10 Uhr morgens übersandte Präsident Johnson ihn an den Senat und ließ ihn in einer Sondersitzung ratifizieren.
Als der Deal in der amerikanischen Öffentlichkeit bekannt wurde, gab es spöttische Kommentare in der US-Presse. Man nannte Alaska u.a. „Walrossien“ und „Sewards Eisschrank“. Aber auch sehr weitsichtige Stimmen waren zu vernehmen. So schieb der „Portland Daily Oregonian“ vom 27. April 1867: „Der Kauf der russischen Nordamerikabesitzungen durch unsere Regierung ist die wertvollste Landakquisition der Vereinigten Staaten seit der Abtretung von Kalifornien.“
Nun war noch die Zustimmung des Kongresses nötig. Sie galt zunächst als unsicher. Doch dann sei es laut Littke plötzlich gelaufen „wie geschmiert“. Es kam der zwingende Verdacht auf, daß Schmiergelder geflossen seien, daß Abgeordnete bestochen wurden. Ein Untersuchungsausschuß befaßte sich später mit diesem Vorwurf. Der russische Botschafter konnte dabei beispielsweise nicht erklären, wohin 125.000 Dollar von seinem Privatkonto geflossen waren. Angeblich wurde damit von den Parteien im Kongreß die Zustimmung erkauft.
Bis die fälligen 7,2 Millionen Dollar an die russische Regierung bezahlt wurden, vergingen noch Monate. Über 150.000 Dollar Zinsen wären dafür fällig gewesen. Sie wurden den Russen jedoch niemals angerechnet, so daß sich der Kaufpreis für die Amerikaner noch einmal reduzierte.
Alaska ist für die USA ein fettes Schnäppchen gewesen. Drei Jahrzehnte nach dem Kauf brach in dem neu erworbenen Gebiet – am Klondike- und am Yukon-River – der große Goldrausch aus mit sagenhaften Funden. Im Jahr 1959 wurde Alaska der 49. Staat der USA. Man fand Kohle und Öl in großen Mengen. Heute stammt ein Großteil des Haushalts des Staates Alaska aus Erdölverkäufen.
Inzwischen ist Alaska vom Rohstoffstaat zu einem der wichtigsten Logistik-Zentren der entwickelten Welt geworden. Alaska liegt zwar am Rande des Globus, doch immer mehr Flugrouten führen über den Polarkreis und lassen das Land ins Zentrum des Luftverkehrs rücken. Die Entfernungen nach London, New York und Tokio sind etwa gleich groß. Ein unschätzbarer Vorteil.
Peter Littkes Buch ist eine beeindruckende Materialsammlung, die sehr weit ausholt. Der russische Weg nach Sibirien und damit auch nach Alaska wird ausführlich beschrieben. Die Erkundung der neuen Gebiete unter Peter dem Großen und Katharina der Großen werden geschildert und kritisch gewürdigt. Ebenso die Expeditionen des Dänen Vitus Bering, der im russischen Auftrag unterwegs war und schließlich von Sibirien bis zu der nach ihm benannten Beringstraße vordrang.
Der Autor liefert keine stringent erzählte Geschichte. Er müht sich, den Verkauf der russischen Kolonie Alaska in die historischen Zusammenhänge der Französischen Revolution und des amerikanischen Bürgerkrieges einzuordnen. Andererseits geht Littke durchaus ins Detail, schildert das Wetter, das bei der Übergabe Alaskas geherrscht hat und beschreibt die Fußverletzung, die sich der russische Botschafter Stoeckel bei der Überfahrt zum sensationellen Verkaufsangebot zugezogen hat. Es werden Dokumente vorgestellt, die Littke zum Teil erstmals ins Deutsche übertragen hat. Abgedruckt ist auch der eilig ausgehandelte Kaufvertrag für Alaska zwischen Rußland und Amerika. Zeittafel, Register, Karten und eine reichhaltige Bibliographie runden den Band ab, der wirklich studierenswert ist, weil er ein weitgehend unbeachtetes Stück Geschichte endlich etwas durchsichtiger macht.
Lesen Sie zum Thema auch den Artikel über Alaska in dieser Ausgabe: Jenseits von Bering – die russischen Kolonien des Nordpazifiks.
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Rezension zu: „Vom Zarenadler zum Sternenbanner“ von Peter Littke, Magnus Verlag 2003, 320 Seiten, zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos und Karten, 12,95 Euro, ISBN 3-88400-019-5.
Geschichte Rezension Russland USA
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